Im Herbst 2022 stand die Welt am Rande eines Atomkriegs. Zum ersten Mal seit den Tagen der Kubakrise 1962. Das enthüllten jetzt gemeinsam die New York Times und der SenderCNN.
US-Präsident Joe Biden war am 6. Oktober 2022 von seinen Geheimdiensten darüber informiert worden, dass hohe russische Militärs aufgrund des ukrainischen Vormarschs in Richtung Krim den Einsatz taktischer Atomwaffen erwägen würden. Biden war alarmiert. Er fürchtete eine Eskalation zum nuklearen „Armageddon“. Der Nationale Sicherheitsrat trat zusammen, es wurden Notfallpläne für den Ernstfall ausgearbeitet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), von Biden eingeweiht, drängte bei seinem Chinabesuch Anfang November Staatspräsident Xi Jinping zu einer öffen
eitsrat trat zusammen, es wurden Notfallpläne für den Ernstfall ausgearbeitet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), von Biden eingeweiht, drängte bei seinem Chinabesuch Anfang November Staatspräsident Xi Jinping zu einer öffentlichen Stellungnahme gegen den Einsatz von Atomwaffen. Kurz darauf flog CIA-Chef Bill Burns nach Ankara, um dort seinem russischen Amtskollegen Sergej Naryschkin die Folgen eines russischen Atomwaffeneinsatzes drastisch vor Augen zu führen. Die Krise endete, als die ukrainische Offensive steckenblieb.US-Beamte nahmen Russlands Atompläne ernstIm Februar 2024 wiederholte sich das Drama. Erneut wurden Gespräche russischer Militärs über einen möglichen Atomwaffeneinsatz abgefangen. Auslöser waren das lose Gerede in einigen NATO-Staaten über den Einsatz bunkerbrechender Raketen gegen Ziele in Russland sowie zunehmende Forderungen nach NATO-Bodentruppen. Die Russen, so die US-Beamten, meinten ihre Atomdrohungen ernst.Doch unsere auf Kampf gebürsteten Politiker mit den heroischen Ukraine-Fähnchen am Revers halten das für Bluff. Die Leichtfertigkeit, mit der sie eine Eskalation herbeiquatschen, spiegelt sich auch in halbstarken Medienkommentaren. Seit der Kanzler sein „Zögern“ in Sachen Taurus-Lieferung abgelegt und zu einem klaren Nein verfestigt hat, sind alle Beißhemmungen gefallen. ARD und ZDF, Spiegel, Zeit, SZ, FAZ und Welt überbieten sich in wütenden Anti-Scholz-Tiraden: der „Defätist“, der „Illusionist“, der Schwächling, „der Friedenskanzler, über den Putin lacht“.Will die Union Olaf Scholz stürzen?Parallel dazu hat die Union abermals einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine fordert. Wieder geht es um die Frage, ab wann welches Handeln als Kriegsbeteiligung gilt. Als ob das eine Rolle spielen würde nach einem vernichtenden Angriff auf die russische Kertsch-Brücke oder ein Moskauer Ministerium? Niemand wird dann über völkerrechtliche Spitzfindigkeiten diskutieren, denn mit einem solchen Angriff wäre die Eskalationsdynamik unkontrollierbar geworden. Was also will die Union erreichen? Soll Scholz gestürzt werden? Soll der Taurus-Sprengkopf „Mephisto“ die Ampelkoalition endlich plattmachen? Liest man die Kommentare in den Leitmedien, sieht es ganz danach aus.Das plumpe Manöver kann freilich auch nach hinten losgehen. Scholz, der aufgrund seines Naturells stets Schwierigkeiten hat, ein kantiges Profil zu entwickeln, gewinnt plötzlich an Statur als Friedenskanzler. Als derjenige, der die Deutschen aus dem Krieg herausgehalten hat. Sowohl der ARD-Deutschlandtrend als auch das ZDF-Politbarometer ermittelten Anfang März eine überraschend hohe Übereinstimmung zwischen Kanzler und Bevölkerung. 61 beziehungsweise 59 Prozent der Befragten sprachen sich gegen eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern aus.Der Papst rät: „Den Mut haben zu verhandeln“Kanzler und Bevölkerung befinden sich auch in nahtloser Übereinstimmung mit den Forderungen des Grundgesetzes und des 1990 geschlossenen Zwei-plus-Vier-Vertrags. Artikel 26 Grundgesetz sagt: Es ist verfassungswidrig und strafbar, die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten. Artikel 2 des Abkommens der beiden deutschen Staaten mit den vier ehemaligen Besatzungsmächten zitiert den Grundgesetzartikel sogar wörtlich. Überhaupt hat Deutschland die Zustimmung der Sowjetunion zur Wiedervereinigung nur gegen das Versprechen des Westens erhalten, die NATO nicht nach Osten auszudehnen. Außerdem heißt es in der Präambel, alle Unterzeichner seien entschlossen, „die Sicherheitsinteressen eines jeden (Unterzeichners) zu berücksichtigen“.Es ist deshalb an der Zeit, dass die NATO einsieht, dass sie mit ihrer Osterweiterungspolitik überzogen hat. Aber wie kann sie ohne Gesichtsverlust zurück? Wie kann sie der vom Krieg verhärteten, tapfer am Sieg festhaltenden ukrainischen Führung beibringen, dass es Zeit ist zu verhandeln? Papst Franziskus hat es versucht. Im Schweizer Fernsehen sagte er: „Wenn man sieht, … dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben zu verhandeln.“ Realisten sollten eine Situation erkennen, bevor es zu spät ist.Die Kubakrise 1962 konnte im letzten Moment abgewendet werden. Trotz der Scharfmacher, die einen Atomkrieg riskieren wollten. Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy fanden, bei aller Gegnerschaft, eine Verständigungsbasis: Beide Seiten erklärten sich bereit, ihre Raketen abzuziehen, der eine die aus Kuba, der andere die aus Italien und der Türkei (Letzteres musste geheim bleiben, um Kennedy als Sieger dastehen zu lassen). Erst mit diesem mutigen Schritt konnte die Ära der Entspannungspolitik beginnen.