Schweres Minenunglück: Neun Minenarbeiter werden vermisst

Türkei Nach einem Erdrutsch in einer der größten Goldminen im Osten der Türkei werden noch immer Arbeiter vermisst. Umweltaktivisten und Ingenieure drängen zur Schließung der Mine
Suche nach vermissten Minenarbeitern
Suche nach vermissten Minenarbeitern

Foto: Imago/Abacapress

Mindestens neun Minenarbeiter wurden am Dienstagnachmittag bei einem Unfall in einer Goldmine in der ostanatolischen Stadt Erzincan verschüttet. Videoaufnahmen vom Unglücksort zeigen, wie sich die Erde, die bei der Goldsuche in der Mine abgebaut wird, im Laugungsfeld auftürmt und flutartig den darunter liegenden Hang überschwemmt. Ungefähr 10 Millionen Kubikmeter Erde seien so über ein sehr großes Gebiet verteilt worden, sagte Innenminister Ali Yerlikaya am Dienstag und fügte hinzu, dass 1700 Personen das Gebiet absuchten.

Bereits im Juni 2022 war auf demselben Minengelände hochgiftige Zyanidlösung, die zum Abbau des Goldes unverzichtbar ist, durch eine geplatzte Rohrverbindung in den Boden gelangt. Nach dem Vorfall wurde die Goldmine für einige Monate stillgelegt, aber das Unternehmen zahlte eine Geldstrafe (540.000 $ zum damaligen Wechselkurs) und nahm die Mine wieder in Betrieb. Die Mine gehört dem Unternehmen von Anagold Madencilik, einem Joint Venture zwischen dem US-amerikanischen Unternehmen SSR Mining (zu 80 Prozent) und Lidya Madencilik (zu 20 Prozent), einer Tochtergesellschaft der AKP-nahen Çalık Holding.

Das türkische Umweltministerium erklärte am Dienstag, dass in dem Gebiet keine Umweltverschmutzung festgestellt worden sei und dass die Durchlässe unterhalb der Erde und nahe zum Grundwasser geschlossen wurden, um zu verhindern, dass das giftige Material in den nahegelegenen Fluss Euphrat gelangt. Der Fluss speist die gesamte Region in Südostanatolien sowie den Irak und Syrien.

Der Goldminenkomplex Çöpler, eine der größten Goldminen in der Türkei, mit einer Fläche von knapp 1.750 Hektar (dies entspricht einer Fläche von etwa 2450 Fußballfeldern) konnte im Oktober 2021 laut einer Umweltverträglichkeitsprüfung seine Kapazität zum zweiten Mal erhöhen. Nach dem Unfall im Jahr 2022 reichte die Türkische Ingenieurskammer (TMMOB) eine Klage zur Annullierung der Kapazitätserweiterung ein. Die Kammer erklärte, dass die Kapazitätserweiterung irreparable Schäden verursachen würde und deshalb dringend annulliert und gestoppt werden müsse. Brisant ist, dass der damalige Umweltminister, Murat Kurum, die Kapazitätserhöhung genehmigt hatte, und nun für die AKP für das Amt des Istanbuler Bürgermeisters bei den kommenden Wahlen im März kandidiert.

Die Goldmine steht schon länger in der Kritik

Einer der größten Kritiker der Goldmine, der Metallurgie-Ingenieur Cemalettin Küçük, hatte bereits im Juni 2022 öffentlich gefordert, die Mine nach dem Leck im Jahr 2022 sofort zu schließen. Am Telefon erklärte Küçük gegenüber dem Freitag: „Vor zwei Jahren gab es in diesem Gebiet bereits einen kleineren Erdrutsch. Schon damals war abzusehen, dass weitere folgen werden.“ Auch jetzt ist sich der Ingenieur Küçük sicher, dass es nicht zu erwarten sei, dass sich die Erdmassen nicht weiter bewegten. „Man muss kein Ingenieur sein, um das zu wissen. Vorsichtsmaßnahmen allein werden keine weiteren Erdrutsch verhindern. Die Mine muss sofort geschlossen werden.“

Mahmut Öz, der Vorsteher des Dorfes Çöpler, wo die meisten Minenarbeiter mit ihren Familien wohnten, sagte gegenüber dem türkischen Dienst der Deutschen Welle, dass ausgerechnet die Mitarbeiter, die bereits einen Riss in der Mine entdeckt hatten und zur Inspektion vor Ort waren, um den möglichen Erdrutsch zu melden, nun unter den Erdmassen begraben wurden. Politiker der Opposition, wie auch führende Regierungsmitglieder, waren sofort vor Ort.

Am Mittwoch wurden nach Angaben des türkischen Justizministeriums im Zuge der Ermittlungen vier Führungskräfte und Manager des Unternehmens festgenommen. „Bitte sehen Sie von Spekulationen im Internet, per E-Mail oder SMS ab und verbreiten Sie keine Informationen oder Videos außerhalb des Unternehmens“, erklärte SSR Mining am Mittwoch in einer E-Mail an seine Mitarbeiter in der Türkei. Auch Sedat Cezayirlioğlu, ein lokaler Umweltaktivist, der seit Jahren auf die von der Goldmine in Erzincan verursachten Umweltschäden hinweist und nach dem Unfall in der Region auf Sendung war, wurde am Mittwoch kurz nach einem Live-Video, welches er vom Unglücksort aufnahm, festgenommen.

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Übersetzt von Ebru Taşdemir

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