Das dunkle Geheimnis der Elektromobilität: Verpesten E-Autos die Luft mehr als Verbrenner?

Feinstaub Elektroautos wiegen im Schnitt 400 Kilogramm mehr als „normale“ Autos. Heißt: Sie liegen schwerer auf der Straße und es entsteht mehr Abrieb durch die Reifen – den wir wiederum einatmen
„Gigafactory“ von Tesla in Grünheide
„Gigafactory“ von Tesla in Grünheide

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Giftiger Smog gehört seit der industriellen Revolution zum Leben in Großstädten. Eine Decke aus schädlichen Partikeln, die teilweise so dicht sein kann, dass einem das Sehen und Atmen schwerfällt. Doch in den wohlhabenden Ländern ist diese schmutzige Wolke verschwunden: Die Automotoren sind sauberer geworden, die Fabriken sind weggezogen. Doch einige Leute sehen die nächste dunkle Wolke heraufziehen: Sie glauben, dass die Umstellung auf Elektrowagen einen Teil dieses Fortschritts wieder rückgängig machen könnte. Höchste Zeit, folgende Frage zu beantworten: Verpesten E-Autos unsere Luft stärker als Verbrennermotoren?

Die Behauptung: Elektroautos erhöhen die Luftverschmutzung

Bei Elektroautos wird die Umweltverschmutzung durch den Motor auf Null reduziert, aber ihre Bremsen und Reifen funktionieren immer noch durch Reibung. Durch diese Reibung werden Materialien abgebaut, die dann in die Umwelt gelangen können. Manche behaupten, dass die Umstellung auf Elektroautos, die in der Regel schwerer sind und daher mehr Verschleiß verursachen, die Luftverschmutzung insgesamt erhöhen könnte.

Im Jahr 2022 erklärte der damalige britische Umweltminister George Eustice vor dem Parlament, er sei „skeptisch“, was die Verbesserung der Luftqualität durch Elektromobilität angeht. „Einige sagen, dass allein die Abnutzung auf den Straßen und die Tatsache, dass diese Fahrzeuge schwerer sind, bedeutet, dass die Vorteile geringer sein könnten, als einige Leute hoffen“, sagte er. „Aber im Moment ist das noch nicht sicher.“

Die Daily Mail berichtete, dass die Verschmutzung durch Reifenabrieb das „schmutzige Geheimnis von Elektroautos“ sei, während die Sun der Meinung ist, dass „Fahrer von Elektroautos darüber unterrichtet wurden, dass ihre superschweren Elektroautos am Ende MEHR Verschmutzung produzieren als Benzin- und Dieselmotoren.“ Aber stimmt das?

Die Antwort der Wissenschaft

E-Fahrzeuge verbrennen nicht direkt fossile Brennstoffe. Sie würden sogar überhaupt keine Emissionen freisetzen, wenn sie ausschließlich mit grünem Strom betrieben würden. Jedoch erzeugen alle Autos durch die Reibung an Bremsen, Reifen und Straßenbelägen eine bestimmte Menge an Feinstaub. Auf diese Weise hinterlassen sie eine Spur der Verschmutzung in der Luft und auf dem Boden. Diese Verschmutzung enthält schädliche Chemikalien: Zum Beispiel ist ein Stoff, der von den Straßen in die Flüsse gespült wurde, die Ursache für das Massensterben des Silberlachs an der US-Westküste.

Was die Bremsen betrifft, so produzieren Elektroautos in der Regel weniger Feinstaub, so der Batteriechemiker Euan McTurk. Der Grund: Die Bremsen von Elektroautos nutzen sich viel langsamer ab. Aber Elektroautos haben ein anderes Problem. So hat die Kampagnengruppe „Transport & Environment“ errechnet, dass Elektroautos aufgrund der sperrigen Batterien im Durchschnitt etwa 400 Kilogramm schwerer sind. Und höheres Gewicht bedeutet: höherer Verschleiß.

Viele der Behauptungen über die Luftverschmutzung durch E-Fahrzeuge beziehen sich auf Zahlen von Emissions Analytics, einem privaten Unternehmen. Nick Molden, der Gründer des Unternehmens, sagt, dass seine Messungen zeigen, dass die Partikelemissionen 1.850 Mal höher sein können als die von modernen Verbrennermotoren, die aufgrund von Vorschriften sauberer geworden sind. Allerdings wurden die Tests nicht von Wissenschaftlern begutachtet, und die Industrie bestreitet die Ergebnisse.

Entscheidend ist, dass alle Autos Feinstaub produzieren – nicht nur Elektroautos. Die Messung winziger Partikel ist sehr schwierig, und bisher gibt es nur relativ wenige vergleichende Studien. Das bedeutet, dass immer noch Unklarheit darüber besteht, ob das zusätzliche Gewicht von Elektroauto-Batterien zu einer stärkeren Feinstaubbelastung führt. Der deutsche Reifenhersteller Continental sagt, dass die Fahrzeug- und Reifenkonstruktion bei der Bestimmung des Verschleißes weniger wichtig ist als der Fahrstil und die Kurven der Straße (ein Punkt, der auch von Nick Molden angeführt wird). Ein Continental-Sprecher lässt mitteilen: „Im Prinzip produzieren E-Fahrzeuge nicht mehr Partikel als ein vergleichbares Fahrzeug mit Verbrennungsmotor, nur weil die Batterie mehr Gewicht hat.“

Eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2020 schätzt, dass „die Verbreitung von Elektrofahrzeugen in den kommenden Jahren zu einem sehr geringen Rückgang der gesamten Feinstaub-Emissionen des Straßenverkehrs führen wird“. Die Studie ergab, dass schwerere Elektroautos einen etwas höheren Straßen- und Reifenverschleiß verursachen. Wenn man jedoch die Verschmutzung durch den Motor hinzurechnet, schneiden Benzin- und Dieselfahrzeuge geringfügig schlechter ab.

Die Lösung für das Feinstaubproblem

Feinstaub kann in den Blutkreislauf, ins menschliche Gehirn oder in die Plazenta gelangen. Die Reifenhersteller arbeiten an einer Anpassung ihrer chemischen Zusammensetzung. „The Tyre Collective“, ein britisches Start-up-Unternehmen, hat eine potenzielle Lösung parat: Ein elektrostatisches Gerät, das Reifenpartikel auffängt, recycelt und für neue Reifen verwendet. „Der Reifenverschleiß war schon immer ein Problem“, sagt Gründer Hanson Cheng. „Man kann nicht behaupten, ein emissionsfreies Fahrzeug gebaut zu haben, wenn es all diese Nicht-Abgasemissionen gibt.“

Egal, ob Benzin- oder Elektroauto: Die Umweltverschmutzung durch Reifenabrieb wird zunehmen, wenn der SUV-Boom weiter anhält. Die Autos werden immer größer, breiter und schwerer (was die Kohlenstoffemissionen und die Energieeffizienz verschlechtert). Anna Krajinska, Managerin für Fahrzeugemissionen und Luftqualität bei Transport & Environment, sagt, dass es keine schlüssigen Beweise dafür gebe, ob Elektroautos die Partikelemissionen erhöhen. Allerdings fügt sie hinzu, dass wir versuchen sollten, den Umstieg auf SUVs zu begrenzen.

Fazit: Warum der Umstieg auf Elektro nicht verzögert werden sollte

Es besteht kein Zweifel, dass die Automobilindustrie noch immer Fragen zur Umweltverschmutzung zu beantworten hat. Je näher das Ende des Verbrennungsmotors rückt, desto mehr wird man sich auf die Partikelverschmutzung durch den Reifenverschleiß konzentrieren, da sie eine der wenigen Verschmutzungsquellen ist, während das Auto in Betrieb ist. Das könnte große gesundheitliche Vorteile für Menschen, Flora und Fauna bringen.

Es ist sicher so, dass immer schwerere Autos mit ziemlicher Sicherheit mehr Reifenpartikel produzieren. Elektroautos sind (im Moment) noch schwerer als vergleichbare Fahrzeuge. Dennoch scheint die Verschmutzung durch Reifen zwischen Benzin-, Diesel- und Elektroautos in etwa vergleichbar zu sein. Die anderen Vorteile des Umstiegs auf Elektroautos – vor allem die geringere Kohlenstoffbelastung – sind enorm. Die Bekämpfung der Luftverschmutzung ist ein wichtiges Anliegen, aber kein Grund, die Umstellung auf Elektroautos zu verzögern.

Jasper Jolly ist Finanzberichterstatter beim Guardian. Twitter: @jjpjolly

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Jasper Jolly | The Guardian

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