Indien: Premier Narendra Modi heizt die Wahlen mit antimuslimischer Rhetorik an

Hindu-Nationalismus Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Rajasthan hat Narendra Modi mit einer aggressiven Rede vor einer Rückkehr der Kongresspartei in Regierungsverantwortung gewarnt. Er sieht die Interessen der Hindu-Mehrheit bedroht
Ausgabe 19/2024
Indien: Premier Narendra Modi heizt die Wahlen mit antimuslimischer Rhetorik an

Foto: Imago/Abaca Press

Als Narendra Modi 2014 erstmals für das Amt des Premierministers kandidierte, hatte er ein vorrangiges Ziel. Er wollte die Wähler davon überzeugen, nicht länger der Ministerpräsident des westlichen Bundesstaates Gujarat zu sein, in dem 2002 bei einem Pogrom mehr als tausend Menschen massakriert worden waren. Damals sprach viel dafür, dass Modi eine Mitverantwortung dafür trug, den sich gegen Muslime gerichteten Tötungswahn nicht gestoppt zu haben. Er hatte das stets bestritten und sah sich durch das Oberste Gericht von allen gegen ihn erhobenen Anklagen freigesprochen. Als Indiens Regierungschef versprach Modi dann, alle Bürger sollten gleichermaßen von wirtschaftlichem Erfolg profitieren. Seine Bilanz im zurückliegenden Jahrzehnt widerlegt das.

Nun hat er bei einer Wahlkampfveranstaltung in Rajasthan eine höchst aggressive Rede gehalten und behauptet, sein Vorgänger Manmohan Singh von der Kongresspartei habe einst erklärt, Muslime hätten „den ersten Anspruch“ auf die Ressourcen des Landes – eine Verzerrung der Tatsachen. Singh hatte seinerzeit eine Rede über Indiens Entwicklungsprioritäten gehalten und die Landwirtschaft, die Bewässerung, die Gesundheitsfürsorge und Bildung als erstrangige Ziele für Investitionen benannt. Er bezeichnete die ländliche Infrastruktur als Priorität und fügte hinzu, marginalisierte Gemeinschaften sowie Minderheiten, besonders die muslimische, sollten von den „Früchten der Entwicklung“ zehren. Weil Singh die Muslime hervorhob, wurde ihm vorgeworfen, er wolle ihnen eine Vorzugsbehandlung zuteilwerden lassen. Es kam unweigerlich zu einem Aufruhr, das Büro des Premierministers musste klarstellen, was gemeint war: Anspruch auf Ressourcen sollten vorrangig Bereiche haben, die für alle Randgruppen von Bedeutung seien. Den kursierenden Unterstellungen aus dem hindu-nationalistischen Lager tat das jedoch keinen Abbruch.

Narendra Modi stempelt Muslime als Eindringlinge ab

Von zynischer Wahlkalkulation getrieben, kam Premier Modi nun in Rajasthan darauf zurück, offenbar vom Willen beseelt, den Wählern Angst einzujagen und sie glauben zu lassen, käme die oppositionelle Kongresspartei ans Ruder, habe die es auf ihr Vermögen abgesehen. Er werde „Indiens Mütter und Schwestern“ beschützen, so Modi, deren Besitz bedroht sei, nicht zuletzt die begehrte Mangalsutra – die heilige Halskette –, wie sie verheiratete Frauen tragen, um ihren Familienstand anzuzeigen. Sollte der Kongress regieren, sei die in Gefahr. „Eindringlinge“ könnten sie wegnehmen, was allenthalben als unverhüllte Anspielung auf Muslime verstanden wurde, auch wenn ein Sprecher von Modis Bharatiya Janata Party (BJP) sofort versicherte, mit dem Wort „Eindringlinge“ seien Ausländer gemeint, keine indischen Muslime.

Man erlebt Politik nach dem Prinzip Hundepfeife, die für alle Inder hörbar sein soll. Sie nährt Ressentiments bei den Hindus und soll sie aufrütteln. Was Modi sagt, klingt gefährlich und soll ganz offensichtlich spalten. Nachdem sich Tausende Wähler darüber beschwerten, dass eine solche Rede gegen den Verhaltenskodex einer Wahl verstoße, forderte die Nationale Wahlkommission eine Antwort von JP Nadda, dem Vorsitzenden der regierenden BJP. Und der beschwichtigte.

Die Vehemenz von Modis Wahlauftritt deutet darauf hin, dass sich seine Regierung nach zehn Jahren an der Macht genötigt sieht, beim noch bis Ende Mai dauernden Wahlzyklus sicherzustellen, dass die Kernwähler – oft wütende und fundamentalistische Hindus – sie nicht im Stich lassen. Modi liefert viel Polemik zu Themen, die auf der Wunschliste von Hindu-Nationalisten weit oben stehen, und fühlt sich im Recht. Der Oberste Gerichtshof hat die Entscheidung seines Kabinetts bestätigt, Kaschmir den Sonderstatus zu entziehen. Wie das höchste juristische Gremium schon beim Streit um den Bau des Tempels Ram Mandir in Ayodhya zugunsten der Hindus und im Interesse Modis votiert hatte.

Salil Tripathi ist ein indischer Autor und Vorsitzender des Writers-in-Prison-Komitees von PEN International

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Geschrieben von

Salil Tripathi | The Guardian

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