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Häuserkampf Mehr als die Hälfte der Berliner halten Hausbesetzungen in der derzeitigen Situation für legitim. Das ist auch ein Hilfeschrei nach gerechterer Mietpolitik
Besetzungen als legitimes politisches Mittel angesichts der Wohnsituation? Die Mehrheit steht dahinter
Besetzungen als legitimes politisches Mittel angesichts der Wohnsituation? Die Mehrheit steht dahinter

Foto: Imago/Christian Mang

Annegret Kramp-Karrenbauer hat beruflich viel in Berlin zu tun. Ob sie sich dort wohlfühlt? Immerhin müsste statistisch gesehen jeder zweite, dem sie dort über den Weg läuft, ein Unterstützer “linker Krimineller” sein.

Laut einer Forsa-Umfrage meinen 53 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, dass gesetzeswidrige Hausbesetzungen ein legitimes Mittel sind, um auf das Thema Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Sie unterstützen jene Menschen, die die CDU-Generalsekretärin im Zuge der Besetzungen vom Pfingstwochenende in einem Tweet als "linke Kriminelle" bezeichnet hatte, die "rechtswidrig" Häuser besetzten. Das dürfe sich ein Rechtsstaat nicht bieten lassen, schrieb Kramp-Karrenbauer, und: "Hier muss hart, entschlossen und mit allen nötigen Mitteln durchgegriffen werden." Wurde es dann auch – der "Berliner Linie" folgend, waren die Häuser in weniger als 24 Stunden geräumt.

Der Mehrheitsmeinung in Berlin entsprach diese Maßnahme nicht, wie die Zahlen belegen. Besonders hoch sind die Zustimmungswerte erwartungsgemäß unter Anhängern der Linkspartei (83 Prozent) und der Grünen (77 Prozent). Aber wenn sogar ein Viertel der CDU-Anhänger die Besetzungen in der gegenwärtigen Sitaution als legitim erachten, will das schon etwas heißen. Die Entschlossenheit, die sich die Menschen wünschen, ist offensichtlich eher die der Besetzerinnen und Besetzer: Dem status quo laut und deutlich zu widersprechen.

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Natürlich ist eine Umfrage nur eine Umfrage. Die Implikationen, die mit deren Ergebnissen einhergehen, sind dennoch interessant. Denn an und für sich hatte ziviler Ungehorsam als legitimes Mittel praktischer Politik schon einmal einen besseren Stand in der Gesellschaft. Dass er nun ausgerechnet bei der Frage des bezahlbaren Wohnraums als legitim erachtet wird, ist bezeichnend. Die derzeitige Situation kratzt am Unrechtsbewusstsein. Leerstand und brachliegende Bauflächen werden als Selbstverständlichkeit hingenommen – die Nutzbarmachung ungenutzten Raumes ist hingegen gesetzeswidrig und direkt wieder zu beenden. Das leuchtet längst nicht mehr allen ein.

Ein Votum für zupackendere Politik

Es hätte ein weiterer politischer Weckruf sein. Höchste Zeit, “entschieden gegenzusteuern”, wie es dann häufig heißt. Doch selbst auf der Suche nach kleineren Kurskorrekturen muss man derzeit sehr genau hinsehen. Horst Seehofer, der erste Mann im Staat, was den Bau angeht, ist ausschließlich mit der Rettung der Heimat beschäftigt. Das einzige, was er bauen will, sind Zentren, um Geflüchtete gar nicht erst ins Land zu lassen.

Und Justizministerin Katharina Barley, zuständig für die Verschärfung der Mietpreisbremse? Vergangene Woche zum traurigen dreijährigen Jubiläum des Gesetzes erklärte Chris Kühn, Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik der Grünen: "Katharina Barley kündigt seit Monaten Nachbesserungen an, aber bisher gibt es noch nicht einmal einen Referentenentwurf. Wie sie das in den wenigen verbleibenden Wochen vor der Sommerpause noch schaffen will, ist schleierhaft."

Nun hat Barley angekündigt, sie werde Anfang der Woche ihren Entwurf in die Ressortabstimmung der Bundesregierung geben. Die Geschwindigkeit, mit der Veränderungen angestoßen wird, sie ist fürwahr atemberaubend.

Die Hausbesetzungen in Berlin – ob gesetzeswidrig oder nicht – stellten dazu ein überdeutliches Kontrasprogramm dar. Eine Demonstration alternativer Formen von Politik: Zupackend, lösungsorientiert, als Antwort auf die Bedürfnisse der Menschen. Sie waren eine Erinnerung daran, wofür Gesetze gemacht sein sollten. Sie sollen dem Wohl der Gesellschaft dienen. Der gezielte und offensichtlich anerkannte Gesetzesbruch erinnert daran, dass das bei Fragen des Wohnraums derzeit nicht der Fall ist. Die Umfrageergebnisse sind so einmal mehr ein Ruf nach mutigerer Politik.

Das lässt hoffen – auch für andere Aktionen, die derzeit im Gange sind. So wollen Aktivisten in Berlin die Deutsche Wohnen, ein börsennotiertes und entsprechend gewinnorientiertes Wohnungsunternehmen mit üblem Ruf enteignen. Mit Blick auf die aktuelle Umfrage und die derzeitige Situation dürften auch sie sich über einige Zustimmung freuen.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Neben seinem Studium arbeitete er als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz viele Leser:innen zu begeistern. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts. Er ist außerdem Co-Autor zweier Jugendbücher: Young Rebels (2020) und Whistleblower Rebels (2024) sind im Hanser Verlag erschienen.

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