Alice Walkers Tagebücher: Eine Ikone des Schwarzen Feminismus
Wunde Punkte Mit „Die Farbe Lila“ wurde Alice Walker weltberühmt. Ihre Tagebücher zeigen ihren Kampf für die Rechte Schwarzer Frauen, aber auch ihr Abdriften in esoterische Verschwörungsmythen
Alice Walkers Tagebücher zeigen eine komplexe Person
Foto: Scott Campbell
„Gott, was für eine dicke Scheiße, durch die Schwarze Frauen durchmüssen“, hielt Alice Walker 1973 in ihrem Tagebuch fest. Zehn Jahre später wurde sie für einen Roman, der diese Scheiße vor Augen führt, als erste Schwarze Schriftstellerin mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. In Die Farbe Lila berichtet ihre Ich-Erzählerin Celie in Briefen an Gott von ihren Erfahrungen als arme Schwarze Frau in den Südstaaten. Sie erzählt von Inzest und patriarchaler Gewalt, aber auch von der erlösenden Kraft echter Liebe, die sie in den Armen von Shug Avery, der Geliebten ihres brutalen Mannes, findet.
Die Farbe Lila erhielt innerhalb weniger Wochen den American Book Award und den Pulitzerpreis, wurde von Steven Spielberg verfilmt und als Mu
pielberg verfilmt und als Musical auf die Bühne gebracht. Nach Jahren im Schatten der Aufmerksamkeit stand Walker plötzlich mitten im Rampenlicht. Der Medienrummel war derart groß, dass sie ihren Anrufbeantworter für sich sprechen lassen wollte: „Hallo, hier ist eine sehr müde Alice Walker. Wenn Sie anrufen, um mir zu gratulieren, danke. Wenn Sie wegen eines Interviews anrufen, ich bin leergeredet.“Der Erfolg hat die Tochter zweier Baumwollpflücker aus Georgia zu einer der renommiertesten Schwarzen Autorinnen des 20. Jahrhunderts gemacht. Millionen Menschen haben durch ihre Texte von der Lebenswirklichkeit Schwarzer Frauen erfahren. Kurz vor ihrem 80. Geburtstag erscheinen nun Teile ihrer Tagebücher aus den Jahren 1965 bis 2000 in der Übersetzung von Cornelia Holfelder-von der Tann. Herausgeberin Valerie Boyd hat aus den 65 Notizbüchern, die noch bis 2040 in der Emory Universität in Atlanta unter Verschluss liegen, eine voluminöse Auswahl an Einträgen zusammengestellt, die verdeutlicht, wie elementar sich Walkers Leben und Schreiben mit den großen gesellschaftspolitischen Fragen des 20. Jahrhunderts überschnitt.Alice Walkers Schwarzer FeminismusIn den 60er Jahren ließ sie eine illegale Abtreibung vornehmen, durchlebte Depressionen und Suizidgedanken, wie man ihren frühen Gedichten entnehmen kann. Als Bürgerrechtlerin war sie Teil der Schwarzen Emanzipationsbewegung, kritisierte in Romanen wie Meridian und Die Farbe Lila aber auch Ungerechtigkeiten innerhalb der Black Community. In den Achtzigern machte sie – unter anderen mit ihrem Roman Sie hüten das Geheimnis des Glücks – auf den Missstand der Genitalbeschneidung in Afrika aufmerksam. Sie setzte sich für die Freiheit der Liebe und der Geschlechter ein, ohne jemals den Blick auf das Schicksal Schwarzer Frauen zu verlieren. Dem Schwarzen Feminismus gab sie mit dem Begriff „Womanismus“ eine eigene Wurzel. All diese Themen werden auch in den Tagebucheinträgen reflektiert.Bei der Lektüre von Blüten sammeln unter Feuer wird deutlich, dass Walker permanent zwischen Freiheit und Verbundenheit hin- und hergerissen war. Permanent kollidierten ihre Rollen als Mutter und Partnerin mit dem Bedürfnis, Ruhe haben zu wollen. Ihr erster Mann, der jüdische Menschenrechtsanwalt Mel Leventhal, Tochter Rebecca, der lebenslange Gefährte Robert Lee Allen, die befreundete Frauenrechtlerin Gloria Steinem sowie ihre späten Partnerinnen, die Sängerin Tracy Chapman und die Naturheilerin Zelie Duvauchelle, erlebten ihr ambivalentes Ringen mit Nähe und Distanz aus nächster Nähe.Das Bedürfnis, sich zurückzuziehen, sei mit ihrem inneren Kind verbunden, das „misshandelt und verlassen“ in einer „der vielen schrecklichen Bretterhütten“ kauert, notierte Walker im Sommer 1990. Um dieser „Bretterbudenangst“ zu entkommen, sammelte die erfolgreiche Autorin emsig Immobilien. In ihren Tagebüchern führte sie akribisch Buch, zwischen Träumen, Tagesnotizen oder Anekdoten finden sich Listen mit Einnahmen, Ausgaben und Investitionen. So dokumentierte sie ihren Aufstieg, der Stolz, Konflikte und Eigentümlichkeiten beförderte. Als sie 1983 Tantiemen in sechsstelliger Höhe erhielt, erhitzte sie sich im Tagebuch, dass sich ihre Schwester nicht für einen 22-Dollar-Scheck bedankt habe. Die Lichtgestalt Alice Walker war nie fehlerlos, das wird in den Tagebüchern so sichtbar wie nie.Leerstellen in den TagebüchernMit den Tagebüchern blickt man hinter die Fassade der öffentlichen Person und stößt auf eine andere, weniger literarische und in ihrer Ehrlichkeit auch verletzlichere Stimme. Zugleich war Walker in vielen Dingen ihrer Zeit voraus. Ende 1977 notierte die später bisexuell lebende Walker, „das Problem am Sex ist, dass die Leute sich angewöhnt haben, zu denken, man müsse ,ambivalent‘ oder ,hingabebereit‘, ,hetero‘ oder ,schwul-lesbisch‘ sein. Entweder-oder. Aber die Natur ist da viel interessanter.“Zugleich fragt man sich ständig, was diese Zusammenstellung alles ausklammert. So erfährt man nahezu nichts über die Schwesternschaft, die Alice Walker mit Toni Morrison oder Audre Lorde verband. Auch von ihrer Auseinandersetzung mit der Literatur von Langston Hughes, Zora Neale Hurston, James Baldwin oder Nella Larsen findet man oft nur Andeutungen. Begegnungen mit Zeitgenoss:innen wie bell hooks oder Salman Rushdie geraten zur Randnotiz. Ob hier wunde Punkte ausgelassen wurden? Wer weiß.In den Neunzigern bekommen die Tagebücher esoterische Züge. Zeilen wie „Die Vorfahren sind präsent & hilfreich. Die Erd- und Pflanzengeister winken einladend“ lassen den Weg in die Irrationalität erahnen, der Walker bis in die Arme antisemitischer Verschwörungstheoretiker wie David Icke geführt hat. Um diesen Irrweg nachzuvollziehen, bräuchte es die späteren Tagebücher, die womöglich auch Aufschluss gäben, wie sie zu Vorwürfen, israelfeindlich und antisemitisch zu sein, steht.„Mein Gott, was wollen Schwarze Schriftstellerinnen? Wir wollen Freiheit. Die Freiheit, wir selbst zu sein. Das Unschreibbare zu schreiben. Das Undenkbare zu denken. Es zu wagen, die Welt in ein Gespräch zu verwickeln, das sie noch nie geführt hat“, liest man in einem Eintrag aus dem Jahr 1980. Dieser unbedingte Freiheitsanspruch prägt auch ihre Tagebücher, in denen sie ihr Innerstes mit den Härten der Welt schonungslos konfrontierte.Placeholder infobox-1
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