Indonesien: Billige Kohle, billige Arbeit, schnelles Geld – das hat seinen Preis

Schwellenland Indonesien will definitiv zum Industriestaat in Südostasien aufsteigen und dafür den Bergbau in die Pflicht nehmen. Auf den Inseln Sulawesi, Halmahera und Obi bekommt das der Umwelt und Bevölkerung überhaupt nicht
Ausgabe 19/2024
Zuhause in Kurisa versucht Juhardi, die Wasserversorgung zu reparieren
Zuhause in Kurisa versucht Juhardi, die Wasserversorgung zu reparieren

Foto: Per Elinder Liljas

Upin steht bis zur Brust in der Molukkensee, sie liegt am Rand des West-Pazifiks und direkt am Äquator. Ringsherum steigt Rauch aus den Schornsteinen von Anlagen der Nickelproduktion in den Himmel. Upin rückt seine Maske wieder zurecht und taucht ab. Die ethnische Minderheit der Bajau, zu der er gehört, ist darauf trainiert, notfalls mehr als zehn Minuten unter Wasser zu bleiben. Diesmal taucht er schneller wieder auf und hievt eine schwere Metallscheibe über die Flanke seines Einbaums. „Seit die Fabriken hier stehen, gibt es kaum noch Fische“, erklärt er und schaut mit resigniertem Blick in trübes Wasser. „Das Meer ist wärmer geworden und stärker verschmutzt. Man merkt das durch ein Jucken auf der Haut, aber ich habe keine andere Wahl. Wenn wir keine Fische mehr fangen, ist das Sammeln von Schrott die einzige Möglichkeit, um in dieser Gegend zu überleben und eine Familie durchzubringen.“

Der Nickelabbau hat das Leben auf den indonesischen Inseln Sulawesi, Halmahera und Obi grundlegend verändert. Seit gut einem Jahrzehnt sind in diesen Gebieten keine kleinen Nickelerzexporteure mehr präsent, sondern Unternehmen, die zu den bedeutendsten Verarbeitern des Metalls weltweit zählen. Ein bisher ausgesprochen ländliches Terrain wurde dadurch übergangs- und gnadenlos in die Moderne katapultiert. Heute gibt es auf den Inseln mehr als zweihundert Metallhütten, die etwa 200.000 Fabrikarbeiter beschäftigen – Tendenz steigend. Angesichts einer in Amerika, Asien und Europa wachsenden Nachfrage nach Nickel für Batterien in Elektrofahrzeugen setzt Indonesien nicht zuletzt auf diese Industrie, um bis 2045 mehr als nur ein entwickeltes Schwellenland zu sein und Konkurrenz aus dem Rennen zu werfen.

Tödliche Atemnot für Kinder

Der südostasiatische Staat bürgt in diesem Jahr für die Hälfte der globalen Nickelproduktion und kann die Preise so weit drücken, dass andere Produzenten ihren Marktanteil nur mit Verlusten behaupten können, wenn überhaupt. Australische Bergbauunternehmen wie BHP und Glencore kündigten im Februar an, sich womöglich ganz aus dem Nickelgeschäft zurückzuziehen. Indonesiens Erfolgsrezept basiert auf billiger Kohle, billigem Erz, billigen Arbeitern und chinesischen Investoren. Allerdings entrichten die einheimische Bevölkerung und die Umwelt dafür einen hohen Preis.

In Upins Dorf Kurisa an der Ostküste von Sulawesi hängt ein stechender Geruch von Metall in der Luft. Auf der einen Seite der Siedlung, in der Upin lebt, liegt eine Schmelzhütte, auf der anderen Seite ein Kohlekraftwerk. „Gerade jetzt ist die Luft in Ordnung“, stellt der Nachbar Fauziah fest. „Doch es gibt Tage, da sind wir dickem Rauch ausgesetzt und können kaum richtig atmen. Die Kinder husten und fühlen sich schwindelig. Vergangene Woche starb ein Kleinkind an Atemnot. Ärztliche Hilfe kam viel zu spät.“

Indonesien verfügt über die größten Nickelreserven der Welt, doch der Nickelgehalt im Erz ist größtenteils gering. Den Rohstoff so aufzubereiten, dass „Batteriequalität“ erreicht wird, ist ein unglaublich energieaufwendiger Prozess. Um die dafür erforderliche Energie zu erzeugen, werden für eine Nickelhütte gleich mehrere Kohlekraftwerke gebraucht. Wenn es um einen Ausstieg aus der Kohle geht, hat die Regierung in Jakarta der Nickelindustrie aus diesem Grund Sonderrechte gewährt. Die Begründung lautet: Das Metall sei für die ökologische Wende von gravierender Bedeutung. Daher werden neue Kohlekraftwerke, die an Nickelhütten angeschlossen sind, unter der Bedingung gebaut, dass sie vor 2050 wieder abgeschaltet werden. Oder zumindest die Option besteht, dass es dazu kommt.

Dadurch hat das Land augenblicklich einen Kohleverbrauch und Kohlendioxidemissionen in einem Umfang wie noch wie. „Es ist daher geradezu lächerlich, die Nickelindustrie als Teil des grünen Übergangs zu bezeichnen“, meint Muhammad Taufik, Koordinator bei Jatam, einer Organisation, die sich für eine umweltgerechte Bergbauwirtschaft Indonesiens einsetzt. „Es ist gut, dass die Industrie Jobs schafft, aber nicht, dass sie Ökosysteme und das Leben von Menschen zerstört.“

Juhardi sitzt vor seinem Haus im Dorf Kurisa und hantiert mit Plastikrohren. Nach einer Nachtschicht in der Fabrik hatte er sich ausgeruht. Als er aufwachte, gab es kein fließendes Wasser – nichts Ungewöhnliches. „Früher haben wir das Wasser von den Bergen heruntergeleitet, dann jedoch hatte das irgendwann die Farbe Orange.“ Wasserproben an mehreren Orten entlang der Küste ergaben eine hohe Belastung mit Schwermetallen, die aus den Minen und Raffinerien stammen. Bei einem Fluss in der Nähe von Kurisa, in dem früher gern und viel gefischt wurde, lag die Nickelkonzentration fünfzehnmal höher, als es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit ihrem Richtwert vorgibt. Die Konzentration eines Schadstoffs wie hexavalentem Chrom war mehr als fünfmal so hoch, als laut WHO bei Trinkwasser zulässig ist.

Bei Betriebskontrollen habe sein Vorgesetzter immer gesagt, man solle Umweltverstöße kaschieren, erzählt ein Mann, der anonym bleiben will, um sich für künftige Stellen nicht zu disqualifizieren. Er zeigt ein Bild auf seinem Handy, das rötliche Pfützen auf einem weitläufigen Industriegelände zeigt. Während der Regenzeit komme es zu Überschwemmungen, wodurch kontaminiertes Wasser überallhin laufe, sagt der Mann.

Bewohner der Region nahmen in der Regel das Geld, das ihnen für ihr Land geboten wurde, um Platz für die Industrie zu machen. Andere berichten, sie seien vertrieben worden. Viele lebten auf Stelzenhäusern über dem Wasser und besaßen keine Landrechte. Weil es keine anderen Möglichkeiten gab, nahmen die Jungen und Gesunden Jobs in den Fabriken an.

Juhardi beschreibt das Arbeiten dort als hart. Sicherheitsvorkehrungen existierten kaum. „Gestern stießen zwei Lastwagen zusammen. Anstatt das zu melden, sagte mein Boss, wir sollten nur die Laster reparieren und die Fahrer versorgen. Die Unternehmen verheimlichen Unfälle, damit sie keine Kompensation zahlen oder die Arbeit stoppen müssen. Das heißt, weil nie Lehren gezogen werden, können jeden Tag neue Havarien passieren.“

Ende Dezember kam es zu einer Katastrophe. Bei einer Explosion in einer Nickelhütte starben 21 Menschen. Schnell gingen Videoaufnahmen viral. Sie zeigten Arbeiter, die aus einem Gebäude sprangen, das in Flammen stand. Andere lagen auf dem Boden und krümmten sich vor Schmerzen. In den folgenden Tagen war es die Belegschaft, nicht die Direktion, die Auskunft über die Identität der Opfer gab. Dadurch erfuhr Juhardi, dass auch der Sohn eines Cousins unter den Schwerverletzten war. Per Telefon erreichte er die Eltern – obwohl bereits fünf Tage vergangen waren, erhielten sie durch ihn die erste Nachricht über das, was geschehen war. Schließlich fanden sie den Sohn in einem Krankenhaus. „Ich bin extrem enttäuscht über die Art und Weise, wie sich die Firma verhielt“, sagt Juhardi. Wie ein Gewerkschaftsführer mitteilt, sei die Regierung entschlossen, die Verantwortlichen zu bestrafen, ohne den ganz großen Skandal zu riskieren. Ein Unternehmenssprecher von PT Indonesia Tsingshan Stainless Steel kündigte gegenüber dem australischen Sender ABC an, man wolle bei den Nachforschungen kooperieren. „Wir bitten aufrichtig um Entschuldigung für diesen Vorfall und arbeiten eng mit den Behörden zusammen, um die Ursache für den Unfall zu finden.“

Mehr als das ist auf dem Weg: Um sich ihre Nickelversorgung zu sichern, investieren westliche Autohersteller wie Volkswagen und Ford mittlerweile direkt in indonesische Unternehmen. Das könnte einen Wandel vorantreiben und einen globalen Standard für „Best Practice“ etablieren helfen. Wie Aimee Boulanger, Direktorin der „Initiative für einen verantwortungsbewussten Bergbau“, mitteilt, sind die indonesische Regierung und Minenunternehmen im Land mittlerweile mit ihrer Organisation im Gespräch. „Früher hielten Autobauer einen weiten Abstand zur Bergbauindustrie. Dass sie jetzt direkt in die Minen investieren, ist einem veränderten Bewusstsein für die Bedingungen zu verdanken, unter denen Rohstoffe gewonnen werden. Indonesien steht an einem Wendepunkt. Wird es für einen umweltschonenden Abbau von Nickel stehen oder wird es ein neues Kongo?“

Per Elinder Liljas ist ein Hörfunk- und Print-Journalist, der unter anderem für Radio New Zealand, den Guardian und weitere Zeitungen berichtet

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Per Elinder Liljas | The Guardian

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