Im Deutschen Spionagemuseum in Berlin können Besucher nach versteckten Abhörwanzen suchen, mit Geheimtinte schreiben, Tresore knacken, durch Lüftungsschächte robben, Zahlencodes dechiffrieren und Webseiten hacken. Auch Kindergeburtstage werden dort gern gefeiert. Berlin galt ja lange als „Hauptstadt der Spione“, als Agentendrehkreuz zwischen Glienicker Brücke und der NSA-Abhörstation auf dem Teufelsberg. Im Kalten Krieg war Spionage „normal“.
Doch, oh Wunder, auch danach wurde munter weiterspioniert. Manche Aufbauten auf Botschaftsgebäuden legen davon Zeugnis ab. Und nicht erst seit den Enthüllungen ausländischer Geheimdienst-Operationen durch Whistleblower wie Edward Snowden, Journalisten wie Tim Weiner oder KGB-Über
-Überläufer wie Oleg Gordijewsky wissen wir, dass in Geheimdiensten die wahren Verschwörungstheoretiker sitzen.Gehen diese an die Öffentlichkeit, sei es durch konspiratives Einweihen bestimmter Journalisten oder durch die Unterrichtung von politischen Gremien, dann erfahren wir meist, dass die Hütte brennt. Dass der Feind alles daransetzt, unsere zarte Demokratie zu zerstören: mittels Infiltration, Desinformation, Sabotage oder Ausspähung unserer geheimsten Geheimnisse in Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Sogar in die Parlamente dringt der Feind vor und spannt dabei böswillige oder naive, geltungssüchtige oder raffgierige Politiker für seine Zwecke ein. Der Kampf der „autoritären Systeme“ gegen die „offenen Gesellschaften“ strebt einem neuen Höhepunkt entgegen.Was Nancy Faeser und Marco Buschmann sagenDiese „Bedrohung“, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), „muss stärker ins öffentliche Bewusstsein dringen“. Und Justizminister Marco Buschmann (FDP) ergänzt den Ernst der Lage mit der dunklen Prophezeiung, weitere „Enttarnungen“ seien zu erwarten.Doch im Gegensatz zum regierungsamtlichen Aufbauschen der Bedrohungslage deuten die vor den Europawahlen breitgetretenen Fälle von Festnahmen mutmaßlicher russland- und chinadeutscher Spione in Düsseldorf, Dresden und Bayreuth eher auf „kleine Fische“. Die Verdächtigen wurden von deutschen Geheimdiensten seit Längerem beobachtet, einer als Informant oder „Doppelagent“ sogar zeitweise umworben. Die beiden Russlanddeutschen, so heißt es, hätten Militäranlagen wie den US-Truppenübungsplatz Grafenwöhr ausspioniert, während die Düsseldorfer Gruppe und der Dresdner Chinadeutsche Jian G. mehr Interesse für Handels- und Forschungspolitik hatten.Was hätte Maximilian Krah verraten können?Leider konnte bislang kein Spion vom Format eines Kim Philby oder eines anderen Schwergewichts aus der legendären Agentengruppe der „Cambridge Five“ enttarnt werden, insofern erinnert die theatralische Überhöhung der aktuell durchgestochenen Fälle mehr an eine süffige Kabarettnummer aus der ZDF-Sendung Die Anstalt als an ein Politdrama. Was hätte der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah auch Wichtiges verraten können?Die Zeiten, in denen ausländische Mächte ihre Agenten mit Lippenstift- oder Krawattenkameras ausstatten mussten, um an Informationen zu gelangen, sind eh vorbei. Heute wird großflächig digital abgefischt. Den aussortierten Beifang erhalten dann „investigative“ Journalisten. Man sollte die künstliche Empörung über das ausspionierte Deutschland also ein bisschen tiefer hängen. Erste Entspannungsübung könnte ein Besuch im Deutschen Spionagemuseum sein. Es hat täglich von 10 Uhr bis 20 Uhr geöffnet.