Zum Start der neuen Spielzeit in Berlin (1)

Theater Eine Rückschau und ein Ausblick auf Vergangenes und Künftiges an den fünf Stadttheatern der Hauptstadt. Teil 1: Die Schaubühne

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Die Spielzeitpause der Berliner Bühnen neigt sich mal wieder dem Ende. Sie wurde für die an Entzug leidenden Theatersüchtigen ganz gut durch Festivals wie den FOREIGN AFFAIRS, dem TANZ IM AUGUST und natürlich wie immer durch luftig lockeres Open-Air-Theater überbrückt. Auch eine willkommene Abwechslung zur Routine des alltäglichen Einerleis an den hochsubventionierten Theaterbühnen Berlins. Womit wir beim ersten Kritikpunkt der letzten Saison an den fünf Stadttheatern angekommen sind. Es gab weder sehr viel Neues noch wirklich Herausragendes in den Spielplänen der hauptstädtischen Bühnen. Berlin ist auch längst keine Theaterhauptstadt mehr, wie man unschwer beim Theatertreffen im Mai feststellen konnte. Wie es um den Berliner Stadttheaterbetrieb bestellt ist, zeigt eine kleine Rückschau auf die zurückliegende und ein Ausblick auf die kommende Spielzeit.

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Die Schaubühne am Lehniner-Platz, tief im alten Westen Berlins gelegen, steht nach der letzten Spielzeit nicht so gut, wie zu Anfang noch erwartet. Anders kann man den stark verminderten Premierenoutput sein Anfang des Jahres nicht deuten. Es ging nach einem sommerlichen, leider leicht verregneten Ausflug Ende August 2013 mit Constanza Macras (Forest: The Nature of Crisis) in den Berliner Müggelwald noch relativ locker mit einer Shakespeares-Inszenierung von Marius von Mayenburg (Viel Lärm um Nichts) und Patrick Wengenroths Fassbinder-Adaption Die bitteren Tränen der Petra von Kant in die Spielzeit 2013/14. Die erreichte ihren Höhenpunkt dann allerdings bereits im Dezember mit Michael Thalheimers außergewöhnlicher Inszenierung von Molières Tartuffe mit Lars Eidinger in der Hauptrolle. Ein Jesusdouble mit strähnigem Langhaar und Hassprediger von Gottes Gnaden.

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Die Berliner Schaubühne in der Spielzeit 2013/14

Foto: St. B.

Der Intendant der Schaubühne, Thomas Ostermeier, wollte mit Überraschungs-Neuzugang Nina Hoss und Rückkehrer Mark Waschke im Januar gleichziehen. Seine Little Foxes, ein alter Broadway-Klassiker von Lillian Hellman, waren aber zu handzahm und glatt inszeniert, als dass sie wirklich überraschen konnten. Statt harscher Kritik an Gier und Neoliberalismus nur wenig wirklich „elaboriertes Vokabular für unsere politischen Wirklichkeiten“ (Originalzitat Ostermeier). Eher musikalisch aufgepeppter Mainstream, zur allgemeinen Massenverwertung freigegeben. Danach herrschte große Leere und Ratlosigkeit an der Schaubühne. Friederike Hellers Inszenierung von Brechts Herr Puntila und sein Knecht Matti musste im März abgesagt werden. Dagegen stehen kleinere Achtungserfolge für die Schauspielstudierenden im Studio mit Brechts Heiliger Johanna der Schlachthöfe sowie Video-Ästhetin Katie Mitchel und Duncan Macmillan mit Atmen, der einzigen Uraufführung der Schaubühnensaison. Eine weitere Inszenierung von Thomas Ostermeier kam nicht mehr zu Stande.

Auch das Festival Internationale Neue Dramatik F.I.N.D. im April mit der letzten Premiere der Spielzeit, 2666 von Roberto Bolaño in der Regie des Spaniers Àlex Rigola, geriet da allgemein zu brav. Das scheint zu wenig für eine rundum gelungene Spielzeit, wenn man sich derlei hohe Ansprüche an politische wie ästhetische Wirkung gleichermaßen setzt, wie es Thomas Ostermeier in seinem Beitrag zur Zukunft desTheaters für die Zeitschrift TEXT + KRITIK formuliert. Oder Dramaturg Bernd Stegemann in seiner Streitschrift Kritik des Theaters, in der er für ein neues Künstlertheater plädiert, befreit von Zwängen bürokratischer Natur und finanziell bedingten Rechtfertigungen. Für die Umsetzung dieser Überlegungen scheinen sich die Schaubühnenmacher nun eine Art kreative Auszeit genommen zu haben.

Die Institution des Stadttheaters mit dem allgemeinen deutschen System der öffentlichen Subventionierung scheint sich für den renommierten Theaterwissenschaftler Hans-Thieß Lehmann allerdings auf Dauer überlebt zu haben, wenn sie auch nicht gleich von heute auf morgen verschwinden wird. In seinen Ausführungen übers Tragische (Tragödie und dramatisches Theater) betont Lehmann, dass das Tragische Theater „nicht selbst bloß ein ästhetischer Effekt sein“ sollte, sondern sich die Institution Theater immer wieder selbst in Frage stellen muss. „Politisch ist das Theater, wenn es unsere Kategorien verunsichert. (…) Es geht um die Überschreitung, um den Exzess.“ stellte Lehmann Ende August in einem Interview mit der Berliner Zeitung fest. Das deckt sich, selbst wenn man es an der Schaubühne nicht immer sieht, in etwa auch mit den Aussagen des Intendanten Ostermeier und seines Dramaturgen Stegemann.

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Die neuen Spielzeit an der Schaubühne am Lehniner Platz

Foto: St. Bock

Man kann nicht wirklich sagen, dass die Schaubühne vor den Problemen der Realität die Augen verschließt. Anregende Podiumsdiskussionen zu politischen und ästhetischen Fragen im Rahmen des sogenannten Streitraums prägen das Selbstverständnis des Hauses am Lehniner Platz, wie es auch die eigentlichen Bühnen-Inszenierungen sollten. Der Streitraum 2014/15 wird sich auf die Suche nach der Demokratie begeben. Öffentlichkeit in Zeiten sozialer Netzwerke und das Misstrauen gegenüber Politik und totaler Überwachung. Die Krise der Demokratie als doppelte Krise der Repräsentation in Gesellschaft und auf dem Theater. Ein Interessantes Thema. Was die neue Spielzeit in dieser Hinsicht bringt, wird man dann ja sehen.

Geplant sind jedenfalls Drama, Tragödie und Komödie gleichermaßen. Wobei das Hauptaugenmerk in der neuen Spielzeit tatsächlich mehr auf dem ernsten Sektor liegen dürfte. Nach einem Ausflug ins Komische mit Patrick Wengenroth und Büchners Leonce und Lena, stehen u.a. Richard III. von William Shakespeare, inszeniert von Thomas Ostermeier, und die Tragödie Ödipus der Tyrann (Sophokles/Hölderlin) in der Regie von Romeo Castellucci auf dem Programm. Castellucci hatte schon mit seiner Hölderlin-Interpretation des Hyperion Ästhetik und Gewalt miteinander verbunden. In Shakespeares Königsdrama geht es für Thomas Ostermeier um Macht, Moral und den Verfall von politischen Eliten.

Weiter auf dem Programm stehen Prosawerke von Thomas Bernhard und Christa Wolf. Regisseur Philipp Preuss gestaltet im Studio mit Das Kalkwerk einen Soloabend für den Schauspieler Felix Römer in den Fußstampfen des Holz fällenden Sepp Bierbichler. Für die Inszenierung des Romans Der geteilte Himmel aus den 1960er Jahren der DDR kehrt Armin Petras im Januar 2015 aus Stuttgart nach Berlin zurück. Bereits im November inszeniert Jan Philipp Gloger Ödön von Horváths Theaterstück Kasimir und Karoline und Zeitgenössisches gibt es noch mit den an der Schaubühne bereits gut bekannten Autoren Falk Richter, Rafael Spregelburd und Lars Norén. Zusammen mit der Choreografin Nir de Volff stellt Falk Richter erneut einen Mix aus eigenen Texten und Tanz auf die Bühne. Premiere von NEVER FOREVER, einem Stück über untote Online-Großstadt-Krieger, ist am 9. September. Hausautor Marius von Mayenburg führt im März 2015 mal wieder Regie bei der Deutschen Erstaufführung von Spregelburds Stück Luzid. Die zweite Inszenierung von Thomas Ostermeier im Mai 2015 ist mit Nachtwache eine Fortsetzung von Noréns Drama Dämonen. Die Spielzeit schließt im Juni Michael Thalheimer mit einem Klassiker Maxim Gorkis, dem Sozialdrama Nachtasyl.

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Katie Mitchel inszeniert mit The Forbidden Zone ein feministisch-pazifistisches Statement zum Krieg der Männer in ästhetisch schönen Bildern.

Abschließend gilt es noch von der ersten Premiere der neuen Spielzeit an der Schaubühne zu berichten. Das bereits bei den Salzburger Festspielen Ende Juli uraufgeführte Stück The Forbidden Zone von Duncan MacMillan unter Verwendung von Zitaten von Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Mary Borden, Emma Goldman und Virginia Woolf inszenierte Regisseurin Katie Mitchell in ihrem gewohnten Stil als live gedrehtes Bühnenfilmdrama. Eine eindrucksvolle Demonstration der Kraft der Bilder und Sieg der Ästhetik über das Thema. Die Kunst dominiert hier in einer Weise das Drama, dass die eigentlich erwünschte Verunsicherung der Sehgewohnheiten des Publikums, mittels der Verfremdung durch eine Sichtbarmachung des Schaffensprozesses der Kunst, einer gut funktionierenden Gefühlsmaschinerie aus perfekten Bildern und dramatischen Elementen weicht.

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The Forbidden Zone - Foto: Stephen Cummiskey

Im Grunde geht es um die Kriegsgreuel die im Laufe der Weltgeschichte immer wieder von Männern geplant und verübt werden. An denen Frauen aber weder einen direkten noch geistigen Anteil haben. Die ausgewählten Zitate der genannten Künstlerinnen und Frauenrechtlerinnen bezeugen dies in eingesprochenen Passagen. In der Zeit des Ersten Weltkriegs waren Frauen noch von den meisten Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, durften weder wählen, noch hatten sie politische oder wirtschaftliche Macht. Das Drama um die Folgen der Erfindung des Giftgases für den Kriegseinsatz durch den jüdisch-deutschen Chemiker Fritz Haber gipfelt hier schließlich in einer doppelten menschlichen Tragödie. Habers Frau Clara Immerwahr, eine ebenfalls promovierte Wissenschaftlerin, kann sich nicht gegen ihren Mann durchsetzen, der die Treue zum Vaterland über die Menschlichkeit und die Verantwortung des Wissenschaftlers stellt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg forscht Claire, die Enkelin Habers, in den USA an einem Gegenmittel. Sie sieht sich hier in der direkten Verantwortung. Nachdem die Gelder zu Gunsten der Atomwaffenforschung abgezogen werden und sie aus der Zeitung erfährt, dass das Giftgas des Großvaters Grundlage für Zyklon B und somit für die Vernichtung der Juden war, gerät sie in eine tiefe persönliche Krise. Beide Frauen nehmen sich aus Ohnmacht gegenüber der Tatsache, nicht eingreifen zu können, das Leben. Das verdichtet Katie Mitchel in einem minutenlangen psychischen Kampf der beiden Frauen, deren Schicksale sich auf der Leinwand immer wieder überschneiden. Die Spielszenen werden direkt in dafür originalgetreu nachgebauten Kulissen auf der hinteren Bühne und einem auseinanderschiebbaren Eisenbahnwagon im Vordergrund gedreht.

Ein weiteres Bindeglied bildet die Liebesgeschichte eines französischen Soldaten, der durch einen Giftgasangriff schwer verwundet wird, und einer Krankenschwester. Hier diente das Buch The Forbidden Zone der anglo-amerikanischen Schriftstellerin Mary Borden als Vorbild, aus dem auch Luk Perceval für seine Weltkriegspolyfonie FRONT am Thalia Theater Hamburg zitierte. Zusammen ergibt das ein Geflecht aus pazifistischen und feministischen Statements, angedeuteter Feindseligkeit und Übergriffigkeit in den Szenen zwischen Claire und einem amerikanischen Soldaten im Zug sowie einer filmisch erzeugten dramatischer Spannung. Letztendlich tritt die eigentlich gewünschte „affektive und mentale Erschütterung“ der Tragödie (gemäß Hans Thies Lehmann) wieder hinter einen gezielt erzeugten ästhetischen Effekt zurück. Das Stück erzeugt zwar ein gewisses Unwohlsein (und das ist durchaus gut so), fügt aber in seiner schaurig schöne Art dem üblichen, normierten Weltkriegsgedenken nicht allzu viel Neues hinzu.

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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