Sie war irgendwie schon immer da. Als Dirigentin. Als Frau. Als Selbstverständlichkeit. Vor fast 40 Jahren stand Simone Young zum ersten Mal im Orchestergraben der Sydney Opera – als Einspringerin. Seither ist sie Pionierin für Frauen mit dem Berufswunsch Dirigentin.
Youngs Mutter war Schneiderin und kam mit fünf Jahren aus Kroatien nach Sydney, ihre Großmutter war zeitlebens Analphabetin. Die Familie von Youngs Vater hat irische Wurzeln. Bildung galt in ihrer Kindheit als Versprechen für gesellschaftlichen Aufstieg. Also wurde die Tochter an einer vornehmen Mädchenschule eingeschrieben, als ihre Freundinnen am Strand von Sydney surften, lernte Simone Latein und Mathe. Als Teenager soll sie ihre Schulbücher mit Alufolie umwickelt haben, um auch beim
auch beim Lesen etwas brauner zu werden.Young begann Musik in Sydney zu studieren, zog aber schnell in die Welt: Köln, Berlin, Covent Garden. Schließlich wurde sie nicht nur Chefdirigentin der Hamburgischen Staatsoper, sondern auch Intendantin des Hauses. Zehn Jahre lang, von 2005 bis 2015, hat sie sich in der Organisation abgearbeitet – dann wollte sie wieder frei sein. Heute leitet sie das Sydney Symphony Orchestra.Simone Young ist Vorbild für junge DirigentinnenÜber ihre Rolle als Frau in der Klassik redet Simone Young nur ungern. Sie arbeitet lieber. Und dabei haben ihr viele jüngere Frauen begeistert zugeschaut. Eine von ihnen war die französische Dirigentin Marie Jacquot. „Das Wichtigste, um Frauen zu inspirieren, selber Dirigentin zu werden, ist, dass sie andere Frauen dirigieren sehen“, sagt Jacquot, „und Simone Young hat dabei für viele von uns eine wichtige Rolle gespielt.“Tatsächlich war Young in den 90er Jahren als Frau eine große Ausnahme in der Klassikwelt. Neben ihr gab es lediglich Marin Alsop, Susanna Mälkki oder Emmanuelle Haïm. Young dirigierte die Wiener Philharmoniker, als in diesem Orchester noch keine einzige Frau spielte, und neben ihrer Karriere war die Familie für sie eine Selbstverständlichkeit. Die Erziehung der zwei Töchter teilte sich Young mit ihrem Mann. Trotzdem hörte sie auch zur Jahrtausendwende noch den Vorwurf: „Rabenmutter!“ Besonders in ihrer Zeit in Deutschland.Dass Simone Young diesen Sommer den Ring des Nibelungen bei den Bayreuther Festspielen übernimmt (der ursprünglich angekündigte Philippe Jordan hat überraschend abgesagt), ist auf vielen Ebenen eine logische Konsequenz. Wagner hat sie schon an vielen großen Opernhäusern dirigiert, in London, Sydney, Wien oder Hamburg. Früher war das eine Revolution. „Dass eine Frau aus Australien Wagner dirigierte“, sagte Young einmal, „war so verrückt, als würde ein Hund eine Geige in die Hand nehmen und Tschaikowsky spielen.“Inzwischen gilt Young als souveräne Organisatorin der Leitmotiv-Berge des Bayreuther Komponisten. Und auch die Festspiele sind ihr nicht unbekannt. Hier traf sie Anfang der 90er ihren größten Förderer, Daniel Barenboim, und wurde seine Assistentin. Barenboim nahm Young mit an die Staatsoper nach Berlin. „Daniel hat Humor“, verriet die Dirigentin der Süddeutschen Zeitung einmal, „er hänselt einen gern, das ist sehr lustig – vor allem für die anderen. Aber er schätzt auch Fleiß und den Wunsch, immer noch besser sein zu wollen.“Mehr Frauen als Männer dirigieren dieses Jahr in BayreuthDiesen Sommer werden mit Simone Young, der Ukrainerin Oksana Lyniv und der Französin Nathalie Stutzmann neben Semyon Bychkov und Pablo Heras-Casado erstmals mehr Frauen als Männer auf dem „Grünen Hügel“ dirigieren. In der Klassik ist das noch lange keine Selbstverständlichkeit. Die Internetseite Bachtrack hat 31.309 Klassikveranstaltungen des vergangenen Jahres ausgewertet und nachgezählt, dass sich unter den 100 am meisten beschäftigten Dirigentinnen und Dirigenten gerade einmal 14 Frauen befinden. Immerhin geht es bergauf: 2015 waren es nur drei.Von jemandem wie Simone Young kann man aber auch lernen, dass es nicht nötig ist, das eigene Dirigentinnen-Dasein als Dauer-Werbekampagne zu inszenieren. Darüber ist schon Alondra de la Parra gestolpert, und auch Berlins neue Star-Dirigentin Joana Mallwitz erinnert in ihren PR-Exzessen zuweilen mehr an olle Männer-Maestri wie Herbert von Karajan als an moderne Musik-Menschen wie Simone Young.Klar, Frauen an der Spitze von Orchestern sind keine Garantie dafür, dass es demokratischer, einfühlsamer oder weniger egozentrisch zugeht als bei Männern. Aber Simone Young ist Vorkämpferin für eine neue Selbstverständlichkeit der Frau am Pult. Neulich wurde ihr der Europäische Kulturpreis an der Wiener Staatsoper vom alten Ex-Intendanten Ioan Holender überreicht. Holender machte (weil er es sein Leben lang getan hat) Alt-Männer-Frauenwitze. Und Simone Young überhörte ihn dabei cool und regungslos. Ihre Erbinnen, wie Oksana Lyniv oder Marie Jacquot, wie Giedrė Šlekytė oder Keren Kagarlitsky, arbeiten noch immer im Bewusstsein von Simone Youngs Pioniergeist, interpretieren die Rolle der Dirigentin aber längst auf ihre ganz eigene Art.