Weltzustand Davos (Staat 4)

Performance Das Dokutheater-Kollektiv Rimini Protokoll bringt das Weltwirtschaftsforum von den Schweizer Alpen ins HKW an die Berliner Spree

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Wer würde nicht gern den Zustand der Welt verbessern? Mit diesem Anspruch sind die meisten Politiker einmal angetreten. Aber sind in der neoliberalen Welt die Staaten überhaupt noch Lenker ihres Geschicks oder nicht schon lange von global operierenden Wirtschaftskonzernen abhängig? Bei der vom Schweizer Dokutheater-Kollektiv Rimini Protokoll veranstalteten Performance Weltzustand Davos kann das Publikum nun für zwei Stunden in die Rolle sogenannter Weltwirtschaftslenker schlüpfen, die sich alljährlich im Januar im schönen Schweizer Luftkurort Davos zum Weltwirtschaftsforum (WEF) treffen. Vom Gründer dieses 1971 als Stiftung ins Leben gerufenen Forums mit 1.000 Mitgliedsunternehmen, dem deutschen Wirtschaftswissenschaftler Klaus Schwab, stammt auch der schöne Ausspruch vom "Sanatorium für die kränkelnde Welt".

Davos - nicht nur aus Thomas Manns Roman Der Zauberberg als Mekka für Tuberkulosepatienten bekannt - hat sich nach dem fast vollständigen Sieg über diese Krankheit, deren Bekämpfung dem kleinen Ort in den Schweizer Alpen einst zu Ruhm und Reichtum verhalf, einem neuen finanziellen Zugpferd zugewandt. Den meisten Umsatz im Jahr machen Hoteliers, Bauern und örtliche Händler mit den rund 3.000 Teilnehmern des WEF, die sich aus Firmenvertretern, Wirtschaftsexperten, Politikern, NGO-Mitarbeitern, Intellektuellen und Journalisten zusammensetzen. Im exklusiven Kreis diskutieren sie neben aktuellen globalen Fragen der Wirtschaft auch die von Gesundheits- und Umweltpolitik.

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Weltzustand Davos (Staat 4) ist eigentlich der Höhepunkt einer in vier Teilen mit vier koproduzierenden Stadttheatern in München (Staat 1), Düsseldorf (Staat 2), Dresden (Staat 3) und Zürich (Staat 4) angesetzten Bestandsaufnahme über gesellschaftliche „Phänomene der Postdemokratie“, die sich mit dem Funktionieren von demokratischen Prozessen innerhalb von Geheimdiensten, bei öffentlichen Großbauvorhaben, bei der Entwicklung der allgemeinen Digitalisierung und in der globalisierten Wirtschaftswelt z.T. interaktiv auseinandersetzt. Im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW), das für drei Wochen die vier Teile zusammenführt, geht man die Sache rund um eine ovale Arena, unter deren Kunstschneedecke später der Stadtplan von Davos freigelegt wird, zunächst ganz sportlich an, übt zur Auflockerung die La-Ola-Welle und ist per Video beim Helikopterflug von Zürich nach Davos dabei.

Wie immer hat Rimini Protokoll zu seinem Projekt sogenannte Experten geladen. Es sind dies der von 2005 bis 2012 als Landammann (Bürgermeister) der Stadt Davos an der Organisation des Weltwirtschaftsforums beteiligte Hans Peter Michel, der aus Sri Lanka stammende Wirtschaftssoziologe Ganga Jey Aratnam, der Lungenarzt Otto Brändli, die ehemalige Direktorin des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) Cécile Molinier und die aus Russland stammende Vizepräsidentin des Zürcher Verbandes Global Shapers (einer WEF-Nachwuchsorganisation), Sofia Sharkova. Begrüßt werden wir von Hans Peter Michel, der uns im schönsten Schwyzerdütsch die Fabel vom Wolf und Fuchs erzählt. Wer hier gefräßiger Wolf und schlauer Fuchs ist, bleibt zunächst der eigenen Interpretation überlassen. Zumindest Michel erweist sich als relativ bauernschlau und kann einige Anekdoten aus seinem Wirken als Gastgeber und führender Logistiker des WEF zum Besten geben. Womit er auch die meisten Sympathiepunkte beim Publikum einheimst.

Unter den Sitzen befinden sich Mappen mit den Badges der Namen von Firmen- und Konzernchefs sowie Unterlagen zu Daten über Jahresumsätze, Mitarbeiterzahlen und Börsendotierungen. In die Rollen der CEOs von Internetunternehmen, Banken, Entwicklungs-, Pharma- und Rohstoffgiganten wird das Publikum allerdings mehr symbolisch steigen. Wir könnten uns wohl auch kaum die bei ungefähr 100.000 Schweizer Franken liegenden Kosten für eine Teilnahme am WEF leisten. Und wenn in diesen Aufzählungen bisher nicht gegendert wurde, liegt das daran, dass im Gegensatz zum Publikum die Frauenquote beim WEF mit ca. 12% extrem niedrig ist. Nicht von ungefähr spricht man auch vom sogenannten „Davos Man“. Im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird dieses elitäre männliche Wesen auch als Vertreter des heimatlosen Establishments bezeichnet. Ein Aufsatz des amerikanischen Soziologen Richard Sennett machte ihn bereits 1998 bekannt. Wenn heute vom Kampf des globalen Establishments derer da oben gegen heimatverbundene Normalbürger gesprochen wird, hat man meist Politiker wie Donald Trump im Ohr oder andere nationalistische Populisten. Im Grunde lenkt das aber auch nur vom eigentlichen ökonomischen Wirken globaler Konzerne ab. Gerade da hätte man sich mehr Hintergrundwissen gewünscht.

Wir stellen also nur die Abgesandten allermöglicher Branchen, sogenannte marktführende Globalplayer oder auch „Big Shots“, dar. So kann man sich dann auch ein wenig mit seinen Nachbarn austauschen, also networken, wie es so schön heißt. Was da aber eigentlich so genetworked wird, erfährt man z.B. aus den Berichten von Cécile Molinier, die in ihrer Eigenschaft als UN-Mitarbeiterin über das Zustande- oder Nichtzustandekommen von Entwicklungsprojekten mit multinationalen Konzernen wie Nestlé oder von großen Rohstoffkonzernen mit Drittweltstaaten berichtet. Die Rolle der UN als Vermittler oder Warner vor solchen Entwicklungen erscheint da durchaus auch hinterfragungswürdig. Nachhaken kann man hier leider nicht. Das Publikum ist meist nur als Schildchenhochhalter gefragt. Wie so ein Globalplayer wie etwa der Rohstoffkonzern Glencore die Entwicklung eines afrikanischen Staates beeinflusst, erfahren wir von Ganga Jey Aratnam, der dafür extra aus Basel zum Standort einer Mine in Sambia gefahren ist. Es werden Steuerschlupflöcher durch die Ausfuhr der Rohstoffe über die Steueroase Schweiz nach China, Indien und Russland ausgenutzt. Und während durch die Ausbeutung der Mine die Grundstückspreise im Firmenstammsitz Zug steigen, verfallen sie vor Ort und machen sich Krankheiten wie Malaria und Asthma breit oder eben auch wieder die Lungentuberkulose, mit der sich der Soziologe sogar angesteckt hat.

Dass das Interesse der großen Pharmaunternehmen an der Herstellung und Vertreibung preiswerter Medikamente in Dritte-Welt-Staaten nicht sehr groß ist, davon berichtet Lungenarzt Otto Brändli. Vom sinkenden Einfluss der UN-Staaten bei dieser Entwicklung spricht wiederum Cécile Molinier. Wir wechseln dafür kurz von Firmenvertretern zu Mitgliedsländern der UN. In deren Plenum zumindest haben afrikanische oder ozeanische Staaten noch eine Stimme. Dennoch entziehen sich immer mehr ihrer finanziellen Verantwortung, und die Welt steuert damit weiter auf ein System der privaten Stiftungen und Mäzene zu - siehe etwa IT-Größen wie Bill Gates in den USA oder SAP-Gründer Hasso Plattner im schönen Potsdam. Das wirklich Interessante erfährt man hier mehr nebenbei. Die Staatschefs flimmern als Talking Heads bei ihren Eröffnungsreden meist gegen den politischen Protektionismus über die Videowände. Man sieht Angela Merkel, Bill Clinton, Emmanuel Macron, Alibabagründer John Ma, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping oder Donald Trump mit den deutschen Siemensmanagern. Lokal, sprich national, gedacht, global gehandelt.

Am besten auf den Punkt bringt es Ganga Jey Aratnam, der beim abschließenden Eishockeyspiel der Firmen gegen die Staaten verkündet: „Ich spiele für die Firmen, die sind nicht nationalistisch.“ Dass das Publikum doch mehr den Staaten zujubelt, liegt wohl sicher auch daran, dass das Volk den Machenschaften sich kosmopolitisch gebender Wirtschaftseliten misstraut. Mehr staatliche Kontrolle gegen die Deregulierung der Märkte und mehr Freihandel? Ist das alles nur linker oder populistischer Mumpitz á la Trump? Den Siemensmanagern dürfte es ziemlich egal sein, wohin dabei die Reise geht.

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Zuerst erschienen am 13.03.2018 auf Kultura-Extra.

Weltzustand Davos (Staat 4) - HKW, 10.03.2018
Von Rimini Protokoll
Konzept, Text, Regie: Helgard Kim Haug, Stefan Kaegi,
Bühne: Dominic Huber
Musik: Tomek Kolczynski
Video: Mikko Gaestel
Dramaturgie: Imanuel Schipper, Karolin Trachte
Mit: Ganga Jey Aratnam, Otto Brändli, Hans Peter Michel, Cécile Molinier, Sofia Sharkova
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
Premiere war am 12.01.2018 im Schauspielhaus Zürich

Infos: http://www.rimini-protokoll.de/
https://www.hkw.de/de/

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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