Drakonische Maßnahmen: Huwara im Westjordanland muss um seine Existenz fürchten
Ausnahmezustand Huwara ist faktisch in zwei Teile gespalten. Die palästinensischen Einwohner durften zuletzt Straßen nicht mehr ohne Erlaubnis überqueren und müssen kilometerlange Umwege in Kauf nehmen. Frei bewegen dürfen sich allein israelische Siedler
Palästinenser dürfen in Huwara jetzt wieder von Ost nach West laufen, den Bürgersteig aber nicht benutzen
Foto: Dan Kitwood/Getty Images
Im Zentrum der Kleinstadt Huwara sind alle Geschäfte geschlossen. Tankstellen, Bäckereien, Banken, der Steinmetz, Läden für Süßigkeiten wie für Mobiltelefone. Ein Befehl der israelischen Militärbehörden lässt ihnen keine Wahl. Das hat viel, aber nicht nur mit dem 7. Oktober zu tun, dem Tag des Hamas-Angriffs. Seither ist Huwara faktisch in zwei Teile gespalten. Die palästinensischen Einwohner dürfen Hauptstraßen nicht mehr ohne Erlaubnis überqueren und müssen kilometerweite Umwege in Kauf nehmen, wenn sie in andere Viertel wollen.
Den Übergang zwischen dem West- und dem Ostteil Huwaras bewachen israelische Soldaten mit Maschinengewehren vor einem verriegelten gelben Metalltor. Auf den für Palästinenser
nengewehren vor einem verriegelten gelben Metalltor. Auf den für Palästinenser gesperrten Straßen sind nur noch Fahrzeuge aus den nahe gelegenen jüdischen Siedlungen zu sehen, von denen man weiß, dass dort Hardliner leben. Ihre Häuser stehen auf den umliegenden Hügeln und beherbergen eine ultraorthodoxe Klientel, die im Ruf steht, vor Gewalt gegen Palästinenser nicht zurückzuschrecken.Was Israels Finanzminister Bezalel Smotrich fordertDie Besatzungsmacht verbietet den Palästinensern vor allem den Zugang zur Durchgangsstraße 60, obwohl es eine neue Umgehungsroute für den Verkehr der Siedler gibt. Die ziehen es vor, durch das Zentrum von Huwara zu fahren, um ihren Anspruch auf diese Gegend zu untermauern. In der Westbank gehört der Umgang mit einer Stadt wie dieser zu den extremen Reaktionen der Israelis auf den 7. Oktober. Hardliner der Regierung wie Finanzminister Bezalel Smotrich nutzen die Gunst der Stunde, um neue „Sicherheitszonen“ rings um jüdische Siedlungen zu fordern und so deren Terrain zu vergrößern. Es müsse Gebiete geben, bei denen Palästinenser nicht einmal in deren Nähe kämen – „auch nicht während der Olivenernte“.In Huwara, wo mehr als 7.000 Menschen leben, sind auch etliche Nebenstraßen der Straße Nr. 60 blockiert. Es sei wie einst „zwischen Ost- und Westdeutschland“, bemüht Bürgermeister Moeen Dmeidi einen Vergleich. „Vor Tagen hatten alle Händler beschlossen, ihre Geschäfte wieder zu öffnen, um die Belagerung zu durchbrechen. Daraufhin teilte ihnen die israelische Armee mit, käme es dazu, sei mit einem Angriff der Siedler auf Huwara zu rechnen.“ Bereits im Februar hatte die Armee zugelassen, dass gut 100 bewaffnete Siedler in der Stadt wüteten, nachdem bewaffnete Palästinenser zwei israelische Brüder erschossen hatten. Bei diesem Gewaltausbruch brannten Autos und Geschäfte. Hunderte wurden verletzt.„Wir kämpfen nicht gegen die Israelis“, sagt Bürgermeister Moeen Dmeidi„Nach intensiven, mühseligen Verhandlungen“, so Bürgermeister Dmeidi, „darf man jetzt in der Stadt wieder von Ost nach West laufen, aber nicht den Bürgersteig benutzen. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Nur damit die Siedler zufrieden sind.“ Die Geschäfte seien jetzt seit über einem Monat geschlossen. Dmeidi ist verärgert. „Wir kämpfen nicht gegen die Israelis. Wir haben ihre ungerechten Gesetze befolgt. Wenn wir die Läden wieder öffnen wollen, dann um unseren Lebensunterhalt zu verdienen.“ Einer der Betroffenen ist der 26-jährige „Slash“ Awda, der eine Reinigung betreibt. „Ich hatte nur zehn Minuten geöffnet, da kamen Soldaten und sagten: ‚Mach zu, sofort!‘ Sie erinnerten mich an einen Laden, den die Armee mit einem Bulldozer zerstört hat. Ein Soldat lud seine Waffe durch.“ Viele Palästinenser nutzen Prepaid-Karten, um Wasser und Strom zu bezahlen. Doch die können sie nicht mehr aufladen, weil die Geschäfte verrammelt sind, in denen das normalerweise geschieht. Da auch Bäckereien ein Weiterbetrieb verboten ist, müssen die Menschen zu Hause selbst backen oder zu den noch geöffneten Brotläden in anderen Orten fahren.Die Geschäfte in Huwara sind geschlossen, viele Mitarbeiter erhalten keinen Lohn„Ich komme aus dem Osten der Stadt“, erzählt der Stadtrat Jalal Awda. „Ich wollte in der Stadtverwaltung einige Papiere unterschreiben lassen. Über die Straße sind das ein paar Meter zu Fuß. Stattdessen musste ich 14 Kilometer fahren. Das hat mich zwei Stunden gekostet“, entrüstet er sich. Das sei kein normales Leben mehr, beschwert sich auch der 71-jährige Mohammed Handan. „Wenn ein Verwandter auf der anderen Seite des Ortes lebt, kann ich ihn nicht besuchen. Ich besitze einen Supermarkt, eine Bäckerei und einen Laden für Süßigkeiten. Alle sind seit dem 7. Oktober dicht. Ich habe 15 Mitarbeiter, die nun keinen Lohn mehr erhalten. Jeden Tag werfe ich verdorbene Ware weg.“Was Huwara widerfährt, kommt nicht von ungefähr. Seit langem entladen sich an diesem Ort Spannungen zwischen Siedlern und palästinensischen Einwohnern. Huwara wurde zu einem Brennpunkt der permanenten Krise im Westjordanland, seit der Einfluss von siedlernahen Politikern in der Regierung von Benjamin Netanjahu immer stärker wird. Für sie liefert der Krieg mit der Hamas einen Vorwand dafür, eine immer radikalere Agenda der Enteignung durchzusetzen.Finanzminister Smotrich argumentiert, man könne aus dem 7. Oktober Lehren für israelische Siedlungen in der Westbank ziehen. Dabei hatte er sich bereits am Tag vor dem Hamas-Angriff bei einem Besuch in Huwara, wo es eine Schießerei gegeben hatte, für ein Absperren der Stadt ausgesprochen. „Ich fordere“, so Smotrich, „dass sofort eine schriftliche Order der politischen Spitze an die israelischen Verteidigungskräfte ergeht, großräumige Sicherheitszonen um Siedlungen und Straßen zu schaffen, die Araber auf Abstand halten.“„Ich denke, der Ort Huwara muss beseitigt werden“Weiter sollte denen, die dann keinen Zugang mehr zu ihren Feldern hätten, Schadensersatz gezahlt werden. Zu einem früheren Zeitpunkt ging Smotrich bei einer Rede noch weiter: „Ich denke, der Ort Huwara muss beseitigt werden. Der israelische Staat sollte das übernehmen.“Für Jihad Awda stehen Huwaras Einwohner vor einem schrecklichen Dilemma: „Wir sollten uns dagegen wehren, aber mit möglichst geringen Folgen. Niemand will sterben.“
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