Dokumentation über Ost-Politikerinnen: Ihre Mütter haben alle gearbeitet
Doku In „Frauen in Landschaften“ porträtiert Sabine Michel vier ostdeutsche Politikerinnen. Manuela Schwesig auf dem Leuchtturm, Frauke Petry zwischen Demütigung und Wut: Der Filmemacherin ist es gelungen, das Vertrauen der Frauen zu gewinnen
Frauke Petry, Yvonne Magwas, Manuela Schwesig und Anke Domscheit-Berg
Fotos: Uwe Mann
Sie ist kaum wiederzuerkennen, obwohl sie aussieht wie immer. „Wir sind nicht Teil der Unordnung geworden. Wir sind vorher weg“, berichtet die vor einer betongrauen Wand drapierte Frau. Sie klingt wehmütig. Klar habe man Dinge zurückgelassen, ergänzt sie, als sie über den Weggang ihrer Familie aus der DDR erzählt und dabei unruhig auf ihrem weißen Plastikstuhl herumrutscht. Besonders der Verlust des Hauses, das nach der Währungsumstellung nahezu keinen finanziellen Wert mehr besaß, sei für die Eltern schmerzlich gewesen.
Als sie erneut ansetzt, stockt ihre Stimme: „Und dann gab es die Ankunft an der neuen Schule.“ Auf ein Gymnasium in Dortmund sei sie geschickt worden, in die achte Klasse. „Ich hatte eine Karteikarte
arteikarte dabei. Und das letzte Schulzeugnis.“ Ihr Blick senkt sich, als sie sich daran erinnert, dass die Karte gelb gewesen sei. „Ganz akribisch“ habe ihre ehemalige Klassenlehrerin alle Zensuren für sie aufgeschrieben, die sie bis zum Schulwechsel hatte. Tränen schießen ihr in die Augen, als sie von der Reaktion des neuen Rektors berichtet: „Die Zensuren aus dem Osten waren ja sowieso alle nicht real.“ Die Kränkung, so klein sie zunächst klingen mag, scheint eine Verletzung zurückgelassen zu haben, die bis heute andauert, denkt man sich. Mitgefühl kommt auf.Dann verändert sich der Ausdruck der Frau, als es um den Schulwechsel zum nächsten Jahr geht, der sie noch mal von vorne, ganz ohne „Ost“-Label, habe anfangen lassen. Die Augenbrauen ziehen sich zusammen, der Blick wird herausfordernd, der Kopf stolz in den Nacken gelegt. Plötzlich ist sie nur allzu gut wiederzuerkennen: Frauke Petry und ihre Wut, wie sie sie bei ihren Reden im Bundestag wie aus dem Nichts heraufbeschwören konnte. Ihr infantiler Trotz, den sie als AfD-Vorsitzende bei Talk-Show-Auftritten an den Tag legte, wenn sie Überlegenheit vortäuschen wollte, wo ihr die Argumente ausgingen.Mediale Dauerbrenner: Emanzipierte Frauen im Osten, Rabenmütter im WestenEs sind überraschende Momente wie diese, die Sabine Michels Frauen in Landschaften zu einem so eindrücklichen Dokumentarfilm machen. Eigentlich als Projekt über (ehemalige) Spitzenpolitikerinnen aus Ostdeutschland konzipiert, ist es doch zuerst der über jede solcher Kategorisierungen erhabene menschliche Faktor, der das Herzstück dieses zunächst so nüchtern wirkenden Filmes bildet. Eröffnet wird er durchaus mit einem Katalog an vorhersehbaren Fragen, der die Gespräche erkennbar auf altbekannte Themen lenken soll, die sich als mediale Dauerbrenner erwiesen haben.Eingebetteter MedieninhaltOb sie im Kindergarten gewesen seien und ob ihre Mütter gearbeitet hätten, sollen die vier Protagonistinnen eingangs beantworten, zu denen neben Frauke Petry auch die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) und Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion, gehören.Wie zu erwarten, werden beide Fragen von allen vier Frauen bejaht und so die eigentlich keines Beweises mehr bedürfende Tatsache schlicht noch mal unterstrichen, dass Frauen in der DDR wesentlich einfacher Berufs- und Familienleben miteinander vereinbaren konnten, während man sie dafür im Westen gerne als „Rabenmütter“ beschimpfte.Vertrautheit ohne Homestory-KitschInsgesamt fördert der Dokumentarfilm faktisch wenig Neues zutage, wenn er um die unerhörte Doppelbelastung als Mutter und Persönlichkeit des öffentlichen Lebens sowie die zusätzlichen Hürden kreist, denen sich Frauen aus den gar nicht mehr so „Neuen Bundesländern“ gegenübersehen. Selbiges gilt für die Ansichten der ganz unterschiedlichen Strömungen angehörenden Politikerinnen zur Gleichstellung und zur Frauenquote: Natürlich versteht sich Anke Domscheit-Berg als vehemente Kämpferin für Geschlechtergerechtigkeit, selbstredend verstrickt sich Frauke Petry angesichts ihrer eigenen Biografie in selbstgerechte Widersprüchlichkeiten.Allerdings gelingt Sabine Michel das gerade im Kontext des unerbittlichen Politikbetriebs, wo sich „Persönliches“ und „Professionalität“ wie zwei unvereinbare Gegensatzpaare gegenüberstehen, seltene Kunststück, wahrlich zu ihren Protagonistinnen durchzudringen. Mit voranschreitender Spielzeit zeichnet sich ab, dass sie über die drei Jahre hinweg, in denen sie die Frauen begleitete, wirklich ihr Vertrauen gewonnen hat. Nach der ungelenken Vorstellungssequenz in einem brutalistischen Setting, das einzig aus besagter Betonwand und einem Designerstuhl besteht, folgt der Film den Frauen so vermehrt in ihre Landschaften.Und das in mehrfacher Hinsicht: einerseits in ihr eigenes Umfeld, wo neben den üblichen Bildern aus dem Wahlkampf, Besucherführungen im Bundestag und Terminen in Betrieben im Wahlkreis auch gänzlich ungewöhnliche Szenerien entstehen. Dann steht Manuela Schwesig etwa auf einem Leuchtturm in Warnemünde oder Anke Domscheit-Berg sitzt im heimischen Wohnzimmer am Spinnrad. Was nach fragwürdigem Marketing für das Urlaubsziel Mecklenburg-Vorpommern oder einer peinlichen Homestory klingen mag, ist in Wahrheit die Illustration für die inneren Sphären der Protagonistinnen, die Sabine Michel hier tatsächlich zum Vorschein bringt.Ohne Rührseligkeit berichtet etwa Manuela Schwesig von ihrer Krebsdiagnose, die sie ausgerechnet zu Beginn der Corona-Pandemie bekam. Davon, wie sie angesichts der Komplexität der Krise kaum Zeit hatte, mit sich allein zu sein, und daher die kurze Fahrradstrecke zur Klinik geradezu genoss. Wie sie im Bestrahlungsraum stets auf das Bild ebenjenes Leuchtturms blickte und sich dabei selbst versicherte, dort eines Tages wieder bei voller Gesundheit zu stehen. Doch selbst in Interviews, die an sterileren Schauplätzen stattfinden, werden selbstbezogener PR-Sprech und schale „Empowerment“-Phrasen immer wieder durchbrochen: Yvonne Magwas stellt in einem Augenblick unaufgeregt eine neue Sammlung an Kunstwerken zum Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht“ vor, ehe sie später über den Schock berichtet, als ihr Sohn während einer von ihr geleiteten Sitzung das Bewusstsein verlor. Sichtbar aufgewühlt durch die permanente Anspannung, stets beidem gerecht werden zu wollen: den beruflichen Zielen, aber auch den Kindern.Sympathisch wird Frauke Petry nicht Wie Sabine Michel, die mit Frauen in Landschaften nach dem autobiografischen Zonenmädchen (2013) und dem Pegida-Dokumentarfilm Montags in Dresden (2017) ihre „Ost-Trilogie“ abschließt, diese große Nähe zu ihren Protagonistinnen schuf, ist zwar nicht ersichtlich. Sie verzichtet nicht nur weitgehend auf musikalische Untermalung und, abseits vereinzelter Fotos aus der Kindheit der Politikerinnen, auf Archivmaterial. Auch einen Off-Kommentar gibt es nicht, ihre Fragen sind nur in Ausnahmefällen zu hören.Fest steht, dass ihr bei aller puristischen Inszenierung ein überaus plastischer Dokumentarfilm gelungen ist. Einer, der en passant veranschaulicht, was politische Proklamationen alleine nicht vermitteln können: die Notwendigkeit, endlich die Strukturen abzubauen, die Frauen den Weg in die volle Berufstätigkeit, insbesondere ins Parlament, versperren. Noch wichtiger mag gerade in der aktuell angespannten Stimmung sein, dass Frauen in Landschaften die Erinnerung daran weckt, dass zumindest abseits von Parteibüchern eine Verständigung möglich ist.Denn Sabine Michel gelingt es, über Biografisches die Beweggründe ihrer Protagonistinnen nachvollziehbar zu machen. Nicht selten ertappt man sich als Zuschauerin, etwa bei Ausführungen über die Familiengeschichte der Politikerinnen oder besonders entscheidenden Erfahrungen, dass man nun, auch wenn man es noch lange nicht teilen muss, zumindest die Entstehung so manchen Movens verstehen kann. Von prägenden Müttern, die wahlweise rechte Schmähgedichte veröffentlichten oder mit ihrer Unabhängigkeit zum unabdingbaren Vorbild wurden, ist besonders oft die Rede.Bei allem zwischenmenschlich Verbindenden wahrt Sabine Michels Film doch stets eine ausreichend kritische Haltung, um auch das Trennende, die politischen Überzeugungen, herauszuarbeiten. Darüber, dass etwa eine Frauke Petry zur Sympathieträgerin wird, muss man sich also keine Sorgen machen.Placeholder infobox-1