KI-Entwickler aller Länder, vereinigt Euch!

Postkap Wenn Forscher kooperieren und Ergebnisse teilen, sind sie produktiver. Das widerstrebt zwar der kapitalistischen Logik, wird sich aber über kurz oder lang durchsetzen.

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Kuss auf die KI.
Kuss auf die KI.

Foto: Keystone/Getty Images

Ein chinesischer Ex-Mitarbeiter habe wichtige Daten gestohlen über Apples selbstfahrendes Auto, das sich noch in der Entwicklung befindet, heißt es. Diese habe er an seinen neuen Arbeitgeber in China weitergegeben, der dadurch enorme Wettbewerbsvorteile erhielte. Ein schreckliches Verbrechen, ein schwerer Fall von Industriespionage, sagt man.

Oder ist es einfach nur intelligente, wenn auch unabgesprochene Froschungskooperation? Warum machen das nicht alle Entwicklungsabteilungen so - wäre es nicht viel effizienter? Würden alle, die an selbstfahrenden Fahrzeugen, ja künstlicher Intelligenz überhaupt forschen, ihre Ergebnisse ins Internet stellen, würde das deren Entwicklung extrem beschleunigen. Denn letztlich stehen sie alle vor denselben Herausforderungen, machen also vielfach parallel dieselbe Arbeit. Ökonomisch betrachtet eigentlich ziemlich dumm.

Das klingt heute für die meisten absurd. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Unternehmen wichtige Informationen als ‘geistiges Eigentum’ betrachten, das sie vor jeder unbefugten und vor allem -bezahlten Nutzung schützen müssen. Mit allen Mitteln, und mit Unterstützung der staat- lichen Justiz - denn schließlich ist der Diebstahl von privatem Eigentum ein schweres Verbrechen.

Tatsächlich ist jedoch etwas Anderes absurd: in solchen Fällen von ‘Diebstahl’ zu sprechen. Zum einen sprachlich, denn der Begriff suggeriert, dass etwas entwendet wird und der rechtmäßige Besitzer daraufhin mit leeren Händen dasteht. Vor allem aber kulturhistorisch, beruht doch die gesamte Entwicklungsgeschichte der Menschheit auf Beobachtung, Imitation, Anpassung und Verbesserung. Was wäre passiert, hätte die Erfinderin des Rades ein Patent darauf angemeldet?

Die Zeit- und Ressourcenverschwendung beim Bemühen, Wissen exklusiv zu produzieren und vermarkten, ist dreifach: Nicht nur die Mehrfacharbeit selbst, sondern auch der Aufwand um sicherzustellen, dass nur zahlende Kunden darauf zugreifen können, sowie bei der Verfolgung unrechtmäßiger Nutzung. Das Festhalten an diesem Modell ist in einer Datenökonomie ein Anachronismus - und es wird zunehmend zum Hemmnis für den (schnelleren) Fortschritt. Mit Marx gesprochen: Die derzeitigen Produktionsverhältnisse haben die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass sie deren weiterer Entfaltung im Weg stehen.

Doch dort, wo es ausschließlich um die Verfügbarkeit immaterieller Daten geht, breiten sich zunehmend neue Wirtschaftsformen aus. Wikipedia hat alle anderen Enzyklopädien verdrängt, Openstreetmap ist genauer und aktueller als die Landkarten kommerzieller Anbieter. Filesharing hat die Musikindustrie umgekrempelt und physische Tonträger an den Rand des Aussterbens gebracht, und Github erlaubt den freien Austausch von Code-Bausteinen (ob das nach der Übernahme durch Microsoft so bleibt, wird sich zeigen). Der Erfolg von Facebook beruht ebenfalls auf freiem Austausch, doch hat Mark Zuckerberg es geschafft, die “unbezahlte Arbeit” seiner Nutzerinnen bzw. den Zugang zu diesen profitabel zu vermarkten. Viele Webseiten sind an diesem Kunststück bereits gescheitert - wenn es Alternativen sind, die einfacher zu nutzen sind oder ‘weniger nerven’, zieht die Internetgemeinde bald weiter.

Für die kapitalistische Verwertung ist die Verbreitung frei nutzbarer Informationen ein Problem. Durch die Automatisierung der industriellen Produktion wird diese nicht nur immer billiger, sie ist auch zunehmend global im Überfluss vorhanden. Das Nadelöhr sind heute nicht mehr die materiellen Produktionskapazitäten, sondern Rohstoffe und Wissen. Wenn der Verbrauch natürlicher Ressourcen langsamer ansteigt als neue Lagerstätten erschlossen werden können, lassen sich hohe Renditen nur noch durch die Vermarktung ‘exklusiver’ Informationen erzielen.

Chinas wirtschaftspolitische Strategen scheinen das besser zu verstehen als westliche Ökonominnen. Das Land wird für seinen lockeren Umgang mit ‘geistigem Eigentum’ häufig kritisiert, weil nicht erkannt wird, dass die kollaborative Nutzung und folglich schnelle Ausbreitung neuer Ideen ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil ist. Oder gerade deswegen?

Damit steht China für ein neues ökonomisches Paradigma, ein neues System. Die alte Welt schwankt zwischen Versuchen, Beijing durch Drohungen auf den ‘wahren Weg’ der ökonomischen Orthodoxie zu lenken, und dem Verlangen, sich abzuschotten gegen das als bedrohlich empfundene Neue. Wenn sich die Verfechter der Abkapselung durchsetzen, werden sich soziale Spaltung und Druck auf die Arbeitenden extrem verschärfen. Gleichzeitig wird ein solcher “Thatcherismus in einem Land” (Paul Mason) dazu führen, dass die entsprechenden Staaten global den Anschluss verlieren und in einer Sackgasse der gesellschaftlichen Entwicklung landen, ähnlich der Sowjetunion in den 1980er Jahren. Über kurz oder lang führt an einer Anpassung an das chinesische Produktionsmodell kein Weg vorbei.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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