Gestreifter Löwe mit goldenen Krallen: Hessen weist nicht nur in Sachen Landeswappen frappierende Ähnlichkeiten mit Thüringen auf
Illustration: der Freitag
Wer in diesen Tagen nach Hessen kommt, ahnt schnell, wie es um den politischen Diskurs in Deutschland steht. Am 8. Oktober (gleichzeitig mit Bayern) wird hier gewählt, und an den Laternenmasten hängen die Parolen „Wir setzen Grenzen“ und „Macht Hessen gerecht“ ziemlich nah beieinander. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied: Die AfD, von der die plumpe Anspielung auf die wieder hochgekochte Migrationsdebatte stammt, liegt in den Umfragen bei bis zu 17 Prozent. Der Linken, die die soziale Frage in den Vordergrund zu rücken versucht, traut die Demoskopie ganze drei Prozent zu, das parlamentarische Ende steht dem Heimatverband der Bundesvorsitzenden Janine Wissler direkt bevor.
Um kurz bei der Linken zu bleiben: Ihr Wahlkampf in Hessen, einde
sen, eindeutig auf soziale Fragen ausgerichtet, widerlegt unübersehbar die Behauptung, die Wissler-Gefolgschaft interessiere sich nur noch für die angeblichen Luxusprobleme eines großstädtischen Bürgerkinder-Milieus. Aber es wird nichts mehr helfen: Der innerparteiliche Streit über die vor allem von Sahra Wagenknecht erhobenen Vorwürfe dürfte der Linken mehr geschadet haben, als ein Wahlkampf wiedergutmachen kann.Der Vergleich zwischen den Aussichten der AfD und der Linken zeigt aber vor allem etwas anderes: Dass sich mit Grenzen viel besser punkten lässt als mit Gerechtigkeit, ist offensichtlich der Trend der Stunde. Das gilt nicht nur im Osten, wie manche meinen, sondern auch in der vergleichsweise saturierten Region zwischen Weser und Rhein, die im Reichtums-Ranking Platz drei unter den bundesdeutschen Flächenländern einnimmt. Gerade im hessischen Landeswahlkampf lässt sich die Diskursverschiebung nach rechts besonders gut beobachten.Blass, aber erfolgreichWie sieht er also aus, der hessische Wahlkampf? Zunächst, um auch die B-Note mal zur Geltung kommen zu lassen: Im Fach „Sprachlicher Ausdruck“ liegt die amtierende Koalition aus CDU und Grünen klar vorn. Die CDU verkündet, sie wolle Hessen „weiter führen“. Oder, Achtung Sprachwitz, „weiterführen“! Beide Lesarten lassen sich dem Schriftbild entnehmen. Die Grünen wagen sich sogar auf das Experimentierfeld Kommasetzung: Auf einem Plakat lassen sie das Wahlvolk rätseln, ob es ihr „Mut, zu machen“ ist, was zählt, oder ob sie sich berufen fühlen, den Menschen „Mut zu machen“. Der Lohn: 31 Umfrage-Prozente für die CDU, ein Plus von vier Punkten gegenüber dem Wahlergebnis von 2018, und immerhin noch 17 Prozent für die Grünen. Was zwar gegenüber der Hessenwahl vor fünf Jahren ein Minus von rund drei Punkten bedeutet, aber immer noch über dem Bundestrend liegt.Aber im Ernst: Von sprachlichen Feinheiten wird der Wahlausgang am 8. Oktober dann doch nicht abhängen. Das sieht man nicht zuletzt an der AfD, die trotz oder wegen ihrer rustikal-nationalistischen Parolen inzwischen mit den Grünen um Platz drei konkurriert, wenn nicht sogar mit Grünen und SPD um Platz zwei: Die extreme Rechte könnte sich von gut 13 auf 17 Prozent steigern, die Sozialdemokratie liegt knapp vor den Grünen bei 18 Prozent und würde gegenüber 2018 fast zwei Punkte verlieren.Der Trend für Hessen ist also ziemlich klar: Weiter so mit Schwarz-Grün, und das noch ein bisschen schwärzer als bisher. Der amtierende Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, den die Grünen allen Ernstes als Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten präsentieren, wird auch diesmal nicht in die Staatskanzlei umziehen. Da hilft es auch nichts, dass er auf den aktuellen Plakaten eine leichte Ähnlichkeit mit dem sehr grünschwarzen Parteifreund Winfried Kretschmann aufweist, dem ersten und einzigen grünen Regierungschef Deutschlands im benachbarten Baden-Württemberg. Auch die Bundesinnenministerin und SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser, die ebenfalls tapfer behauptet, Ministerpräsidentin werden zu wollen, hat praktisch keine Chancen: Die Parteien der von ihr favorisierten Ampel liegen zusammen bei 40 Prozent gegenüber 48 Prozent für Schwarz-Grün. Ohne FDP, die mit fünf Umfrage-Prozenten noch lange nicht wieder im Landtag ist, wäre die Ampel noch weiter weg.Weiter so mit Schwarz-Grün unter CDU-Ministerpräsident Boris Rhein, das also wird es wohl sein, was eine Mehrheit der Hessinnen und Hessen, jedenfalls der wählenden, bevorzugt. Noch einmal scheint das nebulöse Versprechen zu wirken, dass Regierende die multiplen Krisen der Gegenwart auf wundersame Weise von den Menschen fernhalten können, statt sich ihnen mittels politischer Transformation zu stellen. Das lässt sich an zwei der großen Gegenwartsthemen zeigen, die auch den hessischen Wahlkampf weitgehend prägen: Migration und Klimawandel.Was die Zuwanderung betrifft, muss das handlungsleitende Wort „fernhalten“ leider wörtlich genommen werden. Das gilt sicher (abgesehen von der fast chancenlosen Linken) am wenigsten für die Grünen. Sie reden wenigstens im Grundsatz einer „an Humanität orientierten Asylpolitik“ das Wort und bekennen sich im hessischen „Regierungsprogramm“ zur Seenotrettung im Mittelmeer. Allerdings hat sich auch in Frankfurt oder Kassel herumgesprochen, dass ein grüner Bundesminister namens Robert Habeck laut über „Lösungen“ nachdenkt, die angegangen werden müssten, „auch wenn es bedeutet, moralisch schwierige Entscheidungen zu treffen“. Das weist verdächtige Ähnlichkeit auf mit einem Bürgerlich-Konservativen wie Joachim Gauck, der die knallharte dänische Asylpolitik zum Vorbild erklärt und sagt: „Wir müssen Spielräume entdecken, die uns zunächst unsympathisch sind, weil sie inhuman klingen.“So lässt sich dieser Tage live verfolgen, wie sich die Scharfmacherei in der Migrationspolitik (die am realen Drama der weltweiten Fluchtbewegungen nichts ändern wird) vom rechten Rand bis weit in die sogenannte politische Mitte durchfrisst. CDU-Mann Boris Rhein hat sich mitsamt seiner Partei die AfD-Forderung nach Kontrollen an den EU-Binnengrenzen längst zu eigen gemacht. Und Nancy Faeser, die so etwas noch vor kurzem als „reine Symbolpolitik“ bezeichnet hatte, vollzieht jetzt die Wende und stolpert hinterher: „Aus meiner Sicht ist das eine Möglichkeit, Schleuserkriminalität härter zu bekämpfen.“Auch was die Klimapolitik betrifft, ist die laufende Diskursverschiebung schon an den Wahlplakaten abzulesen. „Klimaschutz ja, Bevormundung nein danke“, verkündet die CDU, ein anderer ihrer Slogans lautet: „Autos verbieten verboten“ (AfD-Variante: „Auto fahren, wie wir es wollen!“). Und wo es gegen Verbote geht, ist natürlich auch die FDP nicht weit: „Verbieten wir uns nicht die Wirtschaft kaputt“. So klingt er, der Gegenangriff auf eine Klimapolitik, die ohne Einschränkungen des fossilen Wirtschaftens nicht zum Erfolg werden wird: Seit dem Ampel-Debakel mit dem Heizungsgesetz erscheint es wieder aussichtsreich, den Menschen einzureden, das Setzen von Regeln durch den Staat zur Sicherung einer lebbaren Zukunft stelle eine unzulässige Freiheitsbeschränkung dar.Den Flughafen ausgebautDie Grünen sind davon offenbar so eingeschüchtert, dass sie den ökologischen Umbau, den sie durchaus fordern, hinter dem Anspruch auf Wirtschaftskompetenz verstecken, als wollten sie das ehrenwerte Etikett der „Öko(logie)-Partei“ endgültig vergessen machen: „Öko. Wie in Ökonomie“ lautet eine ihrer Parolen. Und Volker Bouffier (CDU), der Vorgänger von Boris Rhein im Amt des Ministerpräsidenten, hilft im Interview mit Zeit Online der Erinnerung der grünen Klientel gern auf die Beine: „Wir haben mit den Grünen in Hessen den Frankfurter Flughafen ausgebaut.“ Ja, auch Windräder habe man „gegen massiven Widerstand in den Wald gesetzt“, ergänzt Bouffier – und beschreibt damit genau die fragwürdige schwarz-grüne Arbeitsteilung zwischen Klima-Ignoranz (Flugverkehr) und Klimaschutz (Energiewende), auf die die amtierende Landesregierung so stolz ist, weil sie ja weitgehend „geräuschlos“ erfolgt. Als wäre das ein Wert an sich. Sicher, es gibt auch in Hessen die klassischen Landesthemen, allen voran die Bildung. Eine echte Auseinandersetzung darüber findet aber praktisch nicht statt. Dabei gäbe es dafür zumindest einen Ansatzpunkt: Die CDU benennt das gegliederte Schulsystem, seit vielen Jahrzehnten als Bremse für die Aufstiegschancen benachteiligter Schichten identifiziert, in „Chancenschulen“ um – als hätte ihr George Orwell das Wahlprogramm geschrieben. Die (Schwarz-)Grünen nehmen es ohne lauten Widerspruch hin, man will ja weiter geräuschlos regieren.Nancy Faeser wiederum will irgendwoher „12.500 neue Lehrer“ nehmen, stellt aber leicht staunend fest, dass solche Versprechungen nicht „der SPD zugeschrieben werden“. Vielleicht, weil sie vergessen hat, sich auf anderen Feldern erkennbar von der rechtsdriftenden Konkurrenz zu unterscheiden?
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