Durch die USA erpresst

Sudan Die Übergangsregierung wird gezwungen, sich vom Stigma des Terrorsympathisanten freizukaufen
Ausgabe 46/2020
Im Oktober protestierten im Sudan zahlreiche Menschen gegen die sich verschärfende Wirtschaftskrise und gegen Tötungen von Demonstranten
Im Oktober protestierten im Sudan zahlreiche Menschen gegen die sich verschärfende Wirtschaftskrise und gegen Tötungen von Demonstranten

Foto: Ebrahim Hamid/AFP/Getty Images

Nur wenige Staaten wurden mit derart vielen Sanktionen belegt wie der Sudan. Seit der mittlerweile gestürzte Präsident Omar al Baschir 1989 durch einen Putsch an die Macht kam, wurde das Land im Namen der Menschenrechte vom Rest der Welt regelrecht abgeschnitten. Auf ein Wirtschaftsembargo folgten die Einstufung als Terror finanzierender Staat und die Anklage al Baschirs durch den Internationalen Strafgerichtshof (ICC).

Hollywoodstars und ein riesiges Netzwerk von Lobbyisten sprachen sich in den USA stets dagegen aus, die Strafmaßnahmen womöglich zu lockern. Al Baschir galt als Prototyp des afrikanischen Gewaltherrschers, der sein Volk kujonierte und dazu Sponsor islamistischer Verbrechen war. Als er im vergangenen Jahr zu Fall kam, beschäftigt sich die Welt mehr als üblich mit dem Sudan. Man sah, al Baschirs Sturz hatte einen hohen Preis, als bei Zusammenstößen mit der Armee mehrere hundert Menschen starben. Der Wirtschaft, die bereits am Abgrund stand, versetzte der Umsturz den Gnadenstoß. Doch herrschte auf den Straßen das Gefühl, es lohne sich, die ökonomischen Risiken in Kauf zu nehmen, sofern das den Sudanesen die Chance auf Demokratie und Würde brachte.

Als die USA – angeblich Retter in der Not – den Erfolg der sudanesischen Revolution erkannten, beschlossen sie nicht etwa, das Land umgehend zu rehabilitieren. Wollte Khartum von der Liste der Terrorsympathisanten gestrichen werden, wieder in das internationale Finanz- und Handelssystem integriert sein, dann zu einem in Washington festgelegten Preis. Mitte Oktober erklärte Donald Trump, dass 335 Millionen Dollar Entschädigung für Terroranschläge fällig seien, die das alte Regime zu verantworten habe. Zugleich sah sich die wegen der wirtschaftlichen Misere äußerst fragile Übergangsregierung genötigt, Israel anzuerkennen und die bilateralen Beziehungen zu normalisieren. Ein solcher Schritt ist beim sudanesischen Volk wenig populär, das überdies nicht dazu befragt wurde.

Die Demokratiebewegung kann diese nackte Disziplinierung eines in die Knie gezwungenen Landes, das sich abmüht, seine Freiheit zu erhalten, schwer ertragen. Dies auch deshalb, weil die sudanesische Regierung vor der Alternative steht: Entweder den ökonomischen Kollaps und damit ein Wiedererstarken der Al-Baschir-Anhänger riskieren oder alle Bedingungen der USA akzeptieren. Donald Trump twitterte, der Sudan habe „zugestimmt“, die 335 Millionen Dollar zu zahlen. Das nenne man „Gerechtigkeit für das amerikanische Volk“. Das Abkommen zur Aufnahme der Beziehungen mit Israel wurde ebenfalls bekanntgegeben und hat in Khartum Empörung ausgelöst, weil die USA damit gezeigt haben, wozu sie in der Lage sind. Tatsächlich wird es mit Israel weder extensive politische noch dynamische Handelsbeziehungen geben. Vielmehr kommt es darauf an, eine Dynamik in der arabischen Welt zu schaffen, die bedeutendere Akteure davon überzeugt, den Kontakt mit Benjamin Netanjahu zu suchen, Saudi-Arabien etwa.

Ein typisches Bauernopfer

Das heißt, der Sudan ist nichts als ein Bauernopfer, seine jüngste Geschichte ein exemplarischer Fall, was sich hinter dem moralischen Anspruch verbirgt, Menschenrechten Geltung zu verschaffen. Es geht weder um einen Regimewechsel noch die Sicherheit von unter Despoten leidenden Menschen, sondern darum, deren Opferrolle auszunutzen, um andere Interessen voranzubringen. Eines besteht darin, arme Länder wie den Sudan, die von geringer strategischer Bedeutung sind, um des eigenen Selbstbildes willen hart anzugehen. Ein zweites resultiert aus dem Wunsch, die Aufmerksamkeit von westlichen Verbündeten wie Saudi-Arabien wegzulenken, die noch nie auf der Anklagebank saßen, was die Unterstützung von Terrorismus oder die Unterdrückung einer internen Opposition angeht. Wer hat versucht, Riad dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dass es Osama bin Laden in andere Länder abgeschoben hat, um dort Unheil anzurichten? Oder dass es einen radikalen Islamismus exportiert? Misstrauen, Entrüstung und Sanktionen sind stattdessen Randexistenzen wie dem Sudan vorbehalten.

Nesrine Malik ist Kolumnistin des Guardian

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Nesrine Malik | The Guardian

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