J’accuse...! So stehe ich hier für Julian Assange, der durch seine Courage, seine Verdienste und sein Engagement für die Wahrheit wie kaum ein anderer Enthüllungsjournalist zur notwendigen Aufklärung über Kriegsverbrechen beigetragen hat, darunter auch Verbrechen an der Menschlichkeit. Können wir akzeptieren, dass Journalisten als Überbringer der schlechten Nachrichten verfolgt, gefoltert und eingesperrt werden? Nein! Es schürt ein Klima der Angst und des Schweigens. Und es widerspricht zutiefst den demokratischen Grundwerten.
J’accuse...! Ist ein leidenschaftliches Plädoyer des Schriftstellers und Journalisten Émile Zola, der vor 126 Jahren die Untaten und das eklatante Unrecht von Armee und Justiz angeprangert hat. Kurz zur Erinnerung: Durch politische Vorverurteilung aufgrund einer manipulierten Beweisführung und juristischer Fehlleistungen war Colonel Dreyfus – obwohl unschuldig – der Spionage für das Deutsche Reich für schuldig erklärt und zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Kommt Ihnen das bekannt vor? Nun, im Fall Assange haben wir das alles und noch mehr: Politische Vorverurteilung aufgrund manipulierter Beweisführung, Psycho-Folter und Anklage wegen Spionage gegen einen Unschuldigen.
Dreyfus wurde in der Folge zunächst begnadigt und später für unschuldig befunden und voll rehabilitiert. Bis dahin bedurfte es aber mutiger Einzelpersonen und Gruppen, die sich beharrlich und unerschrocken für Dreyfus – und damit für die Gerechtigkeit – einsetzten. Genau das müssen wir heute auch wieder tun – es kommt auf jeden einzelnen an –, bis Julian Assange endlich ein freier Mann ist und Recht und Gerechtigkeit wieder hergestellt ist.
Übrigens flüchtete Émile Zola ebenfalls nach Großbritannien, das lange den Ruf hatte, politisch Verfolgte aufzunehmen. Die Verhandlung zur Auslieferung Assanges vom 20./21. Februar wird einen Meilenstein markieren: Wird Großbritannien endlich wieder für seine Grundwerte einstehen oder wird es sich weiterhin zum Komplizen bei der Beschränkung der Pressefreiheit machen?
Frieden und Freiheit
Mehr als zwölf Jahre wird Julian Assange von der amerikanischen Justiz verfolgt, doch statt seiner verdienten Rehabilitation befindet er sich weiterhin in Haft und es droht ihm zudem die Auslieferung an die USA. J’accuse...! Ich fordere hiermit die amerikanische Justiz auf, die Unschuld von Julian Assange mit sofortiger Wirkung festzustellen und ihn zu rehabilitieren: Setzen Sie ein Zeichen und verteidigen Sie den Grundsatz Ihrer Verfassung, der die Meinungs- und die Pressefreiheit ausdrücklich schützt!
Weltweit setzen sich Menschen für Frieden und Freiheit ein. Das gibt Grund zur Hoffnung. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass ein freier Journalismus und das Offenlegen von Unrecht zu den Grundpfeilern einer freien Gesellschaft gehören. Wenn wir uns für Demokratie einsetzen, dürfen wir daher Julian Assange nie vergessen!
Scientology, Tibet, Guantánamo
Julian Assange ist ein einzigartiger Journalist und Aufklärer. Ich zitiere: „Man muss mit der Wahrheit beginnen. Die Wahrheit ist der einzige Weg, um irgendwohin zu gelangen. Denn jede Entscheidungsfindung, die auf einer Lüge oder Unwissenheit basiert, kann zu keinem guten Ergebnis führen“, sagt Assange. Diese Überzeugung treibt ihn an. Er hat es mit Wikileaks wie kein anderer geschafft, den Enthüllungsjournalismus in der digitalen Welt zu etablieren, sich dabei in die Zentren der Macht vorgewagt und Missstände und Kriegsverbrechen öffentlich gemacht, die wir uns in diesem Ausmaß und dieser Detailliertheit bis dahin so nicht hätten vorstellen können.
Was heute oftmals unberücksichtigt bleibt: Julian Assange veröffentlichte auch Bücher, warum es keine gerechte Gesellschaft ohne Transparenz ihrer Machtstrukturen geben kann – und keine freie Presse, wenn diese von Konzern- oder Regierungsinteressen geleitet wird. Er veröffentlichte unter anderem abertausende interne Dokumente der Scientology-Sekte, zahlreiche ungeschnittene Videos von Aufständen in Tibet, um so die totalitäre chinesische Zensur zu durchbrechen; außerdem Dokumente zu illegalen Geschäften der Schweizer Bank Julius Bär oder auch das geheime US-Folter-Handbuch aus dem „extralegalen“ Gefangenenlager in Guantánamo.
Die Öffentlichkeit verbindet Assange hauptsächlich mit der Offenlegung von Kriegsverbrechen des US-Militärs im Irak und in Afghanistan: tausendfache Folter und schon damals 15.000 oder mehr von der US-Armee getötete Zivilisten als offiziell bekannt. Assange offenbarte mit dem sogenannten Collateral-Murder-Video das mordlüsterne, makabre Handeln des US-Militärs. Obwohl es sich um gezielte Morde und Kriegsverbrechen handelte, wurden die Täter bis heute nicht verfolgt. Eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gab es bisher nicht. Aber Mord verjährt nicht. J’accuse…!
Julian Assange veröffentlichte vieles mehr, was von öffentlichem Interesse war, ob es nun um die USA ging oder um Russland, um Sekten oder mächtige Konzerne. Ein US-Gericht hat 2019 sogar ausdrücklich bestätigt, dass das von der Pressefreiheit gedeckt war, denn es wurden nie Informationen veröffentlicht, die nicht der Wahrheit entsprachen.
Auf der falschen Seite der Macht
Julian Assange wurde – interessengeleitet – mal als CIA-Agent, mal als Agent des russischen Geheimdienstes oder auch als Spion Chinas diffamiert. Dass ihm diese Zuschreibungen von unterschiedlichen politischen Lagern vorgeworfen werden, zeigt, wofür er eigentlich verfolgt wird: Für die jeweiligen Staaten ist er mit seiner absoluten Unabhängigkeit unberechenbar – und damit um so gefährlicher.
Solange die Regierungen sich nicht mit aller Entschlossenheit für die Freilassung von Assange einsetzen, offenbaren sie, dass sie auf der falschen Seite der Macht stehen. Dass sie um jeden Preis verhindern wollen, dass ihnen die Kontrolle über die Geheimhaltung ihrer Machenschaften bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen entgleitet. Ohne diese drastische Abschreckung hätte Wikileaks heute im Internetzeitalter wahrscheinlich schon etliche Nachahmer.
Desinformation und Falschaussagen
Seit zwölf Jahren muss Julian Assange dafür eine gnadenlose Verfolgung erdulden. Er wird als Inbegriff des Bösen und Verwerflichen hingestellt, an ihm wird Rufmord im wortwörtlichen Sinne praktiziert. So betreibt die CIA als mächtigster Geheimdienst der Welt gezielt Desinformation und erpresst einen Straftäter als Kronzeugen zu Falschaussagen. Julian Assange wurde zum Aussätzigen, zum egozentrischen Dämon, zum Monster gemacht – eine globale „Zersetzungsinitiative“ (erinnert an DDR-Zeiten, als die Stasi mit sogenannten „Zersetzungsmaßnahmen“ gegen Dissidenten Verleumdungen bis ins Privatleben hinein gezielt lancierte).
Ich darf hier Nils Melzer zitieren, der in seiner Funktion als UN-Sonderberichterstatter über Folter die Isolations-Haftbedingungen von Julian Assange wiederholt öffentlich anprangerte: „In 20 Jahren Arbeit mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung habe ich noch nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammengeschlossen hat, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit bewusst zu isolieren, zu dämonisieren und zu rufmorden“.
Durch seine jahrelange Inhaftierung und Isolierung wurde es still um Assange. Damit soll ein Präzedenzfall und Abschreckungsszenario für den investigativen Journalismus insgesamt geschaffen werden, der aufdeckt, was Staaten geheim halten wollen. Seine Auslieferung an die USA wäre ein Desaster, ein GAU für die Presse- und Meinungsfreiheit. An ihm soll ein Exempel statuiert werden: Wer öffentlich macht, was US-Regierung, US-Militär und ihre Geheimdienste an Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen für geheim erklärt haben, soll sich seines Lebens nicht mehr sicher sein.
Julian Assange soll einen Tod auf Raten sterben
Seit fast fünf Jahren sitzt Assange im berüchtigten Belmarsh-Hochsicherheitsgefängnis, in dem ansonsten Terroristen und gemeingefährliche Mörder einsitzen. Außerdem war er zuvor schon sieben Jahre in Ecuadors Botschaft seiner Freiheit beraubt, wo die Gespräche mit seinen Anwälten und Ärzten abgehört und die Mitschnitte an die CIA weitergeleitet wurden. Seit zehn Jahren wehrt er sich dagegen, psychisch wie physisch vernichtet zu werden.
Mein Eindruck: Man spielt auf Zeit. Er soll einen Tod auf Raten sterben. Die ewigen Verfahren, die immer neue Ungewissheit: „Bestrafung durch endlose Verfahren“ nennen Juristen diese Zermürbung des Wikileaks-Gründers. Die Botschaft ist: „Seht her, was mit solchen Leuten geschieht! Wir werden sie jagen, wir werden sie hetzen!“ Assange droht in den USA eine Höchststrafe von bis zu 175 Jahren Haft, was einem Todesurteil gleichkäme.
Aufklärung ist der Sauerstoff der Demokratie und Julian Assange ist ein Märtyrer der Aufklärung. So wie Julian Assange unsere Unterstützung braucht, so sehr brauchen wir Menschen wie ihn. Es muss gelingen, seine Auslieferung zu verhindern und seine Freiheit und vollständige Rehabilitation zu erwirken. Wir brauchen ihn, wir sind es ihm und uns schuldig!!!
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