Extreme Wetterlagen werden zunehmend normal

Klimakrise Die Heftigkeit der Überschwemmungen schockiert selbst Klimawissenschaftler. Sie sehen die Flutkatastrophe als Teil einer globalen Entwicklung, die besorgniserregend ist
Auch Iversheim in Rheinland-Pfalz wurde heftig von den Fluten getroffen
Auch Iversheim in Rheinland-Pfalz wurde heftig von den Fluten getroffen

Foto: Ina Fassbender/AFP via Getty Images

Die Folgen der Flutkatastrophe sind verheerend: Mindestens 133 Menschen wurden getötet, viele weitere sind noch immer vermisst, zehntausende Häuser wurden überflutet und die Stromversorgung unterbrochen. Die Heftigkeit und das Ausmaß der Überschwemmungen in Deutschland in dieser Woche haben selbst Klimawissenschaftler schockiert. Auch sie hatten nicht erwartet, dass bisherige Hochwasserrekorde in diesem Ausmaß, über ein so großes Gebiet und so schnell gebrochen werden würden.

Nach der tödlichen Hitzewelle in den USA und Kanada, wo die Temperaturen vor zwei Wochen auf über 49,6 Grad stiegen, hat die Flut in Mitteleuropa Befürchtungen geweckt, dass der menschengemachte Klimawandel extreme Wetterlagen noch schlimmer macht als ohnehin schon vorhergesagt.

In weiten Teilen des Rheingebietes waren am Mittwoch Niederschlagsrekorde gebrochen worden. Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wurden innerhalb von 48 Stunden mit 148 Litern Regen pro Quadratmeter überschwemmt. Wohlgemerkt in einem Teil Deutschlands, in dem normalerweise im gesamten Juli nur etwa 80 Liter Regen pro Quadratmeter fallen. Die Wetterstation Köln-Stammheim maß gar 154 Liter Regen pro Quadratmeter innerhalb von 24 Stunden. Der bisherige Tageshöchstwert lag bei 95 Litern pro Quadratmeter.

Die Stadt Hagen rief den Notstand aus, nachdem die Volme über die Ufer getreten war und einen Pegelstand erreicht hatte, wie es ihn nur bis zu vier Mal in hundert Jahren gibt.

Prognosen wurden übetroffen

Klimawissenschaftler haben schon lange vorhergesagt, dass menschengemachte Emissionen mehr Überschwemmungen, Hitzewellen, Dürren, Stürme und andere Formen extremen Wetters verursachen würden. Trotzdem haben die jüngsten Höchstwerte viele Prognosen übertroffen.

„Ich bin überrascht, wie weit es über dem bisherigen Rekord liegt“, sagt Dieter Gerten. Er ist Professor für Klimasystem und Wasserhaushalt im Globalen Wandel an der Humboldt-Universität zu Berlin und Koordinator für Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Wir scheinen nicht nur über dem Normalwert zu liegen, sondern in Bereichen, die wir – mit Blick auf die räumliche Ausdehnung und die Geschwindigkeit der Entwicklung – so nicht erwartet haben.“

Gerten ist selbst in einem Dorf in dem nun betroffenen Gebiet aufgewachsen. Er sagt, dass es gelegentlich überschwemmt werde, aber nicht so wie in dieser Woche. Frühere Sommerregen seien ebenso heftig gewesen, hätten aber ein kleineres Gebiet getroffen. Auch die Winterstürme hätten die Flüsse früher nicht auf ein so gefährliches Niveau ansteigen lassen. „Das Geschehen dieser Woche ist völlig untypisch für die Region. Es hat lange angedauert und ein großes Gebiet getroffen“, sagt Gerten.

Wissenschaftler werden mehr Zeit brauchen, um zu beurteilen, inwieweit die vom Menschen verursachten Emissionen dieses Unwetter begünstigt haben. Doch der Rekordregen passt zu den allgemeinen globalen Entwicklungen.

„Wetterextreme werden heftiger“

„Mit dem Klimawandel erwarten wir, dass alle hydro-meteorologischen Extreme heftiger werden. Was wir in Deutschland gesehen haben, deckt sich im Großen und Ganzen mit diesem Trend“, sagt Carlo Buontempo, der Direktor des Copernicus Climate Change Service am Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage.

Die sieben heißesten Jahre seit Aufzeichnung sind seit 2014 aufgetreten – größtenteils als Folge der Erderhitzung, die durch die Abgase, das Abbrennen von Wäldern und andere menschliche Einflüsse verursacht wird. Computermodelle sagen voraus, dass dies zu mehr Wetterextremen führen wird, was bedeutet, dass Wetter-Rekorde häufiger und an immer mehr Orten gebrochen werden.

Die Fluten in Deutschland sind nur das jüngste Beispiel. In den vergangenen Wochen stand noch Nordamerika im Mittelpunkt. Vor zwei Wochen wurde Kanadas bisheriger Hitzerekord für einen Tag um mehr als fünf Grad überschritten, das gleiche galt für mehrere Temperaturhöchstwerte in Oregon und Washington. Wissenschaftler sagen, dass solche Extreme in diesen Breitengraden ohne die vom Menschen verursachte Erderhitzung praktisch unmöglich wären. Am vergangenen Wochenende registrierte die Messstation im Death Valley in Kalifornien 54,4 Grad, was sich als die höchste jemals verlässlich aufgezeichnete Temperatur erweisen könnte.

Daniel Swain, Klimawissenschaftler an der Universität von Kalifornien in Los Angeles, sagt, dass in diesem Sommer in den USA so viele Rekorde aufgestellt worden seien, dass sie es nicht einmal mehr in die Nachrichten schafften: „Die Extreme, die vor ein paar Jahren noch berichtenswert gewesen wären, sind es jetzt nicht mehr, weil sie im Vergleich zu den erstaunlichen Temperaturanstiegen von vor ein paar Wochen verblassen.“ Dies geschehe auch in anderen Ländern, wenn auch mit weniger medialer Aufmerksamkeit. „Die USA stehen oft im Fokus, aber wir haben auch außergewöhnliche Hitzeereignisse in Nordeuropa und Sibirien gesehen. Dies ist keine Ausnahmeerscheinung, die sich auf einen Ort beschränkt. Es ist definitiv Teil eines kohärenten globalen Musters.“

Jahrhundertereignisse werden alltäglich

Tatsächlich herrschte im hohen Norden Europas im Juni ebenfalls eine rekordverdächtige Hitze, und Städte in Indien, Pakistan und Libyen litten in den vergangenen Wochen unter ungewöhnlich hohen Temperaturen. Vororte von Tokio wurden von den stärksten Regenfällen seit Beginn der Messungen heimgesucht, und in London fiel an einem Tag so viel Regen wie sonst im gesamten Juli. Ereignisse, die bislang nur einmal im Jahrhundert vorkamen, werden alltäglich, extreme Wetterlagen zunehmend normal.

Einige Experten befürchten, dass die jüngsten Erschütterungen darauf hindeuten, dass das Klimasystem eine gefährliche Schwelle überschritten haben könnte. Statt gleichmäßig steigender Temperaturen und einer stetig wachsenden Zahl von Extremereignissen untersuchen sie, ob der Trend möglicherweise zunehmend „nichtlinear“ oder sprunghaft ist. Dies könnte eine Folge von Mitnahmeeffekten durch Dürre oder Eisschmelze in der Arktis sein. Diese Theorie ist umstritten, aber die jüngsten Ereignisse haben zu einer verstärkten Diskussion über diese Möglichkeit und die Zuverlässigkeit von Modellen geführt, die auf bisherigen Beobachtungen basieren.

„Wir müssen nichtlineare Ereignisse besser modellieren“, sagt Klimaforscher DieterGerten. „Wir Wissenschaftler wurden in den letzten Jahren von einigen Ereignissen überrascht, die früher auftraten und häufiger und intensiver waren als erwartet.“

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Übersetzung: Benjamin Knödler
Geschrieben von

Jonathan Watts | The Guardian

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