Vorsicht, Fortschritt!

Hollywood Rassistisch? Homophob? Die Vergabe der Oscars zu diskutieren, wird immer politischer
Ausgabe 09/2019
Mehr denn je waren bei den diesjährigen Oscar-Verleihungen Frauen unter den Preisträgerinnen, auch in den technischen Kategorien. Im Bild: Ruth E. Carter mit ihrer Auszeichnung für das Kostümdesign bei „Black Panther“
Mehr denn je waren bei den diesjährigen Oscar-Verleihungen Frauen unter den Preisträgerinnen, auch in den technischen Kategorien. Im Bild: Ruth E. Carter mit ihrer Auszeichnung für das Kostümdesign bei „Black Panther“

Foto: Frazer Harrison/Getty Images

Im Grunde ist es eine müßige Beschäftigung, über die Vergabe der Oscars zu diskutieren. Andererseits ist die Sinn- und Zweckfreiheit gerade das Schöne an den Debatten, selbst wenn sie, wie in diesem Jahr, viel Unschönes zutage bringen. Der Versuch, die hitzigen Argumente darüber, ob Green Book nicht eigentlich ein rassistischer und Bohemian Rhapsody in Wahrheit ein homophober Film sei, mit einem „Es sind doch nur Filme!“ zu beruhigen, zielt jedoch ins Leere. Denn auch wenn das paradox klingt: Während die für die Vergabe zuständige Akademie mit zahlreichen Reformversuchen, sei es am Verfahren, den Kategorien oder der Show selbst, gegen einen postulierten Bedeutungsschwund kämpft, kommt der Diskussion um die Filme, um ihre Macher und ihre Inhalte immer größere Relevanz zu. Anders gesagt: Gerade weil es ein Spiel ist, für ein paar Wochen die von den USA dominierte Filmwelt als kulturelles Zentrum zu setzen und ihre moralischen, ideologischen und ästhetischen Intentionen so intensiv zu beleuchten, als hinge davon das Weltgeschehen ab, eignen sich die Oscars als perfektes Anschauungsbeispiel für den Strukturwandel der Öffentlichkeit in Zeiten von Globalisierung und Social Media.

Dementsprechend liest sich das Fazit des „Rennens“ in diesem Jahr eher wie ein politisches Kommuniqué denn wie ein Filmkommentar: Die „konservativen“ Kräfte haben ihre vermeintlich knappe Mehrheit behalten, während die jahrelangen Forderungen nach mehr Diversität und Emanzipation merklich Früchte tragen. So war zwar nach der Verleihung der Unmut in den sozialen Medien recht groß, dass die „problematischen“ Filme Green Book (ausgezeichnet mit drei Oscars, darunter bester Film, bestes Originaldrehbuch und bester Nebendarsteller) und Bohemian Rhapsody (vier Oscars in den Kategorien Hauptdarsteller, Sound-Mix, Sound-Schnitt und Schnitt) als Hauptgewinner des Abends hervorgingen. Aber die Bilanz drum herum kann sich in puncto Fortschrittlichkeit durchaus sehen lassen: Mehr Frauen denn je waren unter den Preisträgerinnen auch der technischen Kategorien, was unter anderem dem Film Black Panther zu verdanken ist, für dessen Produktionsdesign ein Mann und eine Frau (Hannah Beachler and Jay Hart) und für dessen Kostüme eine Frau (Ruth E. Carter) verantwortlich zeichnen. Letztere schrieb zusätzlich Geschichte, weil sie die erste afroamerikanische Gewinnerin dieser Kategorie ist. Frauen bekamen außerdem Oscars fürs Make-up (Vize), für den besten Dokumentarfilm (Free Solo), in beiden Kurzfilmkategorien und für den besten Song (Lady Gaga für Shallow aus A Star Is Born).

In Sachen Diversität sieht es ähnlich aus: Zwei der vier Schauspielpreise gingen an Afroamerikaner, und mit Rami Malek, der für seinen Auftritt als Freddy Mercury in Bohemian Rhapsody gewann, ein dritter an den Sohn von ägyptischen Einwanderern. Den Oscar für die beste Regie erhielt – und das zum fünften Mal in den letzten sechs Jahren! – ein Mexikaner (Alfonso Cuarón für Roma), der zusätzlich noch als bester Kameramann ausgezeichnet wurde. Selbst Spike Lee, dessen Filme die Academy jahrzehntelang sträflich übergangen hat, kam zu einem späten Recht. Sein BlacKkKlansman wurde zwar nicht bester Film, aber für die beste Drehbuchadaption dazu erhielt er endlich seinen ersten „echten“ Oscar – den für die Lebenskarriere hat man ihm schon 2016 gegeben.

Wem diese Aufstellung wegen ihrer Gewichtung des vermeintlich politisch Korrekten missbehagt, kann sich vielleicht daran erfreuen, dass die Oscars 2019 ein Jahrgang waren, in dem einmal nicht die Wenigen dominierten, sondern die Vielen. Der Zufall, dass die missglückte Suche nach einem „Host“, der witzelnd durch die Show führt, zu einer von keiner zentralen Stimme moderierten Zeremonie führte, tat sein Übriges dazu: Man musste sich seinen eigenen Reim darauf machen. Was als zentrale Anforderung an jeden, der sich mit Kultur oder Politik beschäftigt, gilt.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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