Stella Assange: „Julian könnte am Tag nach der Anhörung im Flugzeug in die USA sitzen“

Interview Stella Assange spricht im „Freitag“-Interview über die Anhörung ihres Mannes vor dem obersten britischen Gericht, ihren Blick auf den Rechtsstaat Großbritannien und ihre Befürchtungen für die Zukunft von Demokratien
Stella Assange: „Dieser Fall ist der größte Angriff auf den internationalen Journalismus, den die Welt je gesehen hat“
Stella Assange: „Dieser Fall ist der größte Angriff auf den internationalen Journalismus, den die Welt je gesehen hat“

Foto: Felice De Martino/Italy Photo Press/picture alliance

der Freitag: Frau Assange, es ist in den vergangenen Monaten sehr ruhig geworden um Ihren Mann. Wie geht es ihm?

Körperlich haben sich seine gesundheitlichen Probleme verschlimmert, er altert vorzeitig. Er ist seit fünf Jahren im Hochsicherheitsgefängnis, mit den Einschränkungen eines Schwerverbrechers – ohne verurteilt zu sein. Nur, weil die USA seine Auslieferung beantragt haben.

Wie geht es ihm mental?

Es ist ein ständiger Kampf. Julian bekommt viele unterstützende Briefe und Nachrichten, es ist sehr wichtig für ihn zu wissen, dass er nicht allein für seine Freiheit kämpft. Die Besuche von meinen Kindern und mir im Gefängnis sind sehr wichtig für ihn.

Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?

Am 3. Februar. Der nächste Besuch wird am 17. Februar sein – kurz vor der Anhörung, bei der über seine Auslieferung an die USA entschieden werden soll. Es ist eine schwierige Zeit für ihn, aber er konzentriert sich auf die bevorstehende Verhandlung. Er hofft, dass er bei der Anhörung dieses Mal dabei sein darf. Beim letzten Mal wurde ihm dieses Recht verweigert.

Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie Julian Assange kennengelernt haben?

Es hat sich um 180 Grad gedreht. Meine Prioritäten im Leben, die Art und Weise, wie ich die Welt um mich herum verstehe. Auch die Welt hat sich seitdem verändert. Als ich Julian kennenlernte, waren die westlichen Demokratien offener und setzten sich stärker für bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte ein. Die westliche Welt hat sich ruckartig in Richtung Autoritarismus entwickelt.

Das klingt, als hätten Sie Ihr Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit verloren.

Mein Mann ist durch den Missbrauch des Rechts verfolgt worden, daher habe ich eine zynische Perspektive auf den Begriff. Ich habe miterlebt, wie ein politisch motivierter Fall durch mehrere Instanzen gegangen ist, habe zugesehen, wie mehrere Richter die Augen vor dem Recht verschlossen und unsere Beweise missachtet und Berufungen abgelehnt haben. Ohne politische Interessen hätte Julian nicht einen einzigen Tag im Gefängnis verbracht. Das Land, das ihn ausgeliefert wissen will, hat ein Mordkomplott gegen ihn geschmiedet. Das Ersuchen selbst verstößt gegen Artikel 4 des Auslieferungsvertrags zwischen den USA und Großbritannien, der Auslieferungen wegen politischer Straftaten verbietet.

Mit welchen Gefühlen gehen Sie in die Anhörung am 20. und 21. Februar?

Ich kenne den bisherigen Verlauf zu gut, um mir große Hoffnungen zu machen. Julian wird gut verteidigt, aber wenn selbst handfeste Beweise dafür, dass die US-Regierung konkrete Pläne zur Ermordung Julians erörtert und geschmiedet hat, von den britischen Gerichten beiseite gewischt werden, muss man sich fragen, was geschehen müsste, um Objektivität vor Gericht herzustellen. Natürlich wünsche ich mir nichts sehnlicher, als falsch zu liegen: am 21. Februar eine ja sehr leicht zu begründende Entscheidung zu hören, dass Julian nicht ausgeliefert und freigelassen wird.

Carl Court/Getty Images

Julian Assange lebt seit elfeinhalb Jahren in Gefangenschaft. Von Juni 2012 bis April 2019 war er im politischen Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London, wo Stella Moris Assange als seine Anwältin kennen und lieben lernte. Seit Frühjahr 2019 sitzt er in Haft, zunächst wegen eines Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen, seit fast vier Jahren, weil die USA seine Auslieferung wegen angeblichen Geheimnisverrats fordern. Sie haben zwei gemeinsame Kinder, fünf und sechs Jahre alt, die ihren Vater nur bei Gefängnisbesuchen sehen.

Am 21. Februar 2024 will der britische High Court entscheiden, ob Julian Assange von Großbritannien an die USA ausgeliefert werden darf. Wenn die Richter die Berufung von Assanges Anwälten ablehnen, könnte er in den Vereinigten Staaten nach dem mehr als hundert Jahre alten Espionage Act angeklagt und zu bis zu 175 Jahren Gefängnis verurteilt werden. Alle großen Menschenrechtsorganisationen sprechen von einem politisch motivierten Prozess und fordern Assanges sofortige Freilassung.

In der Anklageschrift vom Juni 2020 werden Julian Assange 18 Straftaten vorgeworfen, darunter eine Verschwörung zum Hacken von Computern. Im Kern wirft die Anklageschrift ihm vor, vertrauliche Informationen von der US-Armee erhalten und veröffentlicht zu haben. In Demokratien ist der gängige Begriff dafür Journalismus, auch wenn er Regierungen schwächen und stürzen kann.

Wenn die Berufung, wie zu erwarten ist, abgelehnt wird, was wäre dann der nächste Schritt?

Julian wird sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden und dort eine Eilanordnung beantragen, um das Vereinigte Königreich daran zu hindern, ihn in ein Flugzeug zu setzen. Dies geschieht nicht automatisch. Julians Leben wird zu diesem Zeitpunkt in den Händen der europäischen Richter liegen. Es ist fraglich, ob Großbritannien eine solche Anordnung respektieren wird.

Das heißt, Sie befürchten, dass Ihr Mann sofort ausgeliefert wird?

Das könnte sein. Julian könnte schon am Tag nach der Anhörung in einem Flugzeug in die Vereinigten Staaten sitzen, wenn er verliert. Das Vereinigte Königreich würde gegen internationales Recht verstoßen, wenn es sich nicht an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hält – aber ich halte das nicht für unmöglich.

Der Fall Assange wird in den deutschen Medien nur noch gelegentlich erwähnt – und wenn, dann melden sich Oppositionspolitiker oder Menschenrechtler zu Wort, obwohl sich zum Beispiel Annalena Baerbock und Robert Habeck für die Freilassung Ihres Mannes ausgesprochen haben, bevor sie Regierungsverantwortung übernahmen. Warum ist es so still geworden?

Julians Fall ist durch und durch politisiert. Das Schweigen ist beunruhigend. Es gibt kein echtes Engagement für die Menschenrechte oder die Pressefreiheit, wenn europäische Regierungen sich scheuen, die Regierungen anzuprangern, die Julian im Gefängnis leiden lassen, weil er Beweise für Kriegsverbrechen veröffentlicht hat. Ich sehe hier eine Entwicklung, die mich tief beunruhigt. Aber es gibt auch Hoffnungsschimmer, trotzdem.

Welche fallen Ihnen ein?

Die internationale Unterstützung aus der Zivilgesellschaft, von Prominenten, ehemaligen Ministern, auch aus Deutschland, ich denke da an Günter Wallraff, Sigmar Gabriel oder Gerhart Baum. Ich habe mich vergangenes Jahr mit einem deutschen Beamten des Außenministeriums getroffen und hoffe, dass hinter den Kulissen mehr passiert, auch wenn die regierenden Politiker die Schmierenkomödie um meinen Mann nicht öffentlich anprangern. Ich hoffe, dass sie hinter den Kulissen etwas tun. Ich weiß es aber nicht.

Ihr Mann ahnte früh, was kommen könnte. Schon im Sommer 2010, als er die Veröffentlichung der Geheimdokumente über Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak mit internationalen Medien wie „New York Times“, „The Guardian“ oder „Der Spiegel“ vorbereitete, glaubte er, dass die USA ihn nach dem Espionage Act verfolgen könnten. Dann tauchten in Schweden Vergewaltigungsvorwürfe auf, die zwar längst widerlegt sind, aber den Diskurs in eine andere Richtung lenkten. War er zu unvorsichtig?

Er war nicht leichtsinnig. Das Spionagegesetz wurde umfunktioniert, um den Journalismus zu kriminalisieren. Es ist das erste Mal, dass ein Journalist auf der Grundlage des Spionagegesetzes strafrechtlich verfolgt wird. Es ist ein Präzedenzfall, der angestrengt wurde, damit die US-Regierung unter Trump ihn als Waffe einsetzen kann, um die Presse einzuschüchtern und Journalisten zu inhaftieren – und nicht nur ihre Quellen. Die USA haben das Spionagegesetz auf eine Weise eingesetzt, wie autoritäre Regime ihre Geheimhaltungsgesetze nutzen, um Journalisten zu verhaften.

Die Obama-Regierung hatte eine Strafverfolgung abgelehnt, die Trump-Regierung verlangte Assanges Auslieferung.

… und die Biden-Administration hat sie zu ihrer Schande aufrechterhalten.

Wie lesen Sie als Juristin die Anklageschrift?

Die US-Staatsanwälte haben eine bewusste Zweideutigkeit geschaffen. In Wirklichkeit hatte Chelsea Manning (die Whistleblowerin, die Wikileaks Geheimdokumente zuspielte) Zugang zu allen Datenbanken, weil das ihr Job war. Die Anklageschrift ist in mehrfacher Hinsicht gefährlich für die journalistische Gemeinschaft. Die Verwendung von Anonymisierungswerkzeugen wie TOR wird als Beweis für kriminelle Aktivitäten angeführt. Jeder gute investigative Journalist kennt und nutzt TOR bei seinen Online-Recherchen. Die Anklageschrift kriminalisiert den Erhalt von Informationen aus einer Quelle. Dies ist derselbe Vorwurf, den Russland gegen den WSJ-Reporter Evan Gershkovich vorgebracht hat.

Die Anklageschrift stellt auch den Besitz von Informationen unter Strafe, ebenso die Weitergabe von Informationen an die Öffentlichkeit.

30 aus den 175 angeklagten Haftjahren betreffen den reinen Akt der Veröffentlichung. Investigative Journalisten müssen aber in der Lage sein, mit ihren Quellen zu kommunizieren und Informationen zu veröffentlichen, die die Regierung vor der Öffentlichkeit verbirgt, da sie sonst ihre Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren, nicht erfüllen können.

Was hieße eine Verurteilung Ihres Mannes in den USA also für die Zukunft der Pressefreiheit?

Ohne den Schutz, gegen den die Anklage verstößt, ist kein Journalist sicher, noch werden sie ihr Leben oder ihre Freiheit riskieren wollen. Julian wird zur Abschreckung von Journalisten überall eingesetzt, aber er setzt auch einen neuen politischen und rechtlichen Standard, bei dem Journalisten und Verleger ab sofort Freiwild sein werden.

Es ist kaum noch die Rede davon, dass Wikileaks Beweise für schwere Kriegsverbrechen veröffentlicht hat. Über die Tatsache, dass die US-Armee im Irak-Krieg Zivilisten erschossen hat, darunter auch Journalisten. Warum eigentlich nicht?

Es gab eine konzertierte Aktion, die von den höchsten Ebenen der US-Regierung und ihrer Verbündeten, insbesondere dem Militär und dem Geheimdienst, gefördert wurde, um Julian ins Visier zu nehmen. Ein Bericht von Yahoo News aus dem Jahr 2021 enthüllte, wie die CIA unter der Leitung von Mike Pompeo eine ganze Operation gegen Julian durchführte, einschließlich der Platzierung erfundener Geschichten in den Medien. Diese ausgedehnte Propagandakampagne auf höchster Ebene dient vor allem einem Zweck: von der Tatsache abzulenken, dass er wegen seines Journalismus verfolgt und inhaftiert wird. Er ist jetzt seit fast fünf Jahren ohne Verurteilung inhaftiert. Ohne etwas Strafbares getan zu haben.

In der Anklageschrift heißt es, Assange habe „die Namen menschlicher Quellen preisgegeben und eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für Leib und Leben geschaffen“. Was ist an dem Vorwurf dran?

Julian Assange hat alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass keine Namen von Personen genannt werden, die Gefahr laufen, willkürlich inhaftiert oder körperlich verletzt zu werden. Im Fall der afghanischen Kriegstagebücher wurden aus diesem Grund 15.000 Dokumente zurückgehalten. Bei den Irak-Kriegstagebüchern wurden Namen und identifizierende Informationen geschwärzt, sodass Wikileaks von den US-Medien für die übermäßige Schwärzung kritisiert wurde. Bei den Dokumenten machte Julian den Medienpartnern zur Bedingung, dass alles geschwärzt wird, um Menschen zu schützen. Das funktionierte neun Monate lang, doch leider veröffentlichte „The Guardian“ ein Buch, das gegen die Vereinbarung mit Wikileaks verstieß, unter anderem durch die Offenlegung eines Verschlüsselungspassworts, das jedermann Zugang zu den unverschlüsselten Daten verschaffte – mithilfe des Passworts aus dem Buch. Ungeachtet dessen haben die USA sowohl vor dem Manning-Kriegsgericht als auch bei der Auslieferungsanhörung von Julian unter Eid zugegeben, dass sie keine Beweise dafür haben, dass auch nur eine einzige Person infolge der Veröffentlichungen zu Schaden gekommen ist. Dennoch verbreiten sie diese Behauptung absichtlich so, als wäre sie eine Tatsache.

Was würde eine Auslieferung Ihres Mannes an die USA für die Zukunft der Pressefreiheit und des Journalismus bedeuten?

Dieser Fall ist der größte Angriff auf den internationalen Journalismus, den die Welt je gesehen hat. Er kriminalisiert nicht nur den journalistischen Prozess, sondern auch das Recht der Öffentlichkeit auf Information. Jedes Land kann sich von diesem Fall inspirieren lassen und ihn nutzen, um ausländische Journalisten außerhalb seiner Grenzen anzuklagen, auszuliefern und zu inhaftieren. Wie wir gesehen haben, ist das Vereinigte Königreich bereit, Julian zu inhaftieren und seine Rechte zu verletzen, um seinen Verbündeten nicht zu verstimmen – diese Dynamik können wir auch von anderen Ländern erwarten.

Der damalige UN-Sonderbeauftragte für Folter, Nils Melzer, sprach im Zusammenhang mit der Behandlung Ihres Mannes im Gefängnis von psychischer Folter. Ihr Mann soll selbstmordgefährdet gewesen sein. Stimmen Sie der Einschätzung zu, dass er eine Auslieferung nicht überleben würde?

Wenn er ausgeliefert wird, wird er Bedingungen ausgesetzt sein, die so quälend sind, dass sie ihn in den Selbstmord treiben würden. Der neue UN-Sonderberichterstatter für Folter hat erst letzte Woche eine Erklärung abgegeben, in der er das Vereinigte Königreich auffordert, Julian nicht auszuliefern. Sein Leben ist in ernster und unmittelbarer Gefahr.

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