Libyen: Ein politisch geteiltes Land hat in einer Notlage erst recht schlechte Karten

Politikum Hilfsmaßnahmen Im Osten Libyens hat General Khalifa Haftar das Sagen, der von westlichen Regierungen nicht anerkannt wird. Ausgerechnet hier liegen die überschwemmten Gebiete. Die Hilfe aus dem Westen kommt nur zögerlich
Die Hilfe kommt, wenn auch zögerlich
Die Hilfe kommt, wenn auch zögerlich

Foto: Daniel Cole / picture alliance / Associated Press

Als das ursprünglich kalte Sturmtief „Daniel“ Landstriche Bulgariens, der Türkei und besonders Griechenlands unter Wasser setzte, konnten Klimakatastrophen-Skeptiker noch denken, es handele sich möglicherweise um ein Ausnahmephänomen. Eine solche Verharmlosung verbietet sich, nachdem „Daniel“ über dem extrem erwärmten Mittelmeer zu einem tropischen Wirbelsturm reifte und bei seiner Ankunft in Ostlibyen Staudämme und -mauern brechen ließ. Landmassen wurden abgerissen und ins Meer gespült. Eine Fläche von ungefähr 20.000 Quadratkilometern ist teils vollkommen überflutet. Vermutlich muss man bis zu 20.000 Todesopfer beklagen. 40.000 Menschen soll es gelungen sein, vor den Wassermassen zu fliehen.

Diese Katastrophe kann als ein erstes, plötzlich eingetretenes Großereignis des längst begonnenen Klimawandels gesehen werden. Es wirkt hoffentlich nachdrücklicher auf politische Entscheidungsträger, die sich von seit Längerem auftretenden Geschehnissen wie Hunger produzierenden Dürren oder viele Tote verursachenden Hitzeperioden nur in Maßen alarmiert fühlen.

Ohnmächtige Regierung

Das Inferno urbaner Vernichtung in der Küstenstadt Darna und anderswo trifft ein Land, das aus der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verschwunden ist. Die internationale Gemeinschaft konnte sich bislang nicht darauf einigen, dass und wie den Libyern politische Selbstbestimmung zugestanden wird. Um die ging es angeblich westlichen Staaten wie den USA, Frankreich und Italien, als sie im März 2011 dem UN-Sicherheitsrat ein begrenztes militärisches Mandat abrangen, um einen vermuteten Völkermord durch das Gaddafi-Regime in Ostlibyen abzuwenden. Dass es einen solchen Plan gar nicht gab und die westlichen Bombardements dem Ziel des Regime-Change dienten, lag zwar auf der Hand, wurde aber erst später offensichtlich.

Seitdem gelang es nicht, in Libyen Wahlen abzuhalten, aus der eine legitime Regierung hervorgehen konnte. Die in diesem Fall weiterhin aktiven Vereinten Nationen erkennen eine provisorische Regierung in Tripolis an, die jedoch nur ein Sechstel des Territoriums vertritt. Sie stützt sich auf die am Sturz Gaddafis beteiligten islamistischen Milizen, die bislang zu keiner regulären Armee zusammengeschlossen werden konnten.

Erst im August 2023 kamen bei Kämpfen rivalisierender Gruppen aus diesem Lager in Tripolis 44 Menschen ums Leben. Dass dieses fragile westlibysche Gebilde überhaupt noch existiert, verdankt es dem militärischen Eingreifen der Türkei, die 2020 entscheidend half, die vom abtrünnigen General Khalifa Haftar im Ostteil gebildete Libysche Nationalarmee kurz vor Tripolis aufzuhalten, schließlich zum Rückzug zu bewegen.

Verzögerter Einsatz

Der Osten und der größte Teil des libyschen Südens werden von einem Parlament in Tobruk verwaltet. In diesen von Haftars Streitkräften kontrollierten Gebieten wurden – auch mit Unterstützung von Wagner-Söldnern – islamistische Gruppen ausgeschaltet. Obwohl es zwischen beiden Landesteilen als Minimalkonsens wenigstens eine Einigung gibt, wie Einnahmen aus dem Erdölexport verteilt werden, ist das fast 1,8 Millionen Quadratkilometer große Land faktisch gespalten in einem dem Westen und einem eher Russland zugewandten Teil.

Dass die Wetterkatastrophe diesen Ostteil traf, erklärt die anfängliche Verlegenheit des Westens, auf die sowohl vom betroffenen Osten als auch von der Regierung in Tripolis ausgehenden Hilferufe zu reagieren. Die UNO musste dazu auffordern. Und nachdem Hilfsteams aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar schon vor Ort sind, bereiten sich westliche Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz und auch die Türkei noch vor. Tausende von obdachlos gewordenen Libyern brauchen Hilfsgüter, nicht zuletzt Medikamente, vor allem Unterstützung bei den Aufräumarbeiten, um ganze Stadtviertel wieder halbwegs bewohnbar zu machen.

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