Verkehrte Welt: Die Grünen schlagen sich in Lützerath auf die Seite der Kohle
Klimapolitik Die Grünen sind gerade dabei, das 1,5-Grad-Ziel zu reißen. Und sie gestehen RWE mehr Profit zu, als die CDU vorgesehen hatte. In Lützerath zeigt sich eine Krise der Demokratie
In Lützerath bahnt sich die klimatische Grenzüberschreitung an
Foto: Ina Fassbender/AFP via Getty Images
Von Klima-RAF war die Rede, von Klimaterroristen: das Image der Klimaschützer:innen wackelt. Konservative sehen in ihnen nur zu gerne junge Menschen, die erst aus verfehlten Idealen unschuldige Bürger:innen auf dem Weg zur Arbeit blockieren und die jetzt ein verlassenes Dorf irgendwo in Nordrhein-Westfalen besetzt halten, dessen Abriss für die Kohleverstromung die Energiesicherheit für uns alle gewährleisten soll. Der Verfassungsschutz warnt. „Klimaterrorismus“ ist offiziell Unwort des Jahres 2022.
Man wundert sich über so viel Empörung, hat doch schon die Elterngeneration der Aktivist:innen manche Straße blockiert, sich mit der Polizei angelegt. Dann hat diese Elterngeneration eine Partei gegründet, die aktuell sogar Teil der Bundesr
tion der Aktivist:innen manche Straße blockiert, sich mit der Polizei angelegt. Dann hat diese Elterngeneration eine Partei gegründet, die aktuell sogar Teil der Bundesregierung ist. Nur dass eben diese Elterngenerations-Partei nun keineswegs die parlamentarische Stimme der Kindergenerations-Umweltaktivist:innen darstellt, wie man bei ihrer Wahl noch gehofft hatte, sondern diese in Lützerath räumen lässt.Ihr Umwelt-Image haben die Grünen dennoch nicht verloren. Wenn Bundeswirtschafts- und Energieminister Robert Habeck zusammen mit seiner NRW-Amtskollegin Mona Neubaur und dem Vorstandsvorsitzenden des Energiekonzerns RWE, Markus Krebber, vor die Presse tritt und von einem „guten Tag für den Klimaschutz“ spricht, nimmt ihm die Öffentlichkeit das auch ab: Wenn die Grünen sagen, dass etwas gut für das Klima ist, dann wird das schon stimmen. Habeck und Neubaur hatten sich im Herbst 2022 mit RWE auf einen sogenannten Kompromiss geeinigt: Nordrhein-Westfalen tritt schon 2030 statt 2038 aus der Kohleverstromung aus, fünf der sechs Dörfer am Tagebau Garzweiler werden erhalten, 280 von insgesamt 560 Millionen Tonnen Braunkohle bleiben im Boden – dafür muss die Klimabewegung nur das Dorf Lützerath aufgeben.Placeholder image-3Es ist ein Kompromiss, den RWE feiern kann: Um die Versorgungssicherheit in der Energiekrise zu sichern, wurde dem Konzern zugesagt, zwei Kohlekraftwerke, die im Zuge des Kohleausstiegs bereits abgeschaltet werden sollten, noch bis 2024 weiterzubetreiben. Und wo Kraftwerke betrieben werden, wird Kohle gebraucht: also weg mit Lützerath.Bei 25 Tonnen ist die GrenzeNur das Klima kann diesen Kompromiss nicht feiern, denn anders, als die Grünen behaupteten, hat das Klima null Komma nichts von diesem Deal. Und das ist keine Übertreibung. Denn die ganze Rechnung ist komplexer, als es die Minister:innen aussehen lassen. Zwar liegen tatsächlich noch 560 Millionen Tonnen Braunkohle im Tagebau-Gebiet, aber selbst unter voller Auslastung seiner Kraftwerke hätte RWE diese bis 2038 niemals vollständig verstromen können – es handelt sich also nicht um einen Verzicht auf 280 Millionen Tonnen Kohle, ein Großteil davon wäre ohnehin im Boden geblieben. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat daher durchgerechnet, welche Mengen CO₂ mit dem Kohlekompromiss tatsächlich eingespart werden: Zwischen 34 Millionen Tonnen – und null Tonnen.Dazu kommt, dass jene 280 Millionen Tonnen, die nun noch geholt werden sollen, aus Klimasicht auf keinen Fall verbrannt werden dürften. Nach einer unabhängigen DIW-Studie von 2021 dürften noch 70 Millionen Tonnen gefördert und verbrannt werden, damit Deutschland zumindest eine 50:50-Chance hat, die Pariser Klimaziele einzuhalten. Aktuell kommt das Institut für Energie und Umweltmanagement an der Europa-Universität Flensburg auf nur noch 25 Millionen, weniger als ein Zehntel der derzeit geplanten Menge von 280 Millionen Tonnen. Für 25 Millionen Tonnen müsste RWE die Erde unter Lützerath nicht abbaggern.Lützerath ist deshalb, anders als NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur es darstellt, nicht nur ein „Symbol“ der Klimabewegung – sondern eine ganz reale, harte Grenze, jenseits der ein Bruch mit dem 1,5-Grad-Ziel liegt.Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future nennt den Deal eine „Profitschutzmaßnahme für RWE“. Denn dem Unternehmen dürfte der vorgezogene Ausstieg gerade recht kommen. 2030 verteuert sich die CO₂-Bepreisung deutlich, wodurch Kohleverstromung unwirtschaftlich wird. Somit darf RWE in der Zeit, in der sich gut mit Kohle Geld verdienen lässt, mehr fördern – und hört genau dann auf, sobald es sich betriebswirtschaftlich nicht mehr lohnt.Placeholder image-2Selbst die Frage der Versorgungssicherheit ist nicht eindeutig geklärt. Es gibt Gutachten, die berechnet haben, dass die Stromversorgung momentan gefährdet sein könnte, wenn RWE dieses Jahr keinen Zugang zu der Kohle unter Lützerath bekommt. Andere Studien kommen zu dem genau gegenteiligen Schluss. Deshalb hat sich die Grüne Jugend 2022 beim Parteitag für ein Moratorium in Lützerath ausgesprochen, um in Ruhe zu überprüfen und Zeit zu gewinnen. Doch der Konzern macht Druck und die Räumung Lützeraths steht kurz bevor.Das 1,5 Grad-Ziel stand 2021 nicht zur WahlMit ihrem Kompromiss erlauben die Regierungsgrünen im Bund und in Nordrhein-Westfalen dem Konzern RWE, mehr Profit mit Kohle zu machen, als es die CDU im Kohleverstromungsausstiegsgesetz vorgesehen hatte. Das vermitteln sie als Erfolg für den Klimaschutz. Wie soll eine Klimabewegung, die ihre Ziele ernst nimmt, diese Politik akzeptieren?Wenn nun ausgerechnet die Grüne Partei dafür verantwortlich wird, dass Deutschland das Pariser Klimaabkommen verfehlt, bleibt die Frage, wo der Klimaschutz parlamentarisch noch vertreten wird. Neu ist diese Kluft zwischen Partei und Bewegung jedoch nicht. Die Fridays for Future kritisieren die Grünen schon seit ihrem ersten Klimastreik. Zwar hatten die Grünen die Bundestagswahl 2021 dann – recht erfolgreich – zur „Klimawahl“ erklärt, doch stand das 1,5-Grad-Ziel nicht auf den Wahlzetteln: Keine einzige Partei mit reellen Aussichten auf den Einzug in den Bundestag hatte ein Programm vorgestellt, dessen Umsetzung die Pariser Klimaziele einhalten würde.Placeholder image-1Was macht eine Bewegung, wenn ihr die Rahmenbedingungen der parlamentarischen Demokratie keine Möglichkeit geben, ihre politischen Überzeugungen durch Wahlen ins Parlament zu bringen? Die Aktivist:innen antworten mit außerparlamentarischen Mitteln, um ihre Ziele durchzusetzen: Streiks, Besetzungen, Blockaden, ziviler Ungehorsam – und mit dem Weg über die Gerichte. Aber die Grünen ignorieren in Lützerath derzeit selbst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, eine Regierungspolitik müsse sich an den Bedürfnissen des Klimaschutzes ausrichten.Der Kampf zwischen der nordrhein-westfälischen Landesregierung und den Klimaschützer:innen in Lützerath ist daher auch Ausdruck einer Krise der Grünen als parlamentarischer Vertretung der Klimabewegung – und letztendlich einer Krise des Parlamentarismus selbst. Die demokratisch nicht vertretenen Klimaschützer:innen als „Klima-RAF“ oder „Klimaterroristen“ zu verunglimpfen, wird hier nicht weiterhelfen: Weder den Grünen noch der Demokratie.
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