Neue grüne Kolonialware: Deutschland will Wasserstoff aus dem Süden importieren
Energiewende Namibia, Ägypten, Chile: In vielen südlichen Ländern soll Wasserstoff für die reichen Industrienationen hergestellt werden. Dabei macht der Energiehunger Deutschlands auch vor geschützten Nationalparks keinen Halt
Auf einem Auto der Wuppertaler Müllabfuhr prangt seit einiger Zeit der Slogan: „Krasser Stoff“. 2020 ist das Öko-Fahrzeug fester Bestandteil des Fuhrparks geworden. Das Besondere: Es fährt mit grünem Wasserstoff. Einem Energieträger, der in der Europäischen Union in Zukunft noch bedeutender werden wird. Denn will die EU das Ziel erreichen, bis 2050 klimaneutral zu werden, muss sie möglichst bald in großem Maßstab klimaneutrale Energieträger importieren. Ihr Joker: grüner Wasserstoff. Und wo sind die Produktionsbedingungen dafür besonders günstig? In vielen Ländern des Südens.
Denn dort sind die klimatischen Bedingungen gegeben. Weil die Sonne oft scheint und der Wind viel weht. Doch da die Herstellung von
ellung von grünem Wasserstoff energieaufwendig ist, müsste erst noch der Bau von Infrastrukturen für regenerative Energiegewinnung vorangetrieben werden. Konkret: Es müssen Elektrolyseure aufgestellt, Transportnetze verlegt und Speicherstätten gebaut werden. Das erfordert erhebliche finanzielle Mittel. Doch natürlich hat der Westen schon Investitionen bereitgestellt. So steckt das Bundeswirtschaftsministerium seit Anfang des Jahres 30 Millionen Euro in deutsch-namibische Wasserstoff-Projekte. Auch mit Ägypten hat Berlin eine „Partnerschaft“ begründet.Fragt sich: Wenn bald in Afrika und Südamerika der „Energieträger der Zukunft“ hergestellt wird, werden dann auch die Interessen der dortigen Bevölkerung berücksichtigt? Oder droht ein grüner Wasserstoff-Imperialismus, dem es nur um eines geht: Dass reiche Länder an erneuerbare Energie kommen – koste es, was es wolle?Weltweit konkurrieren die Industrienationen um günstige Standorte für Wasserstoffproduktion. Ebenso konkurrieren viele Länder des Südens um diese Investitionen, von denen sie sich einen Entwicklungsschub erhoffen. Allerdings herrschen auf allen Seiten noch viele Unsicherheiten: Nicht nur hinsichtlich der Geschwindigkeit, mit der die Infrastrukturen zu errichten sind. Sondern auch, weil unklar ist, ob die Bevölkerungen der in Frage stehenden Entwicklungsländer ebenso profitieren wie die der importierenden Staaten.In Chile gehen Windparks pleiteDer Vorteil für alle läge darin, dass die Umstellung der Energieerzeugung aus fossilen Energien oder Atomkraft auf Wasserstoff für den Planeten eine Erholung wäre. Vorteilhaft für Entwicklungsländer ist, dass im Gegensatz zu Erdöl und Erdgas wesentlich mehr Standorte zur Wasserstoffherstellung geeignet und auch dezentrale Ansätze möglich sind. Die Technologie ist zwar komplex, aber wesentlich einfacher zu beherrschen als Atomenergie. Wasserstoffproduktion ist auch für Länder möglich, deren Entwicklung bislang durch einen Mangel eigener fossiler Energieträger gebremst wurde. Die hohen Anschubinvestitionen können jedoch nur durch internationale Kooperation geleistet werden und verlangen in den entsprechenden Staaten einen zentralen Ansprechpartner.Um das Für und Wider der Erzeugung von grünem Wasserstoff beim gegenwärtigen technischen Entwicklungsstand abzuwägen, geht es nicht nur um die erforderlichen hohen Mengen an regenerativer Energie. Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Faktor ist der erhebliche Wasserverbrauch. Letzterer kann für Regionen, in denen zwar genug Sonnen- und Windenergie vorhanden ist, zu einer Konkurrenzsituation mit den Wasserbedürfnissen der heimischen Bevölkerung, der Landwirtschaft und vorhandenen Industrien führen. Chile, das zu einem der wichtigsten Produzenten aufsteigen will, hat einen Lösungsansatz und setzt auf die Entsalzung von Meerwasser. Dabei entstehen ökologisch bedenkliche Abfälle, weshalb der so erzeugte Wasserstoff nicht hundertprozentig „grün“ ist. Trotzdem baut Deutschland darauf, aus Patagonien und Atacama grünen Wasserstoff geliefert zu bekommen. Doch das Projekt wackelt, weil gerade ein Wind- und Solarpark nach dem anderen in Chile bankrottgeht; und das Land bräuchte viel erneuerbare Energie, um die geplanten Mengen an grünem Wasserstoff herzustellen.Placeholder infobox-1Aber welchen Nutzen haben die Bevölkerungen von Entwicklungsländern überhaupt von internationalen Wasserstoffpartnerschaften? Werden die Erlöse zwischen den ausländischen Firmen und korrupten Eliten geteilt, entsteht für sie kaum ein Nutzen. Besser sieht es aus, wenn die Wasserstoffproduktion nicht nur für den Export gedacht ist, sondern um sie herum Industrieparks mit energieintensiver Produktion geplant werden, die das Land unabhängiger von Importen von Stahl und anderen Industriegütern wie zum Beispiel Ammoniakdünger macht, zu deren Herstellung viel Prozesswärme benötigt wird.Werden Gewinne aus der Wasserstoffproduktion nicht in eine gesamtgesellschaftliche Planung integriert, besteht die Gefahr, dass die Produktion ohne ausreichende Berücksichtigung ökologischer Faktoren stattfindet. Das ist der Fall bei der von französischen Konzernen betriebenen Uranförderung in Niger oder bei der von Shell, ExxonMobil und ChevronTexaco betriebenen Erdölförderung in Nigeria. In beiden Ländern leidet die Bevölkerung unter extremer Armut und Gesundheitsproblemen, die von den enormen ökologischen Schäden hervorgerufenen werden. Die Regierungen haben es versäumt, die ausländischen Konzerne, die die Ressourcen ausbeuten, für die Folgeschäden vollständig verantwortlich zu machen. Es fehlt an einer Gesetzgebung, die diese Sachverhalte von vornherein regelt. Wiedergutmachung von Schäden, die durch den ökologischen Ruin des Nigerdeltas entstanden sind, müssen dortige NGOs gerichtlich einklagen, was nur unzureichend gelingt. Daher kann auch bei der Wasserstoffproduktion nicht mit Selbstbeschränkung ausländischer Partner gerechnet werden.Welche Risiken gibt es für die EU?Ein Vorbild sozialer Regulierung von Erlösen aus dem Energiesektor ist Norwegen. Weil das Gas nicht die Entwicklung regenerativer Energie bremsen soll, darf es im eigenen Land nicht eingesetzt werden und die Erlöse aus dem Export fließen in einen Fonds, aus dem die norwegischen Renten finanziert werden. Die Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Interessen ist also durchaus möglich.Dem norwegischen Modell ähnlich ist der staatliche Ghana-Petroleum-Fonds. Er ist durch eine Gesetzgebung flankiert, die den Umgang mit den Einnahmen aus dem Erdölexport regelt: Ihre Verwendung muss transparent sein, in gesellschaftlich nützliche Investitionen fließen und Gewinne auch künftigen Generationen zur Verfügung stehen. Es gibt also Vorbilder, wie mit den Profiten umgegangen werden kann.Bleibt zu fragen: Welche Risiken haben Wasserstoffpartnerschaften für die EU-Staaten selbst? Zuverlässigkeit und politische Stabilität wären wichtige, aber nie hundertprozentig vorhersagbare Faktoren. Deshalb ist Abhängigkeit von zu wenigen Partnerländern zu vermeiden. Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) forscht zu Vor- und Nachteilen von Wasserstoffpartnerschaften sowohl für die importierenden als auch für die potenziell exportierenden Länder. Es hat für drei ausgewählte Regionen untersuchen lassen: 1. Nordafrika (Algerien und Tunesien), 2. Zentralafrika (Nigeria) und 3. Zentralasien (Kasachstan und Usbekistan). Wie sind dort die Bedingungen für die industrielle Herstellung von grünem Wasserstoff? Wie steht es um „damit verbundene ökonomische, ökologische und soziale Chancen und Risiken“ für beide Seiten? Das sind Fragen, mit denen sich das TAB beschäftigt. Die Resultate werden in der zweiten Jahreshälfte 2023 vorliegen.Habeck verwundert NamibiaEin Positivbeispiel ist das deutsch-westafrikanische Forschungsprojekt „West African Science Centre on Climate Change and Adapted Land Use“. An dessen Ausbildungsprogramm nehmen Studenten aus 15 afrikanischen Staaten teil und werden auch in der „Zukunftstechnologie Grüner Wasserstoff“ geschult. Während der Ausbildung wechseln sie in verschiedene Länder der Region. Sie beenden den Lehrgang in einem Forschungszentrum in Jülich sowie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen.Die Fachhochschule Bochum hat in Ghana ein Pilotprojekt gestartet, das Wasserstofferzeugung technisch und wirtschaftlich erprobt und anpasst. Ghana hat bereits ein starkes, mit fossilen Energien gespeistes Stromnetz, aber benötigt auch künftig viel Strom für die Chemieindustrie, Zement- und Stahlproduktion. Ob dann genug für die Herstellung des begehrten Gases zur Verfügung steht, ist fraglich,Und dann ist da noch Marokko. Einerseits ist das Land sehr geeignet für Wasserstoffpartnerschaften, da es schon heute in Ouarzazate einen mit Unterstützung der EU errichteten Solarpark besitzt, der lange weltweit der größte seiner Art war. Weitere sieben Solarprojekte sind geplant. Leider befinden sich zwei davon in der besetzten Westsahara: in Al Aioun und Boujdour. Die provisorische Regierung der Demokratischen Republik Westsahara macht darauf aufmerksam, dass die Errichtung dieser Anlagen völkerrechtswidrig und der Verkauf von dort erzeugtem Wasserstoff in die EU nach deren eigenen Gesetzen nicht möglich wäre. Da bei früheren Handelsverstößen mit Produkten aus der Westsahara erfolgreich internationale Gerichte angerufen wurden, droht das auch in diesem Fall.Auch in Namibia geht nicht alles glatt. Der Leiter der dortigen Umweltbehörde sagt, es sei schon „ironisch“, dass Deutschland wegen seiner „unglücklichen Energiepolitik, dem Ausstieg aus der Kernenergie, der Entwicklung einer übermäßigen Abhängigkeit von Russland und der schleppenden Dekarbonisierung“, für Wasserstoffproduktion in einem Nationalpark wirbt, der ein bislang streng geschütztes Ökosystem von globaler Bedeutung darstellt. Das Projekt ist auch heikel wegen der deutschen Kolonialverbrechen in Namibia.Um nicht des „Energie-Imperialismus“ gescholten zu werden, verkündete Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der Hauptstadt Windhuk, dass das wichtigste Ziel sei, „eine verlässliche, saubere und günstige Energieversorgung“ in diesem Land zu schaffen. Aber vielleicht, mit ganz viel Glück, landet am Ende ja doch etwas vom namibischen Wasserstoff im Tank des Wuppertaler Müllautos?