Unisono hingerissen ist die Opernwelt von dem gerade einmal dreißigjährigen Dirigenten Thomas Guggeis, der auf Anhieb stets das Schwerste meistert. Er ist längst kein „Nachwuchstalent“ mehr, hat in Berlin schon mit 24 Jahren als Einspringer Furore gemacht. Daniel Barenboim nahm ihn unter seine Fittiche, er vertrat ihn in Wagners Ring-Koloss und bestand damit die schwerste aller Proben glänzend. Der im niederbayerischen Straubing aufgewachsene Himmelsstürmer ist längst auch an der New Yorker Met, der Mailänder Scala, in Paris und Wien willkommen. Aber als neuer Generalmusikdirektor (GMD) des mehrmals und erneut von den Kritikern der Fachzeitschrift Opernwelt zum Opernhaus des Jahres gewählten Frankfurter Hauses kann er erstmals mit eigenen
r Fachzeitschrift Opernwelt zum Opernhaus des Jahres gewählten Frankfurter Hauses kann er erstmals mit eigenen Produktionen Maßstäbe setzen.Gerühmt wird die Präzision seiner Orchester- und Sängerführung, die stupende Fähigkeit, aus den Partituren der unterschiedlichsten Epochen alles herauszuholen. Aber das schaffen andere mit mehr Erfahrung auch. Was hat er ihnen voraus? Guggeis wirkt gescheiter, umfassender interessiert. Er verfügt eben nicht nur über musikantisches Temperament und eminentes Gespür für den immer wieder neu aus den Noten herauszuzaubernden Klang. Da wirkt nicht einfach ein Genie, sondern Guggeis durchdringt die Musik gedanklich tiefer. Er ist wie ganz wenige Pultstars auch ein Intellektueller von Rang. Er hat Quantenphysik studiert, ehe er sich ganz für die Musik entschied, als wolle er auch mit ihr aufspüren, was die Welt im Innersten zusammenhält.Regisseur Vasily Barkhatov gibt dem Affen eine Überdosis ZuckerDa ist György Ligetis Le Grand Macabre eine unbestechliche Messlatte. Schließlich geht es in diesem klassischen Schlüsselwerk der Moderne aus dem Jahr 1978, das in seiner revidierten Fassung von 1996 aufgeführt wird, um nicht weniger als um den Untergang der Welt: Ein Komet rast auf die Erde zu. Librettist Michael Meschke griff dabei auf ein Schauspiel des Belgiers Michel de Ghelderode zurück. Ligeti schrieb keine Katastrophenoper, sondern eine musikalisch höchst anspruchsvolle Groteske.Und der russische Regisseur der Frankfurter Inszenierung, Vasily Barkhatov, gibt dem Affen eine Überdosis Zucker. Wenn Ligeti etwa mit einer Toccata für zwölf Autohupen das Stück beginnt, um das Format der Opern-Ouvertüre zu persiflieren und zugleich in seiner „Anti-Antioper“, wie er sie selbst nannte, Avantgarde und Tradition lustvoll miteinander zu verquicken – dann flieht die Regie einfallslos in ein hyperrealistisches Bild: Autos stauen sich auf und unter einer Brücke. Das ist zwar immer noch komisch, aber deutlich unter dem Niveau des absurden Welttheaters. Die Apokalypse steht hoch im Kurs, doch die Regie verweigert jeglichen Bezug darauf. Das Stück spielt furios mit den Ängsten der Menschen, um sie zu bändigen. Aber dazu müssten sie erkennbar sein.Eine Leiche als Chefin der GeheimpolizeiZwar kann die aus grellen Effekten überreiche Farce jeder bessere Maestro ohrenbetäubend über die Rampe knallen, aber Guggeis gibt dem Werk noch eine andere Dimension. Es ist durchdrungen von tiefer Traurigkeit. Dies gegen den Klamauk auf der Bühne durchzusetzen, ist das wahre Kunststück. Guggeis schafft es, weil er Ligetis Methode erkennt. Er hält strikt auf Ordnung und Struktur im atonalen kakophonen Chaos, ehe er immer wieder die – musikalische – Welt in ihre Einzelteile zerlegt und sie in den Abgrund stürzt. Er organisiert mit höchster Präzision geführte Auflösungsprozesse. Extreme Kontraste, aberwitzige Tempi, aber nie außer Kontrolle.Nur selten gelingt es der Regie, diese die Gattung zerstörende und zugleich überhöhende Oper szenisch adäquat umzusetzen. Eine Leiche entpuppt sich nach der Pause als Chefin der Geheimpolizei Gepopo (Anna Nekhames), die mit schrillen Koloraturen die aus den Fugen geratene Weltuntergangsparty sprengt. Im Schloss des Fürsten Go-Go (Countertenor Eric Jurenas) taumeln Figuren aus der ganzen Weltgeschichte seit Adam und Eva in den verdienten Untergang.Choral, Sirenengeheul, Samba, Barock und Avantgarde: Ligetis Musik verweist auf so gut wie alles, was die Musikgeschichte zu bieten hat. Vom kantablen Lamento bis zum ekstatischen Schrei setzt er alles ein, was die menschliche Stimme hergibt. Das leistet ein wunderbares Ensemble, in dem unter anderen auch der Tenor Peter Marsh als Piet vom Fass und die Sopranistin Claire Barnett-Jones als Mescalina überzeugen.Der Große Makabre flüchtet sich in Sex and DrugsDer Große Makabre, Nekrotzar genannt: Man weiß nicht recht, wer diese in Frankfurt unscharf gezeichnete Bühnenfigur (Bariton Simon Neal) sein soll, der Tod oder nur ein Hochstapler. Sie wird im Libretto diabolisch überhöht. Aber hier ist er auch ein ängstlicher Mensch, der wie alle anderen in die üblichen Verdrängungsekstasen flüchtet: Sex and Drugs. Vor allem ist er der Propagandist der angekündigten Apokalypse. Ligeti wollte seine Satire auch als „politisches Stück gegen falsche Propheten“ verstanden wissen. Der Weltuntergang fällt dann übrigens aus. Eine Katastrophe bleibt diese Menschheit jetzt erst recht.„Innovatives Musiktheater auf höchstem Niveau“ hat Guggeis für seine Amtszeit ganz unbescheiden angekündigt. Ist es das? Es wird nicht immer nur über die herausragende musikalische Qualität seiner Produktionen gelingen. Viel Zeitgenössisches will der GMD aufs Programm setzen, dabei auch noch „Anwalt seiner Generation“ sein und von seinem „jugendlich-naiven Idealismus zehren“. Höher kann er die Latte nicht legen. Bisher hat er sie übersprungen.