Fick den Faktencheck oder: Höckes gehacktes Mettbrötchen

Thüringenwahl Das TV-Duell zwischen Björn Höcke von der AfD und Mario Voigt von der CDU war das Duell zweier Realitäten
Björn Höcke und Mario Voigt bei TV-Duell in Berlin
Björn Höcke und Mario Voigt bei TV-Duell in Berlin

Foto: Martin Lengemann/WELT/dts Nachrichtenagentur/Imago

Es war 20.15 Uhr in ganz Deutschland, und das Duell fand auf einem Sender statt: Welt übertrug die Debatte zwischen den beiden Umfrage-Königen der Landtagswahl in Thüringen, zwischen Björn Höcke von der AfD und Mario Voigt von der CDU. Doch nach nur wenigen Minuten wurde klar, dass Deutschland an diesem Abend zwei Debatten gesehen hat, zwei Diskussionen mit grundlegend anderen Wirklichkeiten, zwei Schlagabtausche aus zwei verschiedenen Universen.

Der Satz, an dem klar wurde, dass der große Showdown trotz ausgeklügeltem Regularium, Redezeitmessung und vorher ausgehandelten Themenkomplexen nach vollkommen unvereinbaren Kriterien gewertet werden würde, fiel noch während der Einleitung der Moderatoren. Welt-Mann Jan Philipp Burgard (er leitete die Debatte neben Tatjana Ohm) erklärte, dass es morgen einen Faktencheck bei Welt-Online gäbe, und sofort grätschte Björn Höcke dazwischen und lotste seine Fans in die hermetische Nachrichtenrealität seines „Naziversums“. Der AfD-Mann gab bekannt: „Einen ‚alternativen‘ Faktencheck gibt es auf meinem ‚X‘-Account.“ Und damit war ein Duell nach gleichen Kriterien bereits ausgehebelt.

Wir kennen das aus den US-Wahlkämpfen mit Donald Trump. Egal, welche Fakten CNN, New York Times oder Washington Post recherchieren, egal, wie Trumps Auftritte allabendlich von Stephen Colbert oder Jimmy Kimmel nach allen Regeln satirischer Logik auseinandergeschraubt werden, egal ob unabhängige Gerichte dem Präsidentschaftskandidaten Geldbußen und Urteile aufbrummen – Donald Trump ficht all das nicht an. Er lebt mit seinen Anhängern längst in einem Kosmos „alternativer Fakten“, den nun auch Björn Höcke aufbauen will. Eine Gaga-Welt für uns, die in der alten Realität zurückgeblieben sind.

Eine Welt, in der Trump-Bibeln mit Unabhängigkeitserklärung das neue Glaubensbekenntnis, Gold-Sneaker mit Trump-Logo Mode-Accesoires und Sammelkarten, die Trump als Superhelden zeigen, Kinderspielzeuge geworden sind. Eine Welt, die mit einem Kaffee aus Tassen beginnt, auf denen ein Polizeifoto von Donald Trump zu sehen ist. Eine Alternative Welt, in der ein Verbrechen kein Verbrechen mehr ist, in der wissenschaftliche Erkenntnisse als Meinungen verstanden werden, zu denen jeder eine Gegenmeinung haben kann.

Wir kennen das von Donald Trump. Aber es kam ein wenig anders

Und weil wir all das aus den USA kennen, hat wohl auch niemand viel darauf gegeben, dass der eher dröge Mario Voigt irgendeine Chance hätte, als Gewinner aus dem Duell mit dem Populisten Höcke zu gehen. Aber es kam zumindest ein wenig anders.

Denn Voigt perfektionierte von Beginn an die Verteidigung des normalen Menschenverstandes und seiner politischen Fakten. Er rechnete dem EU-Skeptiker Höcke die Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft vor (der Ausstieg aus der EU würde jeden Thüringer Haushalt 1.000 Euro kosten), zerstörte Höckes Polemik mit Studien des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung oder rechnete vor, dass es keine 10 Millionen Asylbewerber gäbe wie Höcke behauptete, sondern lediglich 3,8 Millionen. Und ganz nebenbei: Inzwischen hätte jeder vierte Arzt in Thüringen einen ausländischen Pass. Da fiel Höcke dann ein, dass man den Fachkräftemangel durch Beischlaf bekämpfen könne. Wenn die Thüringerinnen und Thüringer wieder mehr Kinder zeugten, würde es auch wieder mehr deutsche Ärzte geben. Die AfD nennt das „Familienoffensive“.

Als es um die Bezahlkarte für Asylbewerber ging, stieg Voigt dann allerdings doch in einen Überbietungswettbewerb ein und versuchte Höcke rechts zu überholen. Klar, er ist schließlich Teil der Merz-CDU und kein Grüner. Voigt erklärte, dass Menschen in Asylheimen in vielen thüringischen Gemeinden arbeiten müssten, um Geld zu bekommen. Eine Ausnahme sei ausgerechnet der von der AfD regierte Bezirk Sonnenberg – hier sei weder die Bezahlkarte eingeführt noch die Arbeit für Asylbewerber.

Der „EU-Wahn“ und das Mettbrötchen

Als Höcke dann auch noch der Fauxpas passierte, dass er den EU-Wahn anhand des „Mettbrötchens“ erklären wollte und Voigt ihm so trocken wie ein Thüringer Kloß erklärte, dass man in Thüringen „Gehacktes“ sage, stieg dem AfD-Oberlehrer kurz die Ramelow-Röte ins Gesicht und für einen Moment schien er „färtsch“ und hatte offensichtlich keine „Feduzie“ auf Duell mehr.

Und Voigt legte nach, als er beim Thema Migration Seite 254 des Höcke-Buches zitierte, in dem der AfD-Politiker erklärt, dass man einige Menschen aus Deutschland vertreiben müsse, egal ob Ausländer oder Deutsche. Das sei „völkischer Müll“, erwiderte Voigt. Höcke antwortete, dass sein Kontrahent den Satz aus dem Kontext gerissen habe und den „philosophischen Tiefgang“ seines Buches eben nicht verstehe. Überhaupt sei es armselig, dass Voigt sich das Zitat habe aufschreiben müssen.

Dieser Satz wurde für Höcke zum Bumerang, als Moderator Burgard wissen wollte, ob der AfD-Mann weiterhin dazu stehe, dass die Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD) nichts in Deutschland verloren habe. Auch das habe Höcke schließlich in seinem Buch geschrieben. Plötzlich erklärte der Politiker, dass er sich nicht mehr an diese Forderung erinnern könne, da er das Buch ja bereits vor sechs Jahren verfasst habe. Das sei lange her, und „diese Frau“ sei ihm gerade nicht mehr geläufig. Voigt verzog bei diesem Sieg keine Mine.

Nicht weniger unglaubwürdig rang Höcke mit der Frage, ob ihm bewusst war, dass der Satz „Alles für Deutschland“, den er im Wahlkampf benutzte, eine Losung der SA sei. Erst nach allerhand Lavieren erklärte der ehemalige Geschichtslehrer, dass er das nicht gewusst hätte, „wir müssen jetzt ja auch keine historischen Diskussionen führen.“

Wäre da nicht das Faktum der alternativen Fakten

Voigt hatte sich auch einige sehr hübsche Rhetorik-Sätze zurechtgelegt, die er vollkommen unaufgeregt aus dem Ärmel schüttelte. Hier ein „Ich muss Sie nicht Faschist nennen, das hat das Gericht schon gemacht.“ Dann die Warnung vor dem „Reichskanzler Höcke“. Da konnte selbst der AfD-Mann nur staunen und loben: „Sie werden ja radikalpopulistisch“.

Wer das Duell mit dem allgemeinen, aufgeklärten und demokratischen Realitäts-Raster angeschaut hat, konnte positiv überrascht von Mario Voigt sein. Er hat keine Fehler gemacht und vielleicht sogar ein Stückchen seines ambitionierten Zieles erreicht. Voigt ist mit der großen Hoffnung angetreten: „Wir ändern heute Abend das Bild der Wählerinnen und Wähler in Thüringen.“

Tja, wäre da nur nicht das Faktum der alternativen Fakten. Auf Björn Höckes X-Account ging der alternative AfD-Faktencheck durch die Decke und einige tausend Nutzer ließen ihre Herzen auf seinem Profil zurück. Dass die Wirklichkeiten von Voigt und Höcke nicht vereinbar sind, erklärte der CDU-Politiker am Ende der Debatte noch einmal, als Höcke ihm die Hand für eine „national-bürgerliche“ Koalition ausstreckte. Voigt schlug das Angebot mit dem trockenen Satz aus: „Sie sind nicht bürgerlich. Sie sind völkisch.“

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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