Ende der Corona-Maßnahmen: Was wir aus der Pandemie lernen können

Meinung Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sind beendet. Zu Beginn prophezeite Jens Spahn, damals Gesundheitsminister, wir werden uns viel verzeihen müssen. Stimmt. Eine vorläufige Bilanz
Ausgabe 15/2023
Ende der Corona-Maßnahmen: Was wir aus der Pandemie lernen können

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Wir befänden uns am Beginn einer Corona-Pandemie, bereitete Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am 27. Februar 2020 die Bevölkerung auf das Kommende vor. Was kam und wie lange es dauern würde, ahnte damals niemand. Aber ... der Virologe Christian Drosten, der sich medial früh warmlief, befürchtete schon im Februar, dass das Öffentliche Gesundheitssystem und die Krankenhäuser die beiden problematischen „Baustellen“ werden könnten. Genauso kam es.

Drei Jahre später scheint alles vorbei, Spahns Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) feiert die Überwindung der Pandemie. Zum 8. April werden fast unspürbar die letzten Corona-Maßnahmen – unter anderem in Krankenhäusern und Pflegeheimen – aufgehoben, ungeachtet des Infektionsgeschehens. Unspürbar, weil wir trotz vereinzelter Maskenträger in Bussen und Bahnen längst in die Normalität zurückgekehrt sind. Die Expertenkommission hat lautlos ihre Arbeit eingestellt, und der Einrichtung einer Enquetekommission zur Aufarbeitung des Geschehens, wie sie die FDP fordert, verweigern sich SPD und Grüne.

Haben sie Angst, dass noch einmal aufgerollt werden könnte, was im Zuge von Versuch und Irrtum auch schiefgelaufen ist? Dass unter dem Druck des Augenblicks heute manche Maßnahme überzogen erscheint wie die langanhaltende Schließung der Schulen oder die Isolation der Menschen in den Heimen, lässt sich noch nachvollziehen. Unentschuldbarer ist, dass die lange zuvor in den Schubladen liegenden Pandemiepläne vergammelten, dass weder der Gesundheitsdienst noch andere Einrichtungen vorbereitet waren und dass die Bevölkerung in einem Wust von Daten ertränkt wurde, die mehr Verwirrung als Aufklärung stifteten.

Verlierer der Pandemie ist die Wissenschaft

Die Kollateralschäden der Pandemie lassen sich besichtigen, wenn die Leistungsfähigkeit heutiger Schüler:innen überprüft wird. Weniger offensichtlich sind jene von Heimbewohner:innen, denen monatelang jeder Kontakt nach außen vorenthalten wurde und oft einsam starben. Sie können, im Unterschied zu den vielen Long-Covid-Patient:innen, nicht mehr das tun, was Spahn zum geflügelten Wort machte: Wir müssten uns einander vieles verzeihen können. Ob die Langzeitgeschädigten dazu bereit sind, wird auch davon abhängen, ob ihnen ausreichende medizinische und finanzielle Unterstützung zuteilwird.

Schon bald nach den Balkon-Akklamationen indessen war absehbar, dass sich für die zur Systemrelevanz aufgestiegenen Berufsgruppen wenig ändern würde. Der Entlastungstarifvertrag für die Pflegekräfte in Berlin wird nur schleppend umgesetzt, in Hessen sind sie gerade in den Streik getreten, um etwas Selbstverständliches durchzusetzen: Gute Pflege zu leisten, ohne über den Anschlag arbeiten zu müssen. Lauterbachs „Krankenhausrevolution“ wird die Situation drastisch verschlechtern. Nichts gelernt. Setzen, sechs! Auch auf das vorgesehene Institut für Öffentliche Gesundheit warten wir, ebenso wie auf die geplante „Nationale Reserve Gesundheitsschutz“ für eine kommende Pandemie.

Verlierer der Pandemie war die Wissenschaft, weil sie nicht einlösen konnte, was man von ihr erwartete: Sicherheiten. Das ist nicht ihr anzulasten. Ereignisse wie eine Pandemie sind Hochrisikoereignisse. In der Konkurrenz um Mittel mit anderen Krisen wie Klima und Krieg wird der Seuchenschutz erst einmal das Nachsehen haben. Sicher ist, dass uns solches Vergessen wieder einholt.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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