Mit Rechten reden? Differenzieren, bitte!

Streitkultur Die Debatte über die Eskalation auf der Buchmesse ist eskaliert, die Zeit des Redens sei vorbei. Dabei ist das ein antidemokratischer Widerspruch. Zeit zu differenzieren!

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Mit Rechten reden? Differenzieren, bitte!

Bild: cheskapoon/Pixabay (CC0)

Seit den verbalen und tätlichen Übergriffen und der Eskalation um eine von linken Demonstranten gestörte Veranstaltung des rechten Antaios-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse hat sich eine sehr breite Diskussion darüber entwickelt, die man gut auf den Titel eines vielbeachtet auf der Messe erschienenen Buchs bringen kann: “Mit Rechten reden”. Das Spektrum in dieser Debatte reicht naturgemäß von “Mit Rechten muss man reden (jetzt erst recht)” bis “Mit Rechten darf/kann/soll man nicht reden (und jetzt erst recht nicht mehr)”.

Den vorläufigen Höhe- und Tiefpunkt hat vielleicht am Sonntag in ihrer Kolumne bei Spiegel Online Sibylle Berg erreicht. Sie entlarvt zwar nicht ganz unzutreffend die hohle Phrase eines linken “sich positionieren Müssens” und die widerliche Eklatanz in den unterschiedlichen Reaktionen auf “rechte” und “linke” Straftaten seitens der Behörden. Und doch ist ihr fatalistisches Resümee, “die Zeit des Redens ist vorbei”, und ihre letzte Hoffnung auf den linken “Schwarzen Block, die jungen Menschen der Antifa, die Faschisten mit dem einzigen Argument begegnen, das Rechte verstehen”, herablassend, viel zu einseitig und offensichtlich falsch. Hier sollte dringend differenziert werden – wohlgemerkt aber ohne irgendetwas zu relativieren.

Eingebetteter Medieninhalt

Zunächst: Von Seiten der selbsternannten Verteidiger der Demokratie, zu denen mit Sicherheit auch Sibylle Berg sich zählt, darf “die Zeit des Redens” so lange nicht vorbei sein, wie ein Reden noch irgendwie möglich ist. Alles andere wäre ein großer Selbstwiderspruch. Und dass man etwa mit Antaios-Verleger Götz Kubitschek oder dem Identitären Martin Sellner, dessen Auftritt auf der Buchmesse verhindert wurde, nicht mehr reden könne, wird wohl niemand behaupten. Im Gegenteil. Vielleicht wird gerade mit ihnen und über sie sogar viel zu viel geredet und dafür über andere wichtige - und eventuell sogar wichtigere – Dinge und Menschen zu wenig oder gar nicht. Umgekehrt war es doch gerade die von Sibylle Berg beschworene Antifa, die bei Kubitscheks und Sellners Veranstaltung zuerst zu brüllen und zu stören begonnen und versucht hat, die Veranstaltung zu verhindern. Mit wem ist hier ein Reden nicht möglich?

Etwas völlig anderes ist freilich der Fall, wenn einem linken Verleger auf einer Veranstaltung der rechten Jungen Freiheit mit der Faust ins Gesicht geschlagen wird – egal wie laut er in Richtung Podium “Halt die Fresse” gerufen hat. Denn hier ist zwar offensichtlich von beiden Seiten die Zeit des Redens beendet worden, aber von einer Seite immerhin im diesmal noch halbwegs hoffnungsvollen Selbstwiderspruch einer direkten Anrede, und nur von der anderen Seite mit Gewalt, der gegenüber dann eine verteidigende Gegengewalt angemessen sein kann. Vor allem aber müssen hier die Mechanismen des Rechtsstaats greifen, um diesen Angriff zu ahnden, und zwar in keiner Weise geringer als gegen vermeintliche Angreifer unter den Demonstranten gegen den G20-Gipfel in Hamburg, auf die Berg sich bezieht.

Es kommt aber eben genau auf diesen Unterschied an zwischen “Rechten”, mit denen man reden kann, und solchen, mit denen man (in einer bestimmten Situation) nicht reden kann. Alles andere ist unterkomplex und letztlich nicht weniger demokratiefeindlich, als man es auch vielen “redefähigen” Rechten inhaltlich zu Recht vorwerfen kann.

Wieder etwas anderes und vielleicht die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen exponierten Figuren wie eben Kubitschek und Sellner, aber auch Politikern wie Björn Höcke (der auch auf der besagten Veranstaltung war), und denjenigen im Hintergrund, die ihre Bücher aus welchen Gründen auch immer kaufen und lesen, ihre Ideen mehr oder weniger unterstützen, oder oftmals keine andere Möglichkeit sehen (wollen), als ihre Partei aus Protest gegen alle anderen Parteien zu wählen. Und hier ist letztlich wohl viel wichtiger, mit denen im Hintergrund zu reden. Denn so wichtig es ist, die rechten Vordenker und Politiker im öffentlichen Diskurs zu stellen und bloßzustellen – sei es im direkten oder im indirekten Gespräch –, so gering ist doch die Aussicht, dass man sie dadurch zu einer – am Ende noch öffentlichen – Änderung ihrer Ansichten zu bewegen vermöchte.

Viel größer und wichtiger dagegen ist die Chance, dass man mit Menschen, die aus verschiedenen Gründen frustriert, enttäuscht oder einfach nur wütend sind, in besonnenen Streit-, aber ja, auch verständnisvollen Gesprächen (Berg selbst nennt die “neoliberale Aushöhlung der Menschlichkeit” als das die “rückwärtsgewandten Links-rechts-Schlachten” obsolet Machende) im besten Fall gemeinsam neue Perspektiven und Alternativen zu entwickeln versuchen kann. Oder auch erstmal nur das Schlimmste zu verhindern. Denn wo Reden (auch nur gerade noch) möglich ist, ist es immer das beste - und vielleicht sogar das einzige -, was wir haben, um unsere Menschlichkeit zu verteidigen und zu bewahren.

Es ist vollkommen richtig: Rechtsextreme und (proto-)faschistische Bewegungen sind eine äußerst ernstzunehmende Bedrohung. Aber wer die Auseinandersetzung mit ihnen nicht am Ende auf bürgerkriegsähnliche Zustände hinauslaufen lassen will, muss dringend differenzieren lernen. Auch um dann besser Position beziehen zu können.

Dieser Text erscheint demnächst auch bei demokratiEvolution.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Wohlfarth

Politische Theorie und Kultur

Tom Wohlfarth

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