Wahl in Südafrika: Land der zerbrochenen Träume

Korruption Zwölf Prozent der Südafrikaner:innen zahlen Einkommensteuern, aber 62 Prozent brauchen Sozialhilfe. Das gehört zur ernüchternden Bilanz des regierenden Präsidenten Ramaphosa. Gründe gibt es genug, dass seine Partei wohl Federn lassen wird
Ausgabe 21/2024
Alizwa Nondonga ist 15 und lebt in der Provinz Eastern Cape – an vielen Tagen ohne genug essen zu können
Alizwa Nondonga ist 15 und lebt in der Provinz Eastern Cape – an vielen Tagen ohne genug essen zu können

Foto: Per-Anders Pettersson/Getty Images

Wer rettet Südafrika vor sich selbst? Vermutlich nicht die derzeitige Regierungspartei African National Congress (ANC), ebenso wenig der auf Reformen bedachte Präsident Cyril Ramaphosa, der allgemein als Enttäuschung gilt. Auch nicht Russland oder China, auf deren Hilfe die schwächelnde Regierung in Pretoria, die sich mit dem Westen überworfen hat, Hoffnungen setzt. Drei Jahrzehnte nach Nelson Mandelas historischem Wahlsieg von 1994 steht es für die Regenbogennation nicht zum Besten. Afrikas am weitesten entwickeltes Land ist laut Weltbank heute auch das mit der größten Ungleichheit auf dem Kontinent. Die Kriminalität wuchert, die Korruption ist endemisch, das Wachstum geht in den Keller. 60 Prozent der Südafrikaner leben in Armut, und in der schwarzen Bevölkerung sind zwei Fünftel ohne Arbeit.

Insofern stehen die Wähler am 29. Mai vor der Alternative zwischen einem ziemlich angeschlagenen ANC, der laut Prognosen erstmals die parlamentarische Mehrheit verlieren könnte, und einer Ansammlung zerstrittener Oppositionsparteien. Wie 1994 bahnt sich eine grundsätzliche Entscheidung darüber an, welches Südafrika die Bürger wollen. Soll es demokratisch oder autoritär sein, offen oder abgeschottet, einen freien oder regulierten Markt haben, auf Integration oder Ausschluss von Zuwanderern setzen? Vor vergleichbaren Weichenstellungen sehen sich auch andere Schwellenmächte: Nigeria, Brasilien, Mexiko, Iran, Saudi-Arabien und Indonesien. Wie damals, als Mandela seinen Weg in die Freiheit vollendete, wird aufmerksam beobachtet, wohin Südafrika tendiert. Davon wird abhängen, welchen Stellenwert es künftig für Afrika beanspruchen kann.

Woran krankt die Ökonomie? Nach einem Bericht der Weltbank von 2022 bleiben Rassenfragen, das Erbe der Apartheid und ungleich verteilter Landbesitz zentrale Probleme. Noch 30 Jahre nach dem offiziellen Ende der Apartheid verfügen allein zehn Prozent der 60-Millionen-Bevölkerung über 80 Prozent des Reichtums. Versuchen der Regierung, das zu ändern, fehlt es an Konsequenz. Staatschef Ramaphosa beklagte jüngst, dass nur etwa 25 Prozent der agrarischen Nutzfläche im Besitz von schwarzen Südafrikanern seien. Kritiker monieren allerdings, Programme zur Landrückgabe hätten Produktivität und Beschäftigung drastisch verringert.

Ramaphosas Eingeständnisse

Die vom ANC verfolgten „Gleichheitsziele“, die sichern sollen, dass am Arbeitsplatz die ethnische Zusammensetzung des Landes genau widergespiegelt wird, sind ähnlich umstritten. Wenn die offizielle Arbeitslosenquote bei schockierenden 32 Prozent liegt, ergeben sich allein schon daraus große Unterschiede bei den Monatseinkommen schwarzer und weißer Haushalte. Wohnen und Bildung sind ebenfalls beängstigende Konfliktherde, weil die separierenden Praktiken der Vergangenheit weiterhin die Ärmsten benachteiligen.

Weiße Südafrikaner haben längst mit ihren Füßen abgestimmt. Viele sind verärgert über die institutionalisierten, die schwarze Bevölkerung fördernden Black-Economic- Empowerment-Regulierungen und verschreckt wegen überbordender Gewaltverbrechen. Ein Fünftel der weißen Bevölkerung wanderte vornehmlich aus diesen Gründen seit 1994 aus, worauf ein eklatanter Mangel an Fachkräften zurückgeht. Das führte zu weniger Kapitalfluss, gedrosselten Rentenzahlungen sowie zu sinkenden Steuereinnahmen. Nur zwölf Prozent der schwarzen Südafrikaner zahlen Einkommenssteuer, aber 62 Prozent brauchen Sozialhilfe, um über die Runden zu kommen.

In einer Rede zur Lage der Nation gab Cyril Ramaphosa im Februar einen großen Teil der Schuld für das Versagen vergangener Jahre seinem Vorgänger Jacob Zuma, der 2021 für kurze Zeit wegen des Verdachts auf Korruption im Gefängnis saß. „Ein Jahrzehnt lang verschworen sich Einzelne auf der höchsten Ebene des Staates mit Privatleuten bei der Übernahme und Neuausrichtung von Staatsbetrieben, bei der Strafverfolgung und dem Missbrauch öffentlicher Einrichtungen“, klagte der Präsident. „Milliarden von Rand, die für die Bedürfnisse der südafrikanischen Bevölkerung gedacht waren, hat man gestohlen. Das Vertrauen in unser Land wurde erschüttert, die öffentlichen Institutionen sind geschwächt. Die Folgen spürt die gesamte Gesellschaft – durch den Mangel an Lokomotiven, die maroden öffentlichen Dienste und die störanfälligen Kohlekraftwerke.“

Die Rede geriet zur merkwürdigen Einstimmung auf die anstehende Wahl, mit der Ramaphosa eine zweite Amtszeit als Staatschef anstrebt. Mit den benannten Missständen war zugleich ein außergewöhnliches Eingeständnis verbunden – das von Ineffizienz seit seiner Regierungsübernahme im Jahr 2018. Organisierte Korruption war seither weiterhin die organisierte Destruktion.

Herausgefordert ist der ANC nun besonders von der rechten Democratic Alliance, die mit einem Fünftel der Stimmen rechnet. Sie echauffiert sich über nicht finanzierbare Staatsausgaben, das zu geringe Wachstum, Kriminalität und Bestechung. Sollte der ANC weniger als 50 Prozent erhalten, könnten die linksgerichteten Economic Freedom Fighters oder die neue populistische Partei uMkhonto weSizwe (Speer der Nation, getragen von Jacob Zuma) helfend einspringen. Wenn es soweit kommt, stehen schwierige Koalitionsverhandlungen bevor.

Simon Tisdall ist Guardian-Kolumnist

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Simon Tisdall | The Guardian

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