Seit den verbalen und tätlichen Übergriffen und der Eskalation um eine von linken Demonstranten gestörte Veranstaltung des rechten Antaios-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse hat sich eine sehr breite Diskussion darüber entwickelt, die man gut auf den Titel eines vielbeachtet auf der Messe erschienenen Buchs bringen kann: “Mit Rechten reden”. Das Spektrum in dieser Debatte reicht naturgemäß von “Mit Rechten muss man reden (jetzt erst recht)” bis “Mit Rechten darf/kann/soll man nicht reden (und jetzt erst recht nicht mehr)”.
Den vorläufigen Höhe- und Tiefpunkt hat vielleicht am Sonntag in ihrer Kolumne bei Spiegel Online Sibylle Berg erreicht. Sie entlarvt zwar nicht ganz unzutreffend die hohle Phrase eines linken “sich positionieren Müssens” und die widerliche Eklatanz in den unterschiedlichen Reaktionen auf “rechte” und “linke” Straftaten seitens der Behörden. Und doch ist ihr fatalistisches Resümee, “die Zeit des Redens ist vorbei”, und ihre letzte Hoffnung auf den linken “Schwarzen Block, die jungen Menschen der Antifa, die Faschisten mit dem einzigen Argument begegnen, das Rechte verstehen”, herablassend, viel zu einseitig und offensichtlich falsch. Hier sollte dringend differenziert werden – wohlgemerkt aber ohne irgendetwas zu relativieren.
Zunächst: Von Seiten der selbsternannten Verteidiger der Demokratie, zu denen mit Sicherheit auch Sibylle Berg sich zählt, darf “die Zeit des Redens” so lange nicht vorbei sein, wie ein Reden noch irgendwie möglich ist. Alles andere wäre ein großer Selbstwiderspruch. Und dass man etwa mit Antaios-Verleger Götz Kubitschek oder dem Identitären Martin Sellner, dessen Auftritt auf der Buchmesse verhindert wurde, nicht mehr reden könne, wird wohl niemand behaupten. Im Gegenteil. Vielleicht wird gerade mit ihnen und über sie sogar viel zu viel geredet und dafür über andere wichtige - und eventuell sogar wichtigere – Dinge und Menschen zu wenig oder gar nicht. Umgekehrt war es doch gerade die von Sibylle Berg beschworene Antifa, die bei Kubitscheks und Sellners Veranstaltung zuerst zu brüllen und zu stören begonnen und versucht hat, die Veranstaltung zu verhindern. Mit wem ist hier ein Reden nicht möglich?
Etwas völlig anderes ist freilich der Fall, wenn einem linken Verleger auf einer Veranstaltung der rechten Jungen Freiheit mit der Faust ins Gesicht geschlagen wird – egal wie laut er in Richtung Podium “Halt die Fresse” gerufen hat. Denn hier ist zwar offensichtlich von beiden Seiten die Zeit des Redens beendet worden, aber von einer Seite immerhin im diesmal noch halbwegs hoffnungsvollen Selbstwiderspruch einer direkten Anrede, und nur von der anderen Seite mit Gewalt, der gegenüber dann eine verteidigende Gegengewalt angemessen sein kann. Vor allem aber müssen hier die Mechanismen des Rechtsstaats greifen, um diesen Angriff zu ahnden, und zwar in keiner Weise geringer als gegen vermeintliche Angreifer unter den Demonstranten gegen den G20-Gipfel in Hamburg, auf die Berg sich bezieht.
Es kommt aber eben genau auf diesen Unterschied an zwischen “Rechten”, mit denen man reden kann, und solchen, mit denen man (in einer bestimmten Situation) nicht reden kann. Alles andere ist unterkomplex und letztlich nicht weniger demokratiefeindlich, als man es auch vielen “redefähigen” Rechten inhaltlich zu Recht vorwerfen kann.
Wieder etwas anderes und vielleicht die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen exponierten Figuren wie eben Kubitschek und Sellner, aber auch Politikern wie Björn Höcke (der auch auf der besagten Veranstaltung war), und denjenigen im Hintergrund, die ihre Bücher aus welchen Gründen auch immer kaufen und lesen, ihre Ideen mehr oder weniger unterstützen, oder oftmals keine andere Möglichkeit sehen (wollen), als ihre Partei aus Protest gegen alle anderen Parteien zu wählen. Und hier ist letztlich wohl viel wichtiger, mit denen im Hintergrund zu reden. Denn so wichtig es ist, die rechten Vordenker und Politiker im öffentlichen Diskurs zu stellen und bloßzustellen – sei es im direkten oder im indirekten Gespräch –, so gering ist doch die Aussicht, dass man sie dadurch zu einer – am Ende noch öffentlichen – Änderung ihrer Ansichten zu bewegen vermöchte.
Viel größer und wichtiger dagegen ist die Chance, dass man mit Menschen, die aus verschiedenen Gründen frustriert, enttäuscht oder einfach nur wütend sind, in besonnenen Streit-, aber ja, auch verständnisvollen Gesprächen (Berg selbst nennt die “neoliberale Aushöhlung der Menschlichkeit” als das die “rückwärtsgewandten Links-rechts-Schlachten” obsolet Machende) im besten Fall gemeinsam neue Perspektiven und Alternativen zu entwickeln versuchen kann. Oder auch erstmal nur das Schlimmste zu verhindern. Denn wo Reden (auch nur gerade noch) möglich ist, ist es immer das beste - und vielleicht sogar das einzige -, was wir haben, um unsere Menschlichkeit zu verteidigen und zu bewahren.
Es ist vollkommen richtig: Rechtsextreme und (proto-)faschistische Bewegungen sind eine äußerst ernstzunehmende Bedrohung. Aber wer die Auseinandersetzung mit ihnen nicht am Ende auf bürgerkriegsähnliche Zustände hinauslaufen lassen will, muss dringend differenzieren lernen. Auch um dann besser Position beziehen zu können.
Dieser Text erscheint demnächst auch bei demokratiEvolution.
Kommentare 3
Nur kurze Zeit habe ich die politsche Diskussion über den Rechtsrutsch in diesem unseren Lande nicht verfolgt und muss nun auf einmal eine völlig andere Grundstimmung erleben.
Da scheint ein ungeheurer Redebedarf zu bestehen. Es bricht ja regelrecht hervor. Mit Nazis reden, aber nicht mit allen. Nicht mit den scharfen Nazis. Doch, mit allen reden. Reden mit statt reden über. Direkt reden, indirekt reden. Reden ohne Tabus. Vorher die Rederegeln festlegen. Reden, um zu entlarven. Reden, ohne zu entlarven. Reden, um im Kulturkampf zu siegen. Reden, um einem Bürgerkrieg vorzubeugen. Hast du heute schon mit einem Nazi geredet? Ich schon, als Demokrat. Und wann wirst du es tun? Trau dich! Ist doch nicht ansteckend. Lieber mit- als gegeneinander. Oder doch andersherum? Nimm die Nazis ernst! Auch menschlich.
Im Ernst: Ich halte es diesbezüglich mit Habermas. "Statt um die "besorgten Bürger" herumzutanzen, sollte man sie als das abtun, was sie sind -der Saatboden für einen neuen Faschismus". Worüber sollte man denn mit den alten und neuen Rechten reden? Über die angebliche Ungleichheit der Menschen? Über "Ethnopluralismus"? Über räumliche Separierung? Über den "großen Bevölkerungsaustausch"? Über die "männliche Nation"? Über "nationalen Widerstand" und "Thymos"? Über "Identität"? Über "modernen Patriotismus"? Über den "Ernstfall"? Über Gegensätze und Gemeinsamkeiten, die - wie im Besinnungsaufsatz - zu einer sehr deutschen Synthese geführt werden.
Das Ganze scheint mir so absurd, dass ich den plötzlichen Rededrang nur als Panik oder Verzweiflung interpretieren kann. Da hat sich viel angestaut. Frust angesichts der permanenten Niederlagen der Linken zum Beispiel, während die Rechten immer stärker werden. Vielleicht kann man das Tier ja mit gutem Zureden besänftigen. Nur genau das geht nicht. Das Tier wird stärker. Dafür läuft man Gefahr sich anzupassen.
Fazit. Mit Rechten reden, aber natürlich. Mein Vorschlag: "Hallo" und "Tschüss".
Man muss differenzieren, aber nicht relativieren, ja das kenne ich. Das mit dem nicht Relativieren muss man immer sofort dazusagen, denn jede differenzierte Meinung trifft im aufgekratzten Diskurs sehr schnell auf den Relativierungs-Vorwurf. Vielleicht sollten wir nicht so viel unterstellen, z.B. dass wenn man mit AfDlern reden will, man ein Relativierer rechter Gesinnung und schlussendlich auch Gewalt sei. Das ist nämlich von der Logik her ähnlich wie zu sagen Kritik an der Politik Israels sei automatisch Antisemitismus.
NaTÜRlich muss man reden. Als die PEGIDA aufkam, war es auf Facebook ein zweifelhafter Trend, seine Freundesliste nach Leuten zu durchforsten, die die Facebook-Seite von PEGIDA geliked haben und diese dann aus der eigenen Freundesliste rauszuschmeißen. Das gleiche später mit der AfD. Das ist an sich das kontraproduktivste was man in dieser Situation machen kann. Die PEGIDA- und AfD-Anhänger werden abgekapselt von anderen Meinungen und Weltbildern und lullen sich ein in ihre Blase, bis sie das Gefühl haben, sie müssen ja mit allem Recht haben, weil ihnen jeder nur noch zustimmt. Zu der Erkenntnis bedarf es eigentlich keines Geistesblitzes, und doch ist es immernoch gang und gäbe dass kluge, vernünftige und verantwortungsbewusste Menschen lieber nichts aus der "bösen Parallelwelt" der Rechten hören wollen und sich gegen diese abschotten und damit den Umkehrschluss ebenso vollziehen.
Falls Sybille Berg wirklich ernstgemeint geschrieben hat (sie ist durchaus für sehr subversive Ironie bekannt), dass (sinngemäß) die Antifa nun mal den Rechten schön aufs Maul hauen soll, weil was anderes würden die nicht verstehen, dann bin ich ganz schön enttäuscht von ihr, muss ich sagen. Gewalt sprechen lassen ist, ja ich bin da jetzt mal drakonisch, IMMER falsch (Selbstverteidigung außen vor gelassen). Deshalb war ich auch der Meinung dass die spanische Regierung mit ihrem harten gewaltsamen Durchgreifen bei der Abstimmung der Katalanen sich delegitimiert hat, trotz einwandfreier Rechtslage. Wer mit Gewalt anfängt, hat nie Recht. Die Antifa genausowenig wie die Nazis.
Klingt soweit erstmal einleuchtend, auch wenn es mir nicht im Traum einfiele, einen Beitrag von S.B. zu lesen. Die Problematik beginnt natürlich da, wo Rechte gar kein Interesse an einer Diskussion zeigen, sondern Gesprächsangebote zu nutzen suchen, um die eigenen Ansichten populistisch-mundgerecht verpackt unter die Bevölkerung zu bringen. Da wird dann das theoretisch sinnvolle Gespräch schnell zur Bühne für rechte Bauernfängerei, während auf Fragen wie üblich keine Antwort erfolgt.
Im persönlichen Umfeld oder Kneipengespräch sieht das natürlich anders aus.