Tesla: Radikale Linke, eine AfD-Frau und Anwohner gehen auf die Straße – in Grünheide!
Brandenburg Mit dem Zug sind es nur 20 Minuten: 1.200 Linke protestieren in Grünheide gegen Elon Musks Autokonzern Tesla, jagen mutmaßliche Rechte aus der Demo – und bringen einen „Bild“-Reporter dazu, auf die Bühne der Pro-Tesla-Kundgebung zu hüpfen
Einen Anschlag gab es zuletzt auf die Tesla-Gigafactory in Grünheide – Enteignung, Streiks oder Plünderung hingegen dem Vernehmen nach bisher nicht.
Foto: Halil Sagirkaya/Picture Alliance/Anadolu
Schrill schreit die Stimme vom Lautsprecherwagen, die „Verpisst-euch“-Rufe dröhnen jetzt immer lauter durch den Wald, so ganz ist die Extinction-Rebellion-Person am Mikrofon also nicht zu verstehen. Aber es ist wohl von Grünheide als „Endstufe dieses grünen Kapitalismus“ die Rede, und da könnte etwas dran sein.
Ein dicker Ast wird gleich zum Schlagstock, die Anti-Tesla-Demo vom Bahnhof Fangschleuse her hat den Ortseingang Grünheides noch nicht erreicht. Ein gutes Dutzend Menschen schlägt sich in den Wald, ein Mann und eine Frau und deren Hund flüchten, von vermummten antifaschistischen Verfolgern bezichtigt als „rechte Streamer“, die eine linke Demo ins Internet übertragen. Nach zwei leichten Hieben mit dem dicken A
gt als „rechte Streamer“, die eine linke Demo ins Internet übertragen. Nach zwei leichten Hieben mit dem dicken Ast ist das Trio vertrieben. Kathleen Muxel, die Grünheider Frontfrau der AfD, wird hingegen später, bei der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz, unbehelligt, weil weitestgehend unerkannt bleiben.Als wäre sie nicht schon irre genug, hat die politische Gemengelage rund um die einzige Tesla-Gigafactory in Europa mit der Ankunft 1.200 in der Mehrzahl städtischer Protestierender in einer 9.152-Einwohner-Gemeinde an diesem Sonntagnachmittag gewiss eine zumindest vorläufige Endstufe erreicht. Kathleen Muxel wird dabei eine erstaunliche Doppelrolle gespielt haben und ein Bild-Reporter wird auf die Bühne der Pro-Tesla-Kundgebung gehechtet sein.Baumklettern mit Robin WoodIn seinem Element ist der Reporter schon, als er noch vor Beginn der Demo im Lager der „Wasserbesetzung“ bei deren Pressekonferenz steht: Bald zwei Wochen lang hämmert, schraubt und werkelt hier schon die internationale Klimagerechtigkeitsbewegung an Baumhäusern gegen die Abholzung von Kiefern für die Erweiterung der Tesla-Fabrik, neben dem Bahnhof Fangschleuse, der in 20 Zugminuten von Berlin aus zu erreichen ist. Womöglich handelt es sich hier um die am besten an den öffentlichen Personennahverkehr angeschlossene Besetzung eines Waldes aller Zeiten. Unterstützerinnen ziehen einen Bollerwagen mit Wasserkanistern über den Waldboden, dann einen mit alten Fenstern, wie sie auf einigen der Holzplattformen in bis zu zehn Metern Höhe bereits verbaut sind. Während nebenan ein Vermummter auf mutmaßlich Badisch bei einer „Skillshare“-Runde über die Korrosionsgefahren bei Karabinerhaken aufklärt und eine Ausstellung mit laminierten Fotos vom Kampf um Lithium für Batterien in Elektroautos erzählt, können hier auch Kinder ausprobieren, wie man mit Seilen einen Baum hinauf- und wieder hinunterklettert, gesichert von unaufdringlich freundlichen Engagierten der „gewaltfreien Aktionsgemeinschaft für Natur und Umwelt“, Robin Wood.Eingebetteter MedieninhaltÜber Gewalt will der Bild-Mann reden, und über die Palästinenser-Tücher, wie es etwa der Vertreter von Fridays for Future MAPA (Most Affected People and Areas) aus Botsuana trägt, der der Presse an einem mit Moos geschmückten Tisch von der Ausbeutung des Globalen Südens für den grünen Kapitalismus des Nordens erzählt. Doch Steffen Schorcht, Anfang 60, von der Bürgerinitiative Grünheide ist weder auf eine Debatte über Nahost aus noch auf eine über den Satz „Es gibt verschiedene Akteure, die auf ihre Weise Widerstand gegen die Ausbeutung und Zerstörung durch diesen Konzern leisten“. Der steht so im Statement der Wasserbesetzung zum Anschlag auf einen Strommast, der Haushalte und Kleinbetriebe für Stunden und Tesla für eine Woche vom Netz abgekoppelt hat. Bei Ersteren hat sich die „Vulkangruppe Tesla abschalten!“ in einem neuerlichen Bekennerschreiben entschuldigt, bei Tesla nicht: „Der Totalausfall eines scheinbar unangreifbaren Giganten“ solle vielmehr „uns allen Freudentränen in die Augen treiben und Mut machen“.Placeholder image-2Im Wald sagt Steffen Schorcht: „Ein Stromausfall kann immer wieder vorkommen.“ Und: „Die Gigafactory darf erst wieder in Betrieb gehen, wenn ein funktionierendes Störfallkonzept installiert wurde.“ Mit der Wasserbesetzung hat sich die Bürgerinitiative, hiesige Wortführerin gegen Tesla außerhalb des Kommunalparlaments, solidarisiert – beide stehen hinter der Demonstration an diesem Tag.Im Kommunalparlament führt AfD-Frau Kathleen Muxel das Wort gegen Tesla und das Allgemeingut Wasser in Händen eines US-Milliardärs wie Tesla-Boss Elon Musk. Zu Sitzungen trifft sich die Gemeindevertretung in einer großen Halle, der Zuschauerandrang ist dann mitunter dreistellig und ein privater Sicherheitsdienst vor Ort. Wenn in einer stundenlangen Sitzung für 60 Minuten das Mikrofon für die Zuschauer geöffnet wird, zitiert schon mal ein Anwohner die Eröffnungsrede von António Guterres beim UN-Biodiversitätsgipfel, um gegen die Rodung von Bäumen für Tesla zu protestieren. Da lässt es sich durchaus als Verzweiflung lesen, wenn auch die tendenziell Tesla befürwortende Mehrheit dieser Gemeindevertretung aus SPD, CDU, Linken und Bürgervereinigungen eine – wenn auch unverbindliche – Bürgerbefragung ausruft. An der sich dann sage und schreibe 75,2 Prozent der Berechtigten beteiligen und deren Ergebnis an diesem Sonntag auf einem Plakat der Bürgerinitiative Grünheide am Lautsprecherwagen der Anti-Tesla-Demo prangt: „Bürgerentscheid umsetzen! – 62.1 % – Grünheide sagt NEIN zum Tesla-Ausbau“Den Ausbau um 100 Hektar will Tesla, um hier statt der bisher 500.000 genehmigten und der 2023 tatsächlich 200.000 produzierten Elektroautos künftig eine Million Fahrzeuge pro Jahr zu fertigen. Aber auch – Endstufe der Just-in-time-Produktion – wegen der Weltlage: Da Schiffe im Suezkanal stranden oder von Huthi beschossen werden, könne ein Airbag nicht mehr jederzeit geliefert, ausgeladen und direkt eingebaut werden, so erklären es Tesla-Planer – es brauche also mehr Lagerflächen. Zudem soll ein neuer Bahnhof dafür sorgen, dass mehr Teile auf der Schiene, weniger über die Straße ins Werk kommen. Auf die Frage „Sollen weitere 100 Hektar Wald (im Landschaftsschutzgebiet) in der Gemarkung Grünheide (Bebauungsplan Nr. 60) in eine Industriefläche umgewandelt werden, die für Logistik, Lagerhaltung und soziale Gebäude genutzt wird?“ haben 3.312 Grünheider Nein geantwortet und 2.018 Ja.Von letzteren haben sich etwa 150 am Ufer des Peetzsees im Bürgerpark Grünheides versammelt, „Gestalten statt Verhindern“ und „Tesla gehört zu Günheide“ steht auf Transparenten zur Straße hin. Auf der sollen eigentlich gleich die Gegner vorbeilaufen, doch die sind noch im Wald mit dem Verjagen Rechter beschäftigt. Also widmet sich auf der Bühne Thomas Kühne von der Industrie- und Handelskammer Ostbrandenburg dem Anschlag, den Steffen Schorcht „Störfall“, Kühne hingegen „Terror“ nennt: „Ich wundere mich schon sehr, wenn ich in der öffentlichen Diskussion höre, dass Tesla ja auch selber schuld ist an dem hohen Schaden. Das ist eine perfide Form von Täter-Opfer-Umkehr, so wie man einem Vergewaltigungsopfer sagt, dein Rock war zu kurz, du brauchst dich nicht wundern.“ Kurze Denkpause, dann Applaus. „700 Linksradikale im Anmarsch auf Grünheide!“Als Nächstes versucht eine Vertreterin der Grünen – in der Gemeindevertretung ohne Sitz – den Spagat zwischen Tesla-Befürwortung und -Kritik zu erklären. Der SPD-Landtagsabgeordnete und frühere Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger erinnert an die Deindustrialisierung nach 1989, als junge Menschen weg- und nicht herzogen. Und der Redner der IG Metall pflichtet ihm bei, nachdem er vom Ringen mit Tesla um einen Tarifvertrag und von 247 Einsätzen von Rettungswagen oder -hubschraubern wegen Arbeitsunfällen in der Fabrik in nur einem Jahr erzählt hat: „Nicht verhindern, sondern gestalten“ will er. Da wirft der Reporter von der Bild seinen Zigarillo weg, schwingt sich auf die Bühne, fotografiert den Gewerkschafter vor dem klatschenden Publikum mit seinem Handy, bevor er warnend ins Mikro ruft: „700 Linksradikale im Anmarsch auf Grünheide!“Bis die so weit sind, aber auch Familien mit Kindern, Vertreter der Initiativen für ein autofreies Berlin und gegen den Bau einer Schnellstraße durch die Wuhlheide im Osten der Hauptstadt, dauert es noch eine Stunde. Hätte der Reporter geschwiegen, wäre die Gruppe der Tesla-Befürworter bis dahin vielleicht nicht auf 50 zusammengeschmolzen. Der „Tesla-Stoppen-Infoticker“der Demo bei Telegram vermerkt: „Ca. 30 Auto-Fans sind zu sehen, die recht armselig wirken.“ Ein paar Polizisten schirmen beide Seiten ab, aus dem Zug der Gegner sind gereckte Mittelfinger und filmende Handys zu sehen und der Sprechchor „One struggle, one fight, water is a human right“ zu hören. Von der anderen Seite erklingt „Geht doch arbeiten!“ und „Habt ihr kein Zuhause?“. Eine AfD-Frau unter Antikapitalist*innenDas lässt unweigerlich an die „Triggerliste“ denken, die im Wasserbesetzungs-Camp neben der Spanplatte mit Tape und Filzstift für die „Tagesstruktur“ und einer Umweltbibliothek mit Schriften über weltweite Wasserkämpfe und Anti-Tesla-Flyern hängt: „Leider leben wir in einer Gesellschaft, die sehr traumatisierend und gewaltvoll ist.“ Also: „Wenn gesagt wird, dass etwas eine Person triggert, ist das nicht zu hinterfragen oder eine Erklärung anzufordern.“ Schon auf der Liste: „,Tesla‘ – das ist auch der Name von einem bekannten Täter•In. Daher wird sich gewünscht, dass Menschen darauf achten, den Namen nicht zu benutzen, sogar wenn der Konzern gemeint ist. (Alternativvorschläge: Elons Autofirma, Der Scheiß-Autokonzern, die Firma, …) Wir verstehen aber, dass wir den Namen für Öffentlichkeitsarbeit weiter benutzen müssen, um so verständlich und weitgreifend wie möglich zu sein“.Placeholder image-1Triggerpunkte gibt es in Grünheide viele, das Wasser ist einer – kein Wunder, hat hier im Löcknitztal doch eine eiszeitliche Schmelzwasserrinne unzählige malerische Seen hinterlassen und liegt Musks Fabrik doch teils im Schutzgebiet. Nur 451.654 Kubikmeter von genehmigten 1,3 Millionen verbrauchte Tesla laut einem gerade vom Tagesspiegel geleakten Bericht 2023, doch längst hat der Stern etliche Havarien mit auslaufenden Gefahrstoffen recherchiert. Kathleen Muxel weiß das, sie ist nicht nur AfD-Gemeindevertreterin, sondern auch direkt gewählte Landtagsabgeordnete in einem benachbarten Wahlkreis, im Podcast ihrer Fraktion hat die forstpolitische Sprecherin gerade über den „Umgang mit uns Menschen, die da leben, mit Menschen, die sich dafür einsetzen, dass ihr Trinkwasser sauber bleibt“ geklagt.Dass diese Klage nun aus Mündern von linken Klimagerechtigkeitsaktivist*innen durch Grünheide hallt, scheint Muxel vor einen interessanten Orientierungskonflikt zu stellen – nicht nur bei der Abschlusskundgebung der Linken auf dem Marktplatz wird sie gesichtet, auch auf der Pro-Tesla-Kundgebung am Bürgerpark: Um von Jugendlichen das Abhängen ihrer „Wir-wollen-Zukunft“-Plakate entlang der Straße zu verlangen, sagen die einen Anwesenden. Für „Feindbeobachtung“, sagen andere.Dort auf dem Marktplatz bricht Jubel aus, als Gäste aus Frankreich von erfolgreichen Blockaden ihrer Umweltbewegung Soulèvements de la terre berichten. Schweigen hingegen, als der Vertreter der Grünen Liga anregt, mit Politikern vor der Landtagswahl im Herbst über verbindliche Bürgerbeteiligungsinstrumente zu sprechen „statt über irgendwelchen Gender-Gaga“. Pfiffe, Buh-Rufe und „Macht mal das Mikro aus“ ist zu hören, als der Brandenburger NABU-Vorsitzende sich vom Anschlag und von „gewaltbereiten Links- und Rechtsextremen“ distanziert.Zu einem kurzen Dialog ohne Extreme kommt es dann noch auf dem Weg einiger Linker zurück zu Camp und Bahnhof – mit drei der Jugendlichen, die eine Zukunft mit Tesla wollen. Eine Frau um die 30 will nicht, dass Menschen „ausgebeutet werden von Tesla“, ein Mann um die 30 entgegnet: „Ich habe, glaube ich, mit schon mehr Tesla-Mitarbeitern gesprochen als ihr. Ich komme hier aus der Region, mein Nachbar ist Tesla-Mitarbeiter und denen geht es bei Tesla besser als hier in der Region bei anderen Handwerksbetrieben.“ Die Frau: „Dann müsste man dafür sorgen, dass es in anderen Handwerksbetrieben besser läuft.“ Der Mann: „Da bin ich voll bei euch.“ Die Frau: „Wir müssen leider los.“ Der Mann: „Ihr merkt ja, man kann ja reden.“
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