Auch ich habe eine Oktoberfest-Vergangenheit, muss ich gestehen. Ich habe mir am ersten Wiesntag in aller Herrgottsfrühe für einen Platz im Bierzelt die Beine in den Bauch gestanden, mit Wildfremden Arm in Arm auf Bierbänken geschunkelt, überhaupt den ganzen Scheiß mitgemacht. Bei einer Jugend in und um München gehört die Wiesn halt einfach dazu, mit ihrem ganz eigenen Geruch nach Herbst, Bierdunst, Kotze und Brathendl, den absurden Begegnungen in der S-Bahn, der unheimlichen Enthemmung. Wirklich gefallen hat es mir nicht, aber was macht man in der Jugend nicht alles mit? Und zweifelsohne ist das „größte Volksfest der Welt“ ein Faszinosum.
Genau dem will sich der Podcast Das Lederhosen Kartell annähern. Reporter und Podcast-Host Alexander Gutsfeld bringt dafür ideale Voraussetzungen mit. Denn er ist seit vielen Jahren auch Rikscha-Fahrer auf der Wiesn, radelt also die Besoffenen oder Gestrandeten Nacht für Nacht ins Hotel, ins Bordell oder zum Bahnhof. Damit macht er nicht nur ein gutes Geschäft – er erlebt den Wiesnkosmos wie unterm Brennglas.
Nun birgt mediale Auseinandersetzung mit dem Oktoberfest immer die Gefahr, zum Klischeefestival zu verkommen. In der Regel muss man die immergleichen Ausschnitte aus dem Bierzelt und vom Anstich ertragen, dann wird der Kotzhügel mehr oder weniger kreativ in Szene gesetzt, und zur musikalischen Untermalung wird in eine Tuba hineingehupt. Nicht, dass das der Realität nicht recht nahe käme, aber es wird irgendwann öde.
Und wie gelingt das beim Lederhosen Kartell? Zumindest beim Coverbild ist direkt Klischee-Alarm. Durch einen belederhosten Schritt ist ein bedirndeltes Dekolleté in Szene gesetzt. Auch der Soundtrack kommt nicht ohne Blechgebläse aus, aber das ist dafür der Stimmung angepasst: leicht surreal, manchmal etwas zwielichtig – so wie die Welt, die Alexander Gutsfeld und Co-Podcaster Simon Garschhammer in den ersten Folgen erkunden. Da sind zum Beispiel die Drogendealer, die mit herrlich rotzigem Selbstbewusstsein demonstrieren: Die Wiesn, das sind auch wir – und nicht nur der großkopferte Bieradel.
Los geht es aber mit der Münchner Schickeria, die sich seit Jahren im Käfer-Zelt trifft. Da darf der Bezug zu Kir Royal nicht fehlen. Und so erzählt Klatschreporter Michael Graeter, einst Vorbild der Kir-Royal-Hauptfigur Baby Schimmerlos, in der ersten Episode über seine Deals mit den Gastronomen, die sinnbildlich für das stehen, was das Oktoberfest ausmacht: ein Ökosystem von Glücksrittern, Geschäftsleuten und Hallodris, die alle ihren Schnitt machen.
Auch Alexander Gutsfeld auf seiner Rikscha ist einer von ihnen. Er weiß genau, von welchen Gästen er 20 und von welchen er 50 Euro für eine Fahrt verlangen kann. Die mitgeschnittenen Gespräche sind ein Highlight des Podcasts. Weil sie über die übliche Darstellung der Wiesn hinausgehen und die Besoffenen in all ihren Facetten zeigen: mal unangenehm, mal urkomisch.
Doch es wird schnell ernster, wenn es um das Leben der Sexarbeiterinnen während der Wiesn geht. Reporter Gutsfeld verdient ordentlich Provision, wenn er die besoffenen Wiesn-Gäste in die Bordelle der Stadt bringt. Darum spricht er mit Sexarbeiterinnen, einem Bordellbetreiber, lässt das Tonband mitlaufen, während eine der Frauen einen betrunkenen Grapscher davonjagt. Das hat etwas Beklemmendes und ist von der Idee her so wichtig wie ehrenwert, doch zuweilen ist die Auseinandersetzung seltsam oberflächlich.
Spannend bleibt der Blick auf diese Akteure rund um die Wiesn, deren Geschichten es verdient haben, in der blau-weißen Folklore nicht unterzugehen. Das Lederhosen Kartell macht da einen guten Anfang und sei allen empfohlen, die vor dem Bierzelt anstehen – oder mithilfe eines Podcasts die Besoffenen in der S-Bahn ausblenden wollen.
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