Auslieferung von Julian Assange: Zusicherungen der USA sind voller Schlupflöcher

Wikileaks Das Oberste Gericht in England hat von den USA im Prozess um die Auslieferung von Julian Assange Garantien verlangt. Die wurden nun vorgelegt – und sichern dem Wikileaks-Gründer rein gar nichts zu
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No estradizione! Solidaritätskundgebung für Julian Assange in Mailand, März 2024
No estradizione! Solidaritätskundgebung für Julian Assange in Mailand, März 2024

Foto: Marco Cremonesi / picture alliance / ZUMAPRESS.com

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Nach einer zweitägigen Anhörung im Fall Julian Assange im Februar forderten zwei Richter des britischen High Courts zuletzt, dass die US-Regierung in Bezug auf die mögliche Auslieferung des Wikileaks-Gründers an die USA diplomatische Garantien vorlegt. Am 16. April, der Deadline für die Einreichung dieser Zusicherungen, reagierte die US-Regierung offenbar mit einer Diplomatischen Note dazu. Die Garantien betrafen die Fragen, ob „Herr Assange sich auf das First Commandment (den ersten Zusatz der US-Verfassung, der die Redefreiheit schützt, Anm. d. Red.) berufen kann, bei einer Gerichtsverhandlung (einschließlich der Verurteilung) nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit benachteiligt wird, dass ihm der gleiche Schutz durch den Ersten Verfassungszusatz gewährt wird wie einem US-Bürger und die Todesstrafe nicht verhängt wird“.

Kurz nach 16 Uhr an eben jenem Dienstag twitterte die New York Times-London-Korrespondentin Megan Specia drei Bilder von den Seiten einer Diplomatischen Note. Das Dokument, das die „Nummer 610“ trägt, wurde von der US-Botschaft in London an den britischen Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, Commonwealth und Entwicklung geschickt, den früheren britischen Premierminister David Cameron. Assanges Frau Stella Assange bestätigte öffentlich die Echtheit des Bildinhaltes in einem Twitter-Zitat.

Die Diplomatische Note der USA

Die Bilder beinhalten den folgenden Haupttext:

„Die Botschaft der USA in London, England, übermittelt dem Ersten Staatssekretär Seiner Majestät für Auswärtige Angelegenheiten, Commonwealth-Fragen und Entwicklung ihre besten Grüße und bezieht sich auf die Diplomatische Note 032 vom 5. Juni 2019, die offiziell die Auslieferung von Julian Paul ASSANGE verlangt, ergänzt durch die Diplomatischen Noten 034 vom 25. Juli 2020, 074 vom 8. Februar 2021 und 169 vom 19. Oktober 2021.
Im Hinblick auf dieses Ersuchen und basierend auf den einzigartigen Fakten und Umständen dieses besonderen Falls sichert die Regierung der USA der Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland Folgendes zu.

Sollte ASSANGE von Großbritannien an die USA ausgeliefert werden, gilt:

ASSANGE wird nicht wegen seiner Nationalität benachteiligt, wenn es darum geht, welche Verteidigungsmittel er im Prozess und bei der Urteilsverkündigung vorbringen kann. Insbesondere wird ASSANGE im Falle einer Auslieferung die Möglichkeit haben, die Rechte und den Schutz des Ersten Verfassungszusatzes der Vereinigten Staaten geltend zu machen und sich bei der Verhandlung (einschließlich gegebenenfalls einer Urteilsverkündung) darauf zu berufen. Die Entscheidung über die Anwendbarkeit des Ersten Verfassungszusatzes fällt ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der US-Gerichte.

2. Es wird weder ein Todesurteil gegen ASSANGE gefordert noch verhängt. Die USA können eine solche Zusicherung machen, weil ASSANGE nicht wegen eines Vergehens angeklagt ist, auf das die Todesstrafe stehen könnte. Die USA versichern zudem, dass er nicht wegen eines mit der Todesstrafe zu bestrafenden Vergehens vor Gericht gebracht wird.

Diese Zusicherungen sind für alle und jeden bindend, der oder dem derzeit oder in der Zukunft die Entscheidungsgewalt in dieser Angelegenheit übertragen wird.

Die Botschaft ergreift die Gelegenheit, dem Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, Commonwealth-Fragen und Entwicklungshilfe Seiner Majestät erneut ihre größte Hochachtung zu versichern.

Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika
London, England. 16. April 2024“

Zum Zeitpunkt, als dieser Text geschrieben wurde, war unklar, wie Specia an eine Kopie der Diplomatischen Note gekommen ist. Das Dokument wurde weder als Pressemitteilung der US-Botschaft, des Außenministeriums, der britischen Regierung noch direkt vom Gericht veröffentlicht. Auf frühere Zusicherungen, die in das Verfahren in Großbritannien eingebracht wurden – wahrscheinlich durch eine der in dieser Note zitierten diplomatischen Noten – wurde in Gerichtsanträgen sowohl von der Verteidigung als auch der Anklage Bezug genommen. Sie wurden aber nicht wie in diesem Fall im Original veröffentlicht. Uns ist nicht bekannt, dass Vertreter einer der beiden Regierungen die Echtheit der Inhalte der Bilder bestreiten; aber eine fehlende offizielle Veröffentlichung behindert erneut das Wissen und Verständnis der Öffentlichkeit in diesem Fall. Wir haben beim US-Außenministerium Kopien der Diplomatischen Noten angefordert, aber bisher keine andere Antwort als eine Eingangsbestätigung unserer Anfrage erhalten.

Rechtliche Schlupflöcher gegen Julian Assange

„Für den Fall, dass die Zusicherungen bis zum 16. April 2024 eingereicht werden, haben die Parteien die Möglichkeit, unter Berücksichtigung der gemachten Zusicherungen weitere schriftliche Eingaben zur Frage zu machen, ob Assange in Berufung gehen kann. Solche Eingaben müssen vom Antragsteller bis zum 30. April 2024 und vom Antragsgegner und dem Außenminister bis zum 14. Mai 2024 vorliegen … Falls die Zusicherungen bis zum 16. April 2024 eingereicht werden, werden wir die Frage der Zulassung der Berufung in einer Anhörung am 20. Mai 2024 prüfen“, heißt es in dem Urteil des High Courts.

Noch mehr als die im Laufe von 2021 angebotenen Garantien zu Haftbedingungen (laut Verweisen in den Einreichungen vor Gericht) beinhalten diese Zusicherungen rechtliche Schlupflöcher, die von eher vertrauensseligen und ungeschulten Augen übersehen werden könnten, insbesondere von Leserinnen ohne juristische Bildung und solchen, die keine englischen Muttersprachler sind. Der erste Teil der diplomatischen Note enthält die Zusicherung, dass Herr Assange beim Prozess „versuchen kann“, eine auf dem First Amendment basierende Verteidigung „geltend zu machen“. Präziser steht da, dass es ihm erlaubt sein wird zu versuchen zu argumentieren, dass er sich als Teil seiner Verteidigung auf das First Amendment berufen kann. Aber natürlich darf ein Angeklagter versuchen, jede Argumentation vorzubringen, die er oder sie möchte; in keiner Weise stellt das sicher, dass ihm gestattet wird, sich in der Praxis darauf zu stützen.

Das wird im gleichen Absatz bestätigt: „Die Entscheidung über die Anwendbarkeit des First Amendments liegt ausschließlich im Zuständigkeitsbereich der US-amerikanischen Gerichte.“ Der Richter am Spionagegericht, vor dem Assange im Fall seiner Auslieferung angeklagt wird, könnte schlicht ablehnen, dass eine Berufung auf das First Amendment in seinem Fall anwendbar ist. „Eine Garantie, dass Assange das First Amendment „geltend machen“ kann, ist komplett bedeutungslos. Jeder kann alles vor Gericht „geltend machen“, bestätigte die Freedom of the Press Foundation. Daher wurde die von den britischen Richtern aufgeworfene Frage einer möglichen Diskriminierung wegen seiner Nationalität hier schlicht nicht beantwortet.

Eine Analogie: Stellen Sie sich vor, Sie planen einen Urlaub und Sie wollen wirklich in einem Hotel wohnen, in dem Sie Frühstück erhalten. Bei einem Hotel heißt es, dass im Zimmerpreis „Frühstück inklusive“ ist. Ein anderes Hotel schreibt, dass „Ihnen erlaubt ist, die Hotelmitarbeiter zu fragen, ob Sie Frühstück serviert bekommen können“. Das erste Angebot bedeutet, dass Sie erwarten können, ohne Extrakosten im Hotel Frühstück serviert zu bekommen. Das Frühstück mag am Ende vielleicht nicht zufriedenstellend sein, aber es wird ein Frühstück geben. Das Angebot des zweiten Hotels dagegen bedeutet, dass Sie keinen Ärger bekommen, wenn Sie zur Rezeption gehen und dort fragen, ob Sie Frühstück serviert bekommen. Es wird kein Versprechen gegeben, dass es überhaupt Frühstück gibt, selbst wenn Sie bereit sind, zusätzlich dafür zu bezahlen. Vielleicht wollen die Mitarbeiter auch einfach nur speziell Ihnen keins bringen; sie wollen vielleicht lieber nur Gästen aus der näheren Umgebung Frühstück servieren. Was auch immer der Grund ist: Die Mitarbeiter müssen Ihnen kein Frühstück bringen und Sie haben keine Handhabe dagegen.

Die „Garantien“ entsprechen hierbei dem Hotel-Angebot, das Frühstück der Verteidigung basierend auf dem First Amendment und das Spionagegericht ist der Hotel-Rezeptionist.

Zugesichert wird nichts

Von Anfang an vertrat US-Bundesstaatsanwalt Gordon Kromberg die Auffassung: „In Bezug auf eine mögliche Beschwerde nach dem Ersten Verfassungszusatz könnten die Vereinigten Staaten argumentieren, dass ausländische Staatsangehörige keinen Anspruch auf den Schutz des Ersten Verfassungszusatzes haben, zumindest wenn es um Informationen zur Landesverteidigung geht. Und selbst wenn sie diesen Anspruch hätten, wäre das Verhalten von Assange nicht geschützt, da er an illegalen Handlungen beteiligt war und die Namen unschuldiger Quellen veröffentlichte, was diese in große und unmittelbare Gefahr brachte“. Am zweiten Tag der Anhörung im Februar schien die Vertreterin der US-Staatsanwaltschaft Clair Dobbin KC diesem Ansatz zunächst zu widersprechen. Sie bestand darauf, dass „in den Vereinigten Staaten von Amerika die Redefreiheit offensichtlich hochgeschätzt wird“, lenkte aber auf weitere Nachfragen der Richter ein. Die „Es sei denn“-Klausel ist bereits eindeutig ausgesprochen worden.

Tatsächlich ist das eine Nicht-Zusicherung. Es ist überhaupt keine Zusicherung“, urteilte Assanges Verteidigerin Jennifer Robinson in einem Interview für ABC Listen des australischen öffentlich-rechtlichen Senders ABC. Die Rechtsanwältin erzählte, sie habe mit Assange sprechen können, während sie darauf warteten, ob die USA Garantien einreichen würden oder nicht. „Dieser Fall ist unglaublich stressig. Das Ausmaß an Druck, unter dem er steht …, die Achterbahnfahrt, die er und seine Familie durchmachen. Vor einer Woche sagte US-Präsident Joe Biden, dass er ‚überlege‘, das Verfahren einzustellen. Diese Woche kommen dann Zusicherungen der US-Regierung, die besagen: ‚Nein, tatsächlich verfolgen wir diese Auslieferung weiter.‘“ Robinson plädiert dafür, dass ihrem Mandanten erlaubt wird, nach Australien zurückzukehren.

Die zweite Zusicherung, dass im Fall von Mr. Assanges Verurteilung „eine Todesstrafe weder gefordert noch verhängt wird“, ist vielleicht sprachlich einwandfreier als die erste. Aber „sie trägt nichts dazu bei, unsere extreme Sorge über unsere Zukunft zu verringern“, konterte Stella Assange in einem Statement in Reaktion auf die Veröffentlichung der diplomatischen Note. „Entscheidend ist: Im Gefängnis wird Julian langsam getötet. Die Methode ist nur nicht der elektrische Stuhl oder die tödliche Spritze“, erklärte sie auf Bitte um einen Kommentar.

Angriff auf journalistische Arbeit

Menschrechtsaktivistin Rebecca Vincent von Reporter ohne Grenzen (RSF) beschrieb die US-Zusicherungen als „nicht einklagbare Nettigkeiten zwischen Staaten“. Im April 2023 waren Vincent und RSF-Generalsekretär Christophe Deloire „zutiefst enttäuscht“ darüber, wiederholt daran gehindert zu werden – bei mindestens vier Gelegenheiten – Julian Assange im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh zu besuchen, „obwohl sie vorher überprüft worden waren und eine Bestätigung des Gefängnisses hatten“. Vergangenen Monat berichtete Vincent, dass ihr seit August fünf Besuche bei Assange gestattet wurden. „Wir sind weiterhin wegen seiner physischen und mentalen Gesundheit besorgt“, berichtete sie.

Der geschäftsführende Direktor des Knight First Amendment Institute an der Columbia University, Jameel Jaffer, warnte: „Niemand, dem die Pressefreiheit am Herzen liegt, sollte sich durch die Zusicherung der Vereinigten Staaten beruhigen lassen … Dieser Fall stellt im Wesentlichen die gleiche Bedrohung für die Pressefreiheit dar wie gestern.“ Jaffer machte im Prozess gegen Assange im Jahr 2020 eine Aussage, in der er urteilte, „die implizite, aber unmissverständliche Behauptung der Anklageschrift ist, dass Aktivitäten, die integraler Bestandteil des Journalismus zur nationalen Sicherheit sind, von der US-Verfassung nicht geschützt und sogar kriminell sind.“

„Während die USA angeblich Großbritannien versicherte, dass sie nicht gegen Assanges Rechte verstoßen werden, wissen wir aus Fällen in der Vergangenheit, dass solche ,Garantien‘ schwere Mängel haben. Bisher sind die diplomatischen Versicherungen im Fall Assange mit Schlupflöchern durchsetzt“, kommentierte Amnesty-International-Rechtsberater Simon Crowther in einer Presseerklärung im vergangenen Monat.

Julian Assange und seine Anwälte wurden ausspioniert

Das Urteil von Richterin Vanessa Baraitser vom Januar 2021, mit dem der Auslieferungsantrag abgelehnt wurde, berücksichtigte Beweise für die Überwachungsmaßnahmen in der ecuadorianischen Botschaft, bei denen das spanische Unternehmen Undercover Global S.L. („UC Global“) mit ecuadorianischen und US-amerikanischen Geheimdiensten zusammenarbeitete, „um sie mit vertraulichen Informationen über Herrn Assange zu versorgen“, und zwar seit etwa 2017, wie mindestens zwei Zeugen aussagen, die dem Zeugenschutz unterstehen. Der Leiter und Eigentümer des Unternehmens, David Morales, habe „angegeben, dass der Zweck der Installation der Mikrofone auf Bitte der USA war …, Treffen Assanges mit seinen Besuchern aufzuzeichnen, insbesondere die mit seinen Verteidigungsanwälten und, ganz besonders, dem Koordinator seiner Strafverteidigung Baltasar Garzon“, sagte ein Zeuge aus, der behauptet, für die Installation eines Teils der Ausrüstung in der Botschaft verantwortlich zu sein.

Seit 2019 ermittelt der Oberste Gerichtshof Spaniens gegen Morales und UC Global, nachdem Assanges Anwälte Strafanzeige erstattet hatten. Es überraschte Richter José de la Mata, als die britischen Behörden seine Europäische Ermittlungsanordnung (EIO) ablehnten, „mit der er um die Erlaubnis bat, Assange per Videokonferenz als Zeugen zu befragen“. Im November 2021 wurde weiter berichtet, dass „das britische Justizministerium auf mehrfache Bitten der spanischen Behörden um Unterstützung bei den Ermittlungen nicht reagierte“. Laut der spanischsprachigen Zeitung El País wird das „von den spanischen Justizbehörden als Ausdruck des Widerstands gegen die Folgen gewertet, die der spanische Prozess für das Verfahren zur Auslieferung“ von Julian Assange an die Vereinigten Staaten „haben könnte“.

Im August 2022 reichte eine Gruppe amerikanischer Rechtsanwälte und Journalisten, deren Privatsphäre durch die Überwachungsmaßnahmen verletzt wurde, in New York ebenfalls eine Klage gegen Morales, UC Global, die CIA und ihren früheren Leiter Mike Pompeo ein. Die Hauptklägerin ist die Bürgerrechtsanwältin Margaret Ratner Kunstler. Im Dezember 2023 legte der Vorsitzende Richter John G. Koeltl mit einer „Memorandum Opinion and Order“ eine Stellungnahme vor, nach der sie die CIA „in Bezug auf die Erfassung der Inhalte auf den elektronischen Geräten der Kläger“ wegen „Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte“ verklagen dürfen.

CIA-Chef William J. Burns bittet um Einfluss auf Gerichtsentscheidung

Am 15. April, dem Tag vor der Deadline für die geforderten Garantien im britischen Auslieferungsverfahren, reichte der aktuelle CIA-Chef William J. Burns dem zuständigen US-Gericht eine Erklärung ein, die „formell das Privileg des Staatsgeheimnisses geltend macht“, um „nachrichtendienstliche Quellen, Methoden und Aktivitäten zu schützen, die Gegenstand dieses Rechtsstreits sind“, mit dem Ziel, „schwere – und in einigen Fällen außergewöhnlich schwere – Schäden für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten zu verhüten“. Burns weiter: „Sollte das Gericht zusätzliche Informationen zu meinen Ansprüchen auf Privilegien verlangen, bitte ich höflich um die Gelegenheit, diese zusätzlichen Informationen vor dem Erlass eines Urteils zu diesen Ansprüchen zur Verfügung zu stellen“.

Im Wesentlichen bittet er um besondere Gefallen: einen frühzeitigen Zugang zu der Entscheidung des Richters und die Möglichkeit, einem Urteil entgegenzuwirken, bevor es gefällt wird, falls der Richter dabei ist, gegen ihn zu entscheiden. Interessanterweise wurde die Erklärung fast drei Wochen zuvor, am 27. März, unterzeichnet, nur einen Tag, nachdem der britische High Court sein Urteil verkündet und die Zusicherungen gefordert hatte. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels war der Stand, dass die Kläger „eine Fristverlängerung bis zum 24. Mai 2024 beantragen, um einen Einspruch gegen den Antrag der CIA auf Klageabweisung einzureichen“.

Während diese drei separaten Gerichtsfälle verschiedenen Gerichtsbarkeiten unterliegen, ist klar, dass sie im Kontext voneinander betrachtet werden müssen. Die Kläger im Fall Kunstler v. Central Intelligence Agency haben alle die US-Staatsbürgerschaft. Wenn US-Bürger, insbesondere ein prominenter preisgekrönter Journalist und eine Anwältin, die beruflich verpflichtet ist, das Anwaltsgeheimnis zu wahren, nicht in der Lage sind, eine Verletzung ihrer Verfassungsrechte zu verhindern, wie groß ist dann die Hoffnung für Julian Assange als mit Preisen ausgezeichnetem ausländischem Journalisten?

„Die USA wären sich darüber im Klaren, dass vertrauliche Kommunikation und die Ergebnisse der Überwachung von den mit dem Fall betrauten Staatsanwälten nicht eingesehen werden können und nach US-Recht im Prozess gegen Herrn Assange unzulässig sind“, schrieb Baraitser in ihrem Urteil im Jahr 2021. „Herr Assange kann für seinen Prozess den Ausschluss jedes Beweises beantragen, der auf vertraulichem Material basiert.“ Sollte sich jedoch die CIA oder ein anderer US-Geheimdienst während des Prozesses gegen Assange in ähnlicher Weise auf das Staatsgeheimnis berufen, was in einem Spionageprozess sehr wahrscheinlich ist, wäre Assanges Verteidigung in ihrer Fähigkeit, herauszufinden, welches vertrauliche Material zusammengetragen wurde, und dann einen Antrag auf dessen Ausschluss zu stellen, weiter behindert. Dabei berücksichtigt die rechtliche Analyse Baraitsers und der anderen Richter nicht einmal das potenzielle Risiko einer Parallelkonstruktion, bei der eine „Regierung die ursprüngliche Quelle von Beweisen in Strafverfahren wäscht“, die andernfalls angefochten oder wegen Verstößen gegen ein ordnungsgemäßes Verfahren abgewiesen werden würden.

Gewaschene Beweismittel

Zwei leitende Mitarbeiter des U.S.-Drogendezernats DEA sagten 2013 in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters: „Parallelkonstruktion ist eine Technik der Strafverfolgung, die wir jeden Tag anwenden.“ Eine schockierende Zahl von „dutzenden aktuellen oder früheren, von Reuters interviewten Bundesbeamten bestätigte, dass sie im Lauf ihrer Karriere Parallelkonstruktion eingesetzt hatten“. Wenn ein Staat bereit ist, sich an gegen die verfassungsmäßigen Rechte verstoßenden Maßnahmen zu beteiligen, ist es sicherlich vernünftig die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass eine solche Beweismittelwäsche unternommen wird, insbesondere angesichts der Menge und Sensibilität der Daten, die in Assanges Fall angeblich über einen Zeitraum von mehreren Jahren heimlich gesammelt wurden.

Ob die britischen Gerichte die von der US-Regierung angebotenen Zusicherungen für „zufriedenstellend“ befinden, bleibt eine offene Frage, auf die wir vor der Anhörung am 20. Mai keine Antwort erwarten. Assange könnte gestattet werden, aus einem der drei Gründe, die in den Zusicherungen nicht ausreichend berücksichtigt werden, Berufung einzulegen.

„Die Versicherung der US-Regierung, dass Julian Assange vor einem US-amerikanischen Gericht den gleichen Schutz wie ein US-Bürger haben wird, ist offensichtlich eine Fantasie“, formulierte der australische Parlamentsabgeordnete Andrew Wilkie in einem öffentlichen Statement. „Tatsächlich sind diese Zusicherungen im Grunde politische Versprechungen und es gibt keinen Weg, sie vor Gericht zu erzwingen.“ Weiter ist er überzeugt: „Wenn die USA nicht garantieren können, dass Julian Assange sich ohne Zweifel auf den Schutz der freien Rede unter dem Ersten Verfassungszusatz verlassen kann, muss das britische High Court ihm erlauben, gegen seine Auslieferung Berufung einzulegen. Noch besser wäre es, wenn die USA zu einer diplomatischen Lösung kommen und die Verfolgung Julian Assanges fallen lassen würden, um ihm die Rückkehr nach Australien zu ermöglichen.“

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