Libyen: Sturm „Daniel“ wird zur Heimsuchung. Ein Failed State im Katastrophenmodus

Überschwemmungen Die Klimakrise hat vermutlich dazu beigetragen, den Sturm zu verstärken, der Libyens Küste traf. Laut Experten ist auch der miserable Zustand der Infrastruktur für die Folgen verantwortlich, was viel mit den NATO-Bomben von 2011 zu tun hat
Die libysche Hafenstadt Darna, nachdem Überschwemmungen die Schutzdämme kollabieren haben lassen
Die libysche Hafenstadt Darna, nachdem Überschwemmungen die Schutzdämme kollabieren haben lassen

Foto: Picture Alliance

Nachdem der Sturm „Daniel“ fast eine Woche lang über dem westlichen Mittelmeer tobte und ein Land nach dem anderen traf, sorgt er nun in Libyen für ein Inferno. Es gibt beispiellose Überschwemmungen, die Dämme zum Schutz der Hafenstadt Darna gesprengt haben. Sie liegt im Nordosten und ist Teil der Region Cyrenaika.

Bisher, so Schätzungen, sollen mindestens 2.300 Menschen bereits ums Leben gekommen sein, während über 10.000 vermisst werden. „Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass 25 Prozent der Stadt buchstäblich verschwunden sind“, sagt ein Regierungsbeamter gegenüber der Agentur Reuters.

Keine nationale Regierung

Umgehend stellt sich die Frage, wie ein Sturm derart gravierende Auswirkungen haben kann – inwieweit wird dies durch veränderte Wetterbedingungen im Mittelmeerraum infolge des Klimawandels verstärkt? Im Sommer litt die Region bereits monatelang unter einer quälenden Hitzewelle. Wissenschaftler urteilen, dass sich dadurch die Temperatur der Meeresoberfläche enorm erhöht habe, was mediterrane tropische Wirbelstürme erheblich begünstig.

Zu erleben ist nun in Teilen des Landes, was geschieht, wenn ein Failed State noch mehr, als das ohnehin der Fall ist, einem Katastrophenmodus verfällt. Der Sturm allein war nicht für die Zerstörungen in Darna verantwortlich, wo sich die Infrastruktur, einschließlich der gebrochenen Schutzdämme, in einem desolaten Zustand befand. Mehr als ein Jahrzehnt nachdem Libyens Städte von Marine- und Kampfflugzeugen der NATO bombardiert wurden, die einen Aufstand gegen Muammar al-Gaddafi, den damaligen Staatschef, unterstützten, ist das ölreiche Land nur noch ein Schatten seiner selbst. Der frühere Wohlstand ist dahin. Es gibt keine nationale Regierung. Die sich in Tripolis so nennt, kommt unter Premier Abdulhamid Mohammed Dbeiba vom Aktionsradius her nicht über die Hauptstadt und deren Umfeld hinaus.

Der Administration für den Osten Libyens mit dem Regierungschef Ali Abdul Salam Baschagha fehlen die Mittel, um wirksam helfen zu können. Wie viele arme oder verarmte Länder ist Libyen einfach nicht auf eine extreme Situation vorbereitet, die jetzt zur Heimsuchung wird.

Es wurde ab März 2011 nach der Devise „Freiheit und Selbstbestimmung für die Anti-Gaddafi-Opposition“ durch westliche Staaten bürgerkriegsentscheidend interveniert. Nur hatte sich die „deren Verantwortung für Libyen“ in dem Moment erledigt, als Gaddafi tot war. Es gab keine politische Nachsorge. Ein Land blieb sich selbst überlassen und hatte als funktionierendes Staatswesen ausgedient. In einer Lage, wie der augenblicklichen, macht sich das besonders schmerzhaft bemerkbar.

Mittelmeer aufgeheizt

„Obwohl noch keine endgültige Erklärung vorliegt, um die Intensität des Sturms dem Klimawandel zuzuordnen ist, kann man mit Sicherheit sagen, dass die Oberflächentemperaturen des Mittelmeers den ganzen Sommer über dem Durchschnitt lagen“, sagte Karsten Haustein, Klimawissenschaftler an der Universität Leipzig. „Das gilt für die Region, in der sich ,Daniel‘ bilden und zunächst verheerende Schäden in Griechenland anrichten konnte, bevor es ein Übergreifen auf Libyen gab. Das wärmere Wasser bedingt Stürme wie diesen nicht nur hinsichtlich der Niederschlagsintensität – es macht sie auch heftiger.“

Es sei wichtig zu erkennen, dass der Sturm nicht die einzige Ursache für den Verlust von so vielen Menschenleben ist, meint Kevin Collins, Dozent für Umwelt und Systeme an der englischen Open University. „Dies ist zum Teil auch eine Folge der begrenzten Fähigkeit Libyens, Wetter-Phänomene vorherzusagen sowie die Folge unzureichender Warn- und Evakuierungssysteme – von den Standards für die Infrastruktur und Städte einmal abgesehen. Weil sich unser Klima verändert, müssen Einzelpersonen, Unternehmen und Verwaltungen überall diese extreme Art von Ereignissen verstehen und sich anpassen.“

Nicht zu schnell urteilen

Lizzie Kendon, Professorin für Klimawissenschaften am Cabot Institut der Universität Bristol, ergänzt: „Wir gehen davon aus, dass die Intensität starker Regenfälle mit der Erwärmung der Welt zunimmt. Dies wird sich nicht als gleichmäßiger Trend bemerkbar machen, und wir sollten mit extremen Ereignissen rechnen, die in der Beobachtungsgeschichte beispiellos sind. Bei Sturm 'Daniel' handelt es sich um die Art von verheerenden Überschwemmungen, mit denen wir in Zukunft häufiger rechnen können, selbst wenn solche Katastrophen ebenso als Folge der natürlichen Variabilität des Klimas auftreten können, wie das in der Vergangenheit der Fall war.“ Daher sei Vorsicht geboten, bevor man ein bestimmtes Extremereignis sofort mit dem Klimawandel in Verbindung bringe.

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Geschrieben von

Damien Gayle | The Guardian

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