Westafrika und die gesamte Sahelzone werden gerade zur größten innerafrikanischen Krisenregion. Die Wunden des äthiopischen Bürgerkriegs um die Provinz Tigray im Norden waren noch nicht im Mindesten geheilt, da kam es im Sudan vor wenigen Monaten zu einem weiteren bewaffneten Konflikt. Eine Folge dort ist ein Versorgungsausfall, der für breite Teile der Bevölkerung tödlich sein kann und dessen Ende nicht in Sicht ist. Größere Aufmerksamkeit beansprucht derzeit jedoch das subsaharische Afrika – nach der 2020 beginnenden Putschserie in Guinea, Mali und Burkina Faso folgte am 26. Juli ein Coup d’État in Niger und am 30. August ein weiterer in Gabun, das am Atlantik liegt und vom Äquator durchzogen wird.
Die Szenarien unterschei
unterscheiden sich kaum: Zumeist setzt die jeweilige Präsidentengarde einen „demokratisch“ gewählten Staatschef ab, und hohe Militärs übernehmen selbst das Ruder. In Niger und Gabun sind die Aufrührer von begeisterten Massen gefeiert worden. Hier wie da hofft man auf einen weitgehenden Rückzug der Ex-Kolonialmacht Frankreich, der vorgeworfen wird, nach wie vor zu viel Einfluss auf die Regierungsgeschäfte zu nehmen, allerdings augenscheinlich nicht genug, um den einen oder anderen Putsch vorherzusehen, weshalb Emmanuel Macron öffentlich seine Geheimdienste rügte.Die tieferen Gründe für die Umbrüche in Gabun und Niger sind nicht dieselben. Dank umfangreicher Erdölexporte zählt Gabun zu den reicheren Staaten Afrikas, während Niger als zweitärmstes Land weltweit gelistet ist. Gabun sieht sich überdies keinem islamistischen Terror ausgesetzt wie die Sahelstaaten und musste nie um ein internationales Hilfskorps für dessen Abwehr nachsuchen. Weniger offensichtlich für die westliche Welt als für die eigenen Bürger hatte Gabun jedoch ein Demokratieproblem: Nach der 1960 errungenen Unabhängigkeit stellte ab 1967 allein die Familie Bongo den Präsidenten. Der Sohn des seit Jahren durch einen Schlaganfall geschädigten und nun abgesetzten Staatschefs Ali Bongo Ondimba bereitete sich bereits auf die Machtübernahme vor.Letzter Anstoß für den Putsch war die Wahlfarce am 26. August. Für das Präsidenten- und Parlamentsvotum gab es einen einzigen Wahlzettel, auf dem der Wähler nur den Namen eines Abgeordneten markieren konnte, was zugleich als Stimme für den Präsidentenbewerber aus dessen Partei gegewertet wurde. Das Ergebnis von 62,5 Prozent für Bongo ging ohne jede Vorankündigung mitten in der Nacht zum 30. August über den Äther. Nur ein paar Minuten später meldete sich ein „Komitee für die Transition und Rekonstruktion der Institutionen“ zu Wort, das den Präsidenten für abgesetzt erklärte, die Wahl annullierte und die Institutionen der Republik vorübergehend auflöste. Außer Bongo Ondimba wurden auch sein Sohn, Präsidentenberater und Minister sowie das Spitzenpersonal der Demokratischen Partei festgesetzt. Einige Staatsdiener sind inzwischen des Hochverrats, der Korruption und Fälschung der Unterschrift des Präsidenten wie des Drogenhandels angeklagt.Die durch die Ereignisse in Gabun ausgelöste Unruhe im Westen ebbte rasch ab, als Brice Oligui Nguema, der neue starke Mann, verkündete, das Land werde alle internationalen Verpflichtungen einhalten. Dennoch suspendierte die Afrikanische Union (AU) ihr Mitglied bis auf Weiteres. Ungeachtet dessen ließ sich Oligui Nguema als Übergangspräsident vereidigen, doch bleibt bislang offen, wann es die Transition zu einem demokratisch legitimierten Regime geben könnte. Aus westlicher Sicht war es außerdem beruhigend, dass bei den spontanen Freudenfesten nach dem Sturz der Bongos auf den Straßen der Hauptstadt Libreville – anders als in Nigers Kapitale Niamey – keine russischen Fahnen flatterten.In Niger hat der „Nationale Rat für den Schutz des Vaterlands“ zwar nach wie vor das Sagen, doch zumindest formal eine von ihm nominierte zivile Übergangsregierung eingesetzt. Auch Niger sieht sich der Afrikanischen Union verwiesen – und ist nach wie vor von einer Intervention der Regionalgemeinschaft ECOWAS bedroht. Besonders Frankreich verhängte Sanktionen, weil es die von der Bevölkerung und den Machthabern unzweideutig geäußerte Forderung nach dem Abbruch sämtlicher Beziehungen ignorieren will. Dies würde nicht nur Truppenabzug bedeuten, sondern womöglich auch Verzicht auf diplomatische Beziehungen und Verlust der Schürfrechte für den Uranabbau.Parole Stellung haltenSylvain Itté, französischer Botschafter in Niamey, der einen Ausweisungsbefehl der Putschisten erhielt, bekam von Präsident Macron Order, im Land zu bleiben. Gleiches trifft für die französischen Truppen auf nigrischem Territorium zu. Dass Militär und Botschafter die Stellung halten sollen, hat viel mit der Kriegsdrohung der südlichen ECOWAS-Nachbarn Nigers zu tun, die Paris ostentativ unterstützt. Der Tschad, Mali, Burkina Faso und Guinea haben erklärt, an einer solchen Operation nicht teilnehmen, stattdessen (ohne den Tschad) Niger im Ernstfall militärischen Beistand leisten zu wollen. Damit droht ein Großbrand im Sahel, der paradoxerweise vielleicht nur noch durch die USA verhindert werden kann.In den ersten Tagen des Umsturzes, als es den Anschein hatte, dass sich Frankreich aus Niger zurückziehen würde, nutzte die US-Regierung die sich anbietende Bresche, um dort hineinzustoßen. Sie beeilte sich, den seit einem Jahr vakanten Botschafterposten in Niamey mit der Afrika-erfahrenen Kathleen FitzGibbon zu besetzen. Die Diplomatin machte deutlich, dass sie bereit sei, mit den neuen Machthabern zu sprechen, ohne sie offiziell anzuerkennen. Unter anderem geht es darum, dass die USA ihre bei der nigrischen Stadt Agadez liegende Air Base 201 langfristig absichern wollen. Von dort können Aufklärungs- und Kampfdrohnen ganz Westafrika anfliegen.Diese Konstellation lässt es fraglich erscheinen, inwieweit die nigrischen Militärs umsetzen können, was sich die mit ihnen sympathisierenden Demonstranten erhoffen – und was zunächst versprochen war.