Kommerz schreibt Geschichte

Form und Substanz Ist eine Revolution erst erfolgreich, wenn sie sich im Anschluss gut vermarkten lässt? Der aktuelle Umgang mit der Deutschen Einheit lässt dies zumindest vermuten
Ausgabe 42/2018
Viele der ostdeutschen Forderungen verhallten in der Wendezeit
Viele der ostdeutschen Forderungen verhallten in der Wendezeit

Foto: imago/Müller-Stauffenberg

In dieser Woche liegt ein Magazin mit einer Geschichte über Revolutionen am Kiosk und verspricht Antwort auf die Frage, „warum die Deutschen so oft scheitern“. Die Autorin des Buches Zonenkinder, Jana Hensel, fühlte sich daraufhin zu einer Richtigstellung veranlasst: „1989 sind die Ostdeutschen aber nicht gescheitert. Unsere Revolution war erfolgreich.“ Ihr Tweet fand Beifall, etwa bei der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, die das Magazin mit einem „Schade“ ermahnte. War das nötig? Die Revolution von 1989 „gilt als die einzige, die den Deutschen wirklich gelungen ist“, heißt es doch in der Illustrierten. Liegt also in Wahrheit Frau Hensel daneben?

Kommt drauf an. Man kann über Erfolge schwerlich reden, wenn man das Kriterium dafür nicht kennt. Ein Vorschlag: Das Aufbegehren im Osten begann weit links von dem, was heute in der herrschenden Erinnerung davon übrig ist. „Eine demokratische, soziale und ökologische Gesellschaft in der Fortführung der sozialistischen Tradition“ sei das Ziel, konnte man etwa beim Demokratischen Aufbruch lesen.

Der Wendeherbst startete also mit Forderungen, die wir heute als linke, als progressive Forderungen bezeichnen würden. Was das betrifft, und man könnte hier viele Appelle, Flugblätter und Gründungserklärungen des DDR-Jahres 1989 aufzählen, muss diese Revolution tatsächlich als gescheiterte angesehen werden. „Alternativen zur westlichen Konsumgesellschaft“, die etwa das Neue Forum damals für nötig hielt, weil „deren Wohlstand die übrige Welt bezahlen muss“, fehlen bis heute.

Allerdings ist von solch einer Revolution in dem Magazin gar nicht die Rede. Dort schreibt man über die Geschichte von ihrem Ende her: Wir sind ein Volk, Westgeld, Wiedervereinigung. Ist der Hinweis auf ein paar zuvor verfolgte Träumereien von damals also bloß geschichtspolitische Korinthenkackerei? Die Mehrheit wollte es doch anders.

Mag sein. Mit „Hätte, hätte, Fahrradkette“ kommt man beim Blick zurück tatsächlich nicht weit. Also schauen wir nach vorn. Es geht bei diesem Teil der Vergangenheit nämlich heute längst um etwas ganz anderes – um den deutschen Tourismus und seine Umsätze. Vor ein paar Tagen beugte sich der für die Reiseindustrie zuständige Ausschuss des Bundestags über die offiziellen Planungen für die Jubiläen „30 Jahre Wende, 30 Jahre Deutsche Einheit“, die 2019 und 2020 begangen werden. Um Revolutionen sorgte man sich in der Runde weniger, eher um Rendite.

Aktuelle Planungen der Regierung, „insbesondere zur Verwertung dieser Jubiläen für die Selbstdarstellung des Reiselandes“, seien ganz und gar nicht ausreichend, wurde im Ausschuss gerügt. Wer Ereignisse in der Erinnerungsbiografie habe, „um die uns die ganze Welt beneidet“, klagte ein Sozialdemokrat, müsse aus einem Doppeljubiläum doch mehr „mitzunehmen“ haben als ein bisschen Kulturprogramm, Volksfest und Ausflüge an die einstige Mauer. So ein Aufbegehren, und sei es nur eines in der untergegangenen DDR, wäre unter Wert verkauft, würde man daraus nicht einen gesamtdeutschen Standortfaktor machen.

Kommerz rückt sich Geschichte zurecht, eine Revolution als Wettbewerbsvorteil. „Auf dem touristischen Weltmarkt belege Deutschland derzeit den siebten Platz“, heißt es zur Sache aus dem Parlament – nicht zuletzt der wachsenden Tourismusströme in den Osten wegen. Die Besucherzahl „im Gebiet der ehemaligen DDR“ hat sich seit der Wende verfünffacht. Immerhin weiß man in diesem Fall, was das Kriterium des Erfolgs der Revolution ist. Es zu erreichen, muss sich die Bundesregierung noch ein bisschen anstrengen.

Tom Strohschneider war Redakteur des Freitag, arbeitete dann kurz bei der taz und von 2012 bis 2017 als nd-Chefredakteur

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