Kein Ort wäre unbeschadet aus den außergewöhnlich starken Regenfällen hervorgegangen, wie sie der Sturm „Daniel“ an der Nordküste Libyens verursacht hat. Bevor dieses Unwetter das Mittelmeer überquerte, richtete es – zu diesem Zeitpunkt noch weniger stark – in Griechenland schwere Schäden an. Da der Sturm vor gut einer Woche ein ganzes Viertel der Stadt Darna im Meer versinken ließ, wird mittlerweile vom „11. September in Libyen“ gesprochen, in Anspielung an die Anschläge von New York am 11. September 2001 und mit ausdrücklichem Bezug auf das gescheiterte politische System des Landes.
Tripolis und Tobruk: Ein Land, zwei Regierungen
Seit westliche Staaten 2011 den gewaltsamen Sturz von Staatschef Muammar al-
Tripolis und Tobruk: Ein Land, zwei RegierungenSeit westliche Staaten 2011 den gewaltsamen Sturz von Staatschef Muammar al-Gaddafi bewirkt haben, stehen sich rivalisierende Regierungen gegenüber – eine in Tripolis, die andere in Tobruk. Unterstützt werden die Administrationen von untereinander konkurrierenden externen Akteuren wie der Türkei und den USA, den Arabischen Emiraten, Katar, Ägypten und Russland.Ein Grund für die verfahrene Lage sind ebenso zentralistische Strukturen, die sich mit den 1980er-Jahren während der sozialistischen Ära herauszubilden begannen. Die Unternehmenskultur prägten seinerzeit staatliche Akteure, die einer Oberschicht die Basis nahmen. In der kürzlich erschienenen Essaysammlung Gewalt und soziale Transformation in Libyen heißt es, dass Staatsfirmen „klientelistische Netzwerke“ unterhielten.In der Post-Gaddafi-Zeit hat sich daran wenig geändert. Im Westen sind es derzeit die Minister von Premier Abdulhamid Dbeiba, die mit islamistischen, häufig marodierenden Milizen „klientelistisch“ verbunden sind. Im Osten des Landes führte eine Zentralisierungskampagne von General Khalifa Haftar, dem Chef der libyschen Nationalarmee, dazu, dass Behörden direkt von ihm oder seinen Alliierten nominiert wurden. In Darna hatte man es daraufhin mit einer Kommune zu tun, die seit dem Verschwinden Gaddafis stark gelitten hat. Sie fiel 2011 zunächst in die Hände des Islamischen Staates (IS), wurde dann 2016 von Haftar zurückerobert, der seine Schulzeit in Darna verbracht hatte. Wer auch immer die Stadt regierte – Investitionen in die Infrastruktur blieben überschaubar. Im September nun sollte es vor dem Hintergrund erkennbarer Missstände Kommunalwahlen geben. Die Kandidatenlisten lagen vor, die Wähler waren registriert, doch hatten im August Haftar-treue Awliya-al-Dam-Brigaden damit begonnen, Wahlplakate zu verbrennen, Kandidaten mit Entführung zu drohen und einen Militärgouverneur für die Stadt zu fordern. Die lokale Wahlkommission fühlte sich demontiert. Aguila Saleh, Präsidentin einer Kammer im Parlament von Tobruk, schlug unter diesen Umständen einen „temporären Verwaltungsrat“ vor, der die Lage beruhigen, tatsächlich aber die Abstimmung verzögern sollte. Versäumte EvakuierungDer Zustand der beiden Staudämme oberhalb von Darna war bekannt. Vor allem wegen der Verdichtung des immer mehr in die Höhe wachsenden Wohnreviers wuchsen die Risiken. Im Vorjahr hatte es sogar eine wissenschaftliche Abhandlung über den beginnenden Verfall dieser Stauwerke gegeben. Darin war unter anderem das Gewicht des Wassers berechnet und so ein kritischer Punkt markiert worden, bei dem die beiden Dämme (in den 1970er-Jahren von einem jugoslawischen Unternehmen gebaut) womöglich brechen konnten. Angesichts der Topografie würde es für das Wasser dann kein Halten mehr geben, lautete die Warnung. Laut einem jetzt kursierenden Prüfbericht wurde zu allem Überfluss nur ein kleiner Teil der für die Sanierung vorgesehenen Gelder ausgegeben. Nachdem das Wasser dann den ersten Damm flutete, kam, was kommen musste: Es staute sich hinter dem zweiten und ließ den ebenfalls brechen. Obwohl der Sturm am 11. September nahte, gab es keinerlei Anweisung zur Evakuierung. Das Einzige, was die städtischen Autoritäten für geboten hielten, war eine Ausgangssperre, eine übliche Reaktion auf jede Art von Krise. In diesem Fall hieß das, eine verheerend falsche Entscheidung zu treffen. Es bleibt abzuwarten, ob die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.Placeholder authorbio-1