„Stärker als Wut“ von Stefanie Lohaus: Eine Geschichte von Ikonen und über das Kämpfen
Gender* Autorin Stefanie Lohaus zieht in ihrem neuen Buch „Stärker als Wut. Wie wir feministisch wurden und warum es nicht reicht“ eine Bilanz der feministischen Bewegungen. Dabei nimmt sie eine wohltuend unaufgeregte Position ein
Wer demonstriert, braucht Plakate und einprägsame Sprüche
Illustration: der Freitag
Der Begriff Feminismus wirkt heute nicht mehr provokativ. Als Alice Schwarzer in den 1970er Jahren Der kleine Unterschied und seine großen Folgen schrieb, war das anders. Für die damals noch eindeutig männlich geprägte Öffentlichkeit verkörperte sie das stimmige Feindbild der „Emanze“. Durch Auftritte in Talk- und Spielshows näherte sich die einst als „Männerhasserin“ Gescholtene dem bürgerlichen Mainstream an. Gleichstellungspolitische Forderungen wurden salonfähig, Frauen eroberten Ämter und Institutionen.
Das feministische Vorbild Alice Schwarzer aber verlor zusehends an Ausstrahlung, jüngere Mitstreiterinnen suchten sich neue Wege. Inzwischen zieht sich, vor allem wenn es um Themen wie Sexarbeit oder die
Sexarbeit oder die Rechte von Transpersonen geht, ein Graben durch die Bewegung. Dieser verläuft – nicht nur, aber auch – zwischen den Generationen, trennt Alt- von Post- oder Netzfeministinnen.Stefanie Lohaus hat 2008 zusammen mit Chris Köver und Sonja Eismann das Missy Magazine gegründet, ein popkulturell inspirierter publizistischer Gegenentwurf zu der damals längst etablierten Emma. Heute arbeitet sie nur noch beratend in der Zeitschrift mit, ist seit 2023 Teil des Leitungsteams in der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in Berlin, eines Forschungs- und Beratungsinstituts für mehr Vielfalt in Führungspositionen. In ihrem gerade erschienenen Buch Stärker als Wut zieht sie eine Bilanz feministischer Bewegungen aus deutscher Perspektive – und nimmt dabei eine unaufgeregt vermittelnde Position ein.Stärker als Wut versteht sich als historische Aufarbeitung und zugleich als richtungsweisender Appell. Lohaus, geboren 1978 und aufgewachsen im niederrheinischen Dinslaken am Rande des Ruhrgebiets, bezieht sich immer wieder auf eigene Erfahrungen, sie nutzt daher häufig die Ich-Form. Das Buch richtet sich an ein breites Publikum, es wurde bewusst nicht in einem wissenschaftlichen Duktus geschrieben. Die zahlreichen Verweise auf zentrale Werke der Frauen- und Geschlechterpolitik machen aber deutlich, wie intensiv die Autorin originäre Quellen studiert hat.„Emma“ und „Missy Magazine“Lohaus gliedert ihr generationenübergreifendes Porträt etwas schematisch in fünf zeitliche Abschnitte: die 80er (Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine), die 90er (Lasst es glitzern, lasst es knallen, Sexismus in den Rücken fallen), die 2000er (Was kotzt uns richtig an? Die Einteilung in Frau und Mann), die 2010er (No means No, wer das sagt, der meints auch so) sowie die 2020er (Eure Kinder werden so wie wir, eure Kinder werden queer). Die den jeweiligen Jahrzehnten zugeordneten Verszeilen zeigen Entwicklungslinien auf, dokumentieren die sehr unterschiedliche Ausrichtung feministischer Strömungen.Die Resonanz auf das Erscheinen der Missy, erinnert sich die Autorin, war überwältigend. „Die Medienberichterstattung über uns handelte fast immer davon, dass wir neu seien und uns vom alten Feminismus abgrenzen.“ Diese permanente Zuschreibung habe sie als entsolidarisierend empfunden. „Schließlich war uns klar, dass wir das Rad nicht neu erfunden hatten.“ In fast jedem Interview sei sie damals nach Alice Schwarzer gefragt worden. „Unsere Antworten glichen einer Gratwanderung, wir verfolgten keine Spaltung der Generationen.“Doch mittlerweile hat sich, gerade unter Queer-Aktivist*innen, die Abneigung gegen Schwarzer derart verfestigt, dass deren unbestreitbare Verdienste um die Rechte von Frauen – vor allem im Kampf gegen den Abtreibungsparagrafen 218 – im Gender-Diskurs kaum noch gewürdigt werden. Zum einen liegt das an ihren latent fremdenfeindlichen Kampagnen, die sich zum Beispiel in der Bewertung und Nachbereitung der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht offenbarten. Doch auch die Emma-Positionen zur Prostitution und erst recht zu identitätspolitischen Themen stoßen auf starken Widerspruch.Die Frauenbewegung, konstatiert Lohaus, sei die erfolgreichste Bewegung des 20. Jahrhunderts, weil sie an die demokratischen Werte von Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit angeschlossen habe, die dem weiblichen Geschlecht bis dahin verweigert worden waren: „Feminist*innen waren und sind vereint in dem Bestreben, diese Werte zu leben und Wirklichkeit werden zu lassen. Was sie trennt, sind Fragen danach, wessen Erfahrungen im Zentrum der Auseinandersetzung stehen sollten.“Das ist diplomatisch formuliert, verdeckt aber ein wenig die tief sitzenden Kontroversen, die heute die Debatte prägen. Denn das von der französischen Ikone Simone de Beauvoir geprägte Schwarzer-Umfeld und das von der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler beeinflusste LGBTQ-Milieu diskutieren kaum noch miteinander. Stattdessen markieren sie sich gegenseitig mit abwertenden Attributen. TERF zum Beispiel steht für Trans-Exclusionary Radical Feminism, mit diesem Etikett wurde als eine unter vielen die britische Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rawling angegriffen, weil sie in öffentlichen Äußerungen auf der biologischen Binarität der Geschlechter beharrt hatte. Umgekehrt wettert das Magazin Emma ständig gegen eine Anything-goes-Mentalität, die es angeblich Personen mit Penis erlaube, in geschützte Räume wie Frauenhäuser oder Frauensaunen einzudringen.Interessant ist aus der Sicht des männlichen Verfassers dieser Rezension, dass die einst sehr grundsätzliche Frage, ob auch Männer zur feministischen Emanzipation beitragen können, weitgehend in den Hintergrund gerückt ist. Besonders in den 1970er und auch noch in den 1980er Jahren wollte die Frauen- und Lesbenbewegung verständlicherweise erst mal unter sich sein.Die geschlechterpolitischen Diskurse vor allem in internationalen Netzwerken und in der Förderungspraxis der Europäischen Union folgen bis heute der Devise „Gender means women“. So ist ein Vakuum entstanden, das Maskulinisten versuchen zu nutzen. Die vor allem in den Echokammern des Internets präsente antifeministische Männerrechtsbewegung inszeniert sich als Opfer. Sie behauptet, nicht Frauen, sondern Männer seien mittlerweile in nahezu jeder Lebenslage benachteiligt.Schon in der frühen Phase der zweiten Frauenbewegung half es wenig, Männer als „soziale Idioten“ abzuwerten, wie es der männerbewegte Autor Volker Elis Pilgrim selbstgeißelnd tat – oder sie wie die Wiener Feministinnen Cheryl Benard und Edit Schlaffer in ihrer süffisanten Klageschrift Viel erlebt und nichts begriffen als lernunfähige Wesen zu schildern. Auf Augenhöhe debattieren und kooperieren kann man nur mit einem Gegenüber, das nicht ständig mit Vorwürfen überhäuft wird. Das geschlechterpolitische Spektrum hat sich erweitert; intersektionale Themen, aber auch die genderdialogisch orientierte Selbstvertretung männlicher Interessen haben inzwischen eine eigenständige Legitimation. Gut, dass Autorinnen wie Stefanie Lohaus hier zu einer neuen Offenheit beitragen.Placeholder infobox-1
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