Links gegen Links

Hausbesetzungen Ausgerechnet die Regierung in Griechenland geht mit harter Hand gegen Hausbesetzungen und Wohnprojekte vor. Ein Bericht aus der linken Szene in Thessaloniki

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"Antifaschismus heißt Angriff", steht auf diesem griechischem Graffiti
"Antifaschismus heißt Angriff", steht auf diesem griechischem Graffiti

Foto: ARIS MESSINIS/AFP/Getty Images

Es war ein früher Mittwochmorgen. Gerade hatten sich Aktivist*innen aus ganz Europa zum diesjährigen "No Border Camp" in Thessaloniki zusammengefunden, da nutzte die griechische Regierung die Gunst der Stunde. Nach den medienwirksamen Räumungen der Flüchtlingscamps in Idoemni und Polykastro setzte die Staatsgewalt ihre Serie fort.

Die Haus- und Hafenbesetzungen in Griechenlands zweitgrößter Stadt Thessaloniki waren den politischen Akteuren wohl schon länger ein Dorn im Auge. Folglich wurden die drei während der "Finanz- und Flüchtlingskrise" entstandenen Wohnprojekte "Orfanotrofeio", "Nikis" und "Hürriya" geräumt. Knapp 100 Menschen waren von der Maßnahme betroffen. Einige davon wurden nur wenige Tage später zu Bewährungsstrafen, andere zu Geldstrafen verurteilt. Viele der Geflüchteten, die in den Unterkünften Schutz gesucht hatten, überführte die Polizei in griechische Militärcamps.

Eingebetteter Medieninhalt

Die Bilder, die sich an jenem Mittwoch ereigneten, ist man bereits aus anderen europäischen Großräumen gewohnt. Ob in Barcelona, London oder Berlin: Räumungen von linken Projekten gehören zum Alltag. Ob rechtskräftig oder rechtswidrig, spielt bei den Verantwortlichen kaum eine Rolle, wie der Fall um die "Rigaer Straße 94" zeigt. Dort hatte Berlins Innensenator Frank Henkel (bewusst) eine rechtswidrige Räumung veranlasst – und muss sich im Wahlkampf nun unangenehmen Fragen stellen. Schon Monate zuvor hatte er die praktische Dauerüberwachung inklusive regelmäßiger Polizeischikanen für den gesamten Berliner Kiez veranlasst. Während Bevölkerungen regelmäßig politische Lösungen fordern, wollen Politiker*innen "Handlungsstärke" zeigen, selbst wenn sie damit Millionen an Steuergeldern verschwenden. Denn eines ist sicher: Die Konflikte bleiben bestehen. Ein Muster, das sich in vielen Städten beobachten lässt.

Auch wenn Parallelen zwischen Räumungen erkennbar sind, unterscheidet sich der Fall Thessaloniki erheblich von seinen meisten Vorgängern. Gilt die griechische Regierung politischen Beobachtern doch als links, anderen gar als linksradikal, wie der Beißreflex der Medien und europäischen Institutionen während der Krise unweigerlich offenbarte. Die größte Regierungspartei, SYRIZA, versteht sich als ein Bewegungskanalisator, der 2004 aus kommunistischen, grünsozialistischen und gewerkschaftlichen Strömungen entstand. Nicht umsonst nennt sie sich die "Koalition der radikalen Linken". Ihr Anführer und gleichzeitiger Ministerpräsident, Alexis Tsipras, gilt in Europa als linkes Schreckgespenst, stammt er doch aus der kommunistischen Jugend KNE und bezeichnete sich offen als Anarchisten. Heute lässt eben jener Mann, der einst Studierendenproteste anführte, Wohnprojekte räumen. Ein bemerkenswerter Vorgang, der sicherlich nicht nur auf den rechtspopulistischen Koalitionspartner ANEL zurückzuführen ist.

Spricht man mit Anwohner*innen der Projekte wird eines deutlich: Die gleichzeitige Räumung von drei linken Hochburgen wird als reiner Repressionsakt verstanden. "Nikis", eines der nun geschlossenen Wohnprojekte, entstand während der Revolte von 2008. Als Reaktion auf die Krise und die harten Sparmaßnahmen wurde mit "Nikis" ein Raum für obdachlos gewordene Menschen geschaffen. Dass nun ausgerechnet die erste linke Regierung des Landes die Initiative zu seinem bitteren Ende bringt, überrascht doch sehr.

Entsprechende Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Kurz nach dem harten Durchgreifen der Polizei wurden mehrere Parteizentralen von SYRIZA besetzt und angeriffen. Solidaritätsbekundungen aus ganz Europa folgten. Auch in Deutschland wurden Demonstrationen abgehalten, während sich die "herrschaftskritische Sommeruniversität" solidarisierte und Aktivist*innen das Wahlkreisbüro der Linken-Vorsitzenden Katja Kipping und die griechische Botschaft besetzten.

Mittlerweile ließ SYRIZA über den Kurznachrichtendienst Twitter und eine Pressemitteilung verkünden, dass die Partei alle drei Hausbesetzungen verurteile. Die linke Szene, wenn man überhaupt von einer homogenen Gruppe ausgehen mag, hat der Tsipras-Regierung trotzdem den Kampf angesagt. Die "halbherzige Entschuldigung" halten sie für wenig glaubwürdig. Von der Regierung sind sie seit dem umjubelten OXI ohnehin enttäuscht, hat sich an den Zuständen im Land doch kaum etwas verändert und die Partei mit dem Türkei-Deal einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Fest steht: Die Wut ist groß. Der Hafenstadt könnten hart umkämpfte Zeiten bevorstehen, wie der kürzlich veröffentlichte offene Brief der Aktivist*innen zeigt. Bewusst endet er mit "see you at the streets".

Dank einem Reisestipendium der Schwarzkopf-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Kreuzberger Kinderstiftung befinde ich mich im laufenden Sommer in Griechenland, der Türkei und mehreren osteuropäischen Staaten. Im Blog von "Der Freitag" berichte ich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

David Gutensohn

Wurde an der Deutschen Journalistenschule ausgebildet und war freier Autor u.a. für Der Freitag. Heute arbeitet er als Redakteur bei ZEIT ONLINE

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