Es ist inzwischen mehr als ein Jahr her, dass Kim Ju-ae, die Tochter des nordkoreanischen Staatschefs Kim Jong-un, zum ersten Mal in die Öffentlichkeit trat: Neun Jahre alt war sie da, als sie eingemummelt in einen weißen Mantel ihren Vater zu einem Raketenabschuss in Pjöngjang, der Hauptstadt Nordkoreas, begleitete. Offizielle Fotos zeigten Ju-ae, wie sie an Jong-uns Hand über das Flugfeld lief: Die beiden plauderten, im Hintergrund ragte eine startklare Hwasong-17-Interkontinentalrakete in die Luft. Sofort wurde spekuliert: Sollte das das Debüt von Kim Jong-uns Erbin und Nachfolgerin gewesen sein? Von Nordkoreas nächster Staatschefin, der vierten Generation einer Dynastie, die das Land seit 1948 beherrscht?
Doch die Bedeutung eines solchen Auftritts in einem
taatschefin, der vierten Generation einer Dynastie, die das Land seit 1948 beherrscht?Doch die Bedeutung eines solchen Auftritts in einem derart auf Geheimhaltung bedachten Land wie Nordkorea zu entschlüsseln, ist keine exakte Wissenschaft. Berichte über Palastintrigen, Säuberungen und Hinrichtungen – genauso wie Spekulationen um mögliche Gesundheitsprobleme von Kim Jong-un – stellen sich oft als falsch heraus.Was der südkoreanische Geheimdienst sagtFür jede Theorie, die die zehnjährige Ju-ae als zukünftige Staatschefin sieht, gibt es eine gegenläufige, wonach sie bloß ein Mittel sei, um das Image ihres Vaters aufzupolieren. Anfang Januar legte sich allerdings der südkoreanische Geheimdienst NIS fest: „Aufgrund von Analysen ihrer öffentlichen Auftritte und dem Maß an Respekt, das ihr seit ihrem ersten Auftritt entgegengebracht wird, scheint Ju-ae derzeit die wahrscheinlichste Nachfolgerin zu sein“, sagte der neue NIS-Chef Cho Tae-yong in einem Bericht ans Parlament.Seit dem Startbahnspaziergang im November 2022 war Ju-ae bei mehreren größeren öffentlichen Veranstaltungen dabei, staatliche Medien bezeichneten sie als sein „Lieblingskind“. Das allein gibt wenig Aufschluss darüber, welche Pläne Kim für seine Tochter hat; aber ihre Bezeichnung als „Koreas Morgenstern“ und „Generalin“ weist darauf hin, dass sie auf eine offizielle Rolle vorbereitet wird. Im Dezember begleitete Ju-ae ihren Vater bei einem Besuch im Luftwaffenhauptquartier der nordkoreanischen Volksarmee – sie trug dabei Ledermantel und Designer-Sonnenbrille – und im Monat davor beim Start des ersten Spionagesatelliten des Landes. Sie war zudem bei einer Silvesterfeier im Pjöngjanger Erster-Mai-Stadion zugegen.Ju-ae soll eins von Kims drei Kindern mit Ri Sol-ju seinJu-ae soll eins von Kims drei Kindern mit seiner Frau Ri Sol-ju sein. Neben Ju-ae wird von einem älteren Bruder und einem weiteren Geschwisterkind ausgegangen, dessen Geschlecht die Geheimdienste bisher aber nicht bestätigen konnten. Einige Analysten bezweifeln denn auch, dass sich Kim – in Anbetracht des erstgeborenen Sohnes – auf eine weibliche Nachfolgerin festgelegt habe. Kim, zwar wohl erst vor kurzem 40 Jahre alt geworden, ist starker Raucher und scheint in letzter Zeit stark zugelegt zu haben, während er in der Corona-Pandemie abgenommen hatte.Während sich der südkoreanische Geheimdienst sicher zu sein scheint, gibt sich die Propagandamaschinerie des Nordens zurückhaltend. Kürzlich zitierte die in Seoul publizierte Webseite dailynk.com sogar anonyme nordkoreanische Regierungsquellen mit der Verlautbarung, es sei „unmöglich“, dass Ju-ae die Nachfolge ihres Vaters antreten könne. Doch ihr Auftritt in der Neujahrsausgabe der staatlichen Zeitung Rodong Sinmun ist Teil der wachsenden Bildersammlung, die auf Ju-aes zweifachen Wert hinweist: als demutsvolle Tochter und als Verkörperung der Herrschaft der Paektu-Blutlinie – wie die Kim-Dynastie in Nordkorea genannt wird.„Kim Jong-un versucht, die Fortsetzung dynastischer Herrschaft zu sichern und sich selbst als verantwortungsvollen Führer darzustellen“, sagt Lim Eul-chul, Professor für nordkoreanische Politik an der Kyungnam-Universität in Seoul. „Er benutzt seine Tochter dafür, seine Führungsposition zu stärken, aber natürlich könnte das auch Teil des Prozesses sein, sie auf die Nachfolge vorzubereiten.“ Lim gibt zu bedenken, dass Frauen bisher nur selten in den höheren Rängen von Nordkoreas Staatsapparat zu finden seien.Kim Jong-un kämpft mit den TränenAndererseits hob Kim selbst jüngst den Beitrag hervor, den Frauen in der Gesellschaft leisten, wenn auch traditionelle Geschlechterrollen noch immer vorherrschen. Im November kämpfte Kim mit den Tränen, als er bei einer nationalen Mütterkonferenz die Frauen aufforderte, ihren Kindern revolutionären Geist zu vermitteln. Tatsächlich sind wohl die drei wichtigsten lebenden Personen für Kim Frauen: seine Tochter, seine Frau und seine einflussreiche jüngere Schwester Kim Yo-jong.„Kim Jong-un wird sich auf erheblichen Gegenwind einstellen müssen, wenn er Kim Ju-ae zu seiner Nachfolgerin wählt“, prognostiziert Lim. „Die nordkoreanische Gesellschaft, die weiterhin stark von einer patriarchal-konfuzianischen Kultur geprägt ist, müsste sich verändern, um eine Frau an der Macht zu akzeptieren.“ Ausgeschlossen ist das für ihn aber nicht: „Es spricht immer noch vieles dafür, dass Kim Ju-ae die designierte Nachfolgerin ist.“Placeholder authorbio-1