Julian Assange: Sie wollten ihn entführen und ermorden, das tut ja hier nichts zur Sache
Verfolgung Julian Assange darf sich in Großbritannien also weiter gegen seine Auslieferung an die USA wehren – warum das noch alles andere als ein Anlass zu lautem Jubel ist
Unterstützer des inhaftierten Wikileaks-Gründers Julian Assange vor dem High Court in London, 26. März 2024.
Foto: Vuk Valcic/Imago/ZUMA Wire
Zwei Richter des britischen High Court haben entschieden: Wikileaks-Gründer Julian Assange ist es erlaubt, gegen seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten „aus drei der neun Gründe“ Berufung einzulegen. Das Urteil des High Court wurde von einer Zusammenfassung für die Presse und einem Gerichtsbeschluss begleitet, in dem die US-Regierung und der britische Innenminister aufgefordert werden, bis zum 16. April „zufriedenstellende“ Zusicherungen bezüglich bestimmter Rechte und Schutzmaßnahmen zu geben. Der High Court hat für den 20. Mai 2024 eine weitere Anhörung angesetzt. „Herr Assange wird daher nicht sofort ausgeliefert werden.“ Obwohl es bei der Urteilsverkündung keine öffentliche Anhörung gab, hatte
n, bis zum 16. April „zufriedenstellende“ Zusicherungen bezüglich bestimmter Rechte und Schutzmaßnahmen zu geben. Der High Court hat für den 20. Mai 2024 eine weitere Anhörung angesetzt. „Herr Assange wird daher nicht sofort ausgeliefert werden.“ Obwohl es bei der Urteilsverkündung keine öffentliche Anhörung gab, hatte sich eine Menge von Unterstützern und Medienvertretern vor dem Royal Courts of Justice versammelt, um die Entscheidung abzuwarten – sie wurde am Dienstagvormittag online und per E-Mail veröffentlicht.Seit bald fünf Jahren in BelmarshIm März 2018, als Assange noch politisches Asyl in der ecuadorianischen Botschaft genoss, hatte eine US-amerikanische Grand Jury ihn angeklagt – auf Geheiß der US-Regierung unter Donald Trump; die entsprechende Anklageschrift blieb unter Verschluss. Am 11. April 2019 wurde Assange, nachdem er mit Gewalt aus der Botschaft geholt worden war, von Londons Metropolitan Police auf Grundlage der nun veröffentlichten Anklageschrift und eines Auslieferungsersuchens der USA verhaftet. Die Anklageschrift wurde inzwischen aktualisiert und umfasst nun 17 Verstöße gegen den Espionage Act und einen Verstoß gegen den Computer Fraud and Abuse Act (CFAA), womit Entgegennahme und Veröffentlichung des Collateral-Murder-Videos, von 250.000 diplomatischen Depeschen, Häftlingsakten aus Guantánamo Bay sowie von Militärberichten aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan durch Wikileaks kriminalisiert wurde.Seit fast fünf Jahren befindet Julian Assange sich im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in Untersuchungshaft. Der damalige UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, und Dutzende von Medizinern sind zu dem Schluss gekommen, dass seine Behandlung psychologische Folter darstellt. Nach einem vierwöchigen Auslieferungsverfahren Ende 2020 wies Richterin Vanessa Baraitser das Ersuchen zurück und bestätigte, dass „die Haftbedingungen, unter denen Herr Assange wahrscheinlich festgehalten würde“ und „der psychische Zustand“ von Assange es beklemmend erscheinen ließen, „ihn an die Vereinigten Staaten von Amerika auszuliefern“.Dieses jüngste Urteil folgt nun auf eine zweitägige Anhörung im vergangenen Monat, bei der die Assange-Verteidigung beantragte, beim Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs Berufung einlegen zu dürfen. Im Falle eines Prozesses und einer Verurteilung in den USA droht Assange eine lebenslange Haft- oder sogar die Todesstrafe. Nach dem Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Großbritannien kann die Auslieferung abgelehnt werden, wenn der ersuchende Staat keine Garantien gegen die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe bietet. Bisher hat die US-Regierung keinerlei derartige Zusicherung gegeben und behält sich außerdem das Recht vor, Assange zu einem späteren Zeitpunkt weiterer Anklagepunkte mit weitreichenderem Strafmaß zu bezichtigen.Der AuslieferungsvertragWortwörtlich hat es laut den Richtern mit den Zusicherungen Folgendes auf sich: „Es steht den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Außenminister frei, Zusicherungen zu geben, die jeden dieser Gründe berücksichtigen: dass Herr Assange sich auf den ersten Verfassungszusatz berufen darf, dass er bei der Verhandlung (einschließlich der Verurteilung) nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit benachteiligt wird, dass ihm der gleiche Schutz des ersten Verfassungszusatzes gewährt wird wie einem Bürger der Vereinigten Staaten und dass die Todesstrafe nicht verhängt wird“, heißt es in der Zusammenfassung des Urteils für die Presse. Unausgesprochen blieb, dass selbst ein US-Bürger vor dem so genannten „Spionagegericht“, vor dem Assange angeklagt werden würde, keine Verteidigung im öffentlichen Interesse geltend machen könnte; daher bietet die Gleichstellung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung keinen wesentlichen Schutz, wie der Oberste Gerichtshof andeutete.Eingebetteter MedieninhaltIn Bezug auf das Verbot der Auslieferung wegen politischer Straftaten kamen die Richter zu dem Schluss, dass „das Parlament beschlossen hat, den Vertrag nicht in das britische Recht zu übernehmen und die Auslieferung wegen einer politischen Straftat nicht zu verbieten“, so dass die Frage, ob es sich um eine politische Straftat handelt oder ob das Ersuchen politisch motiviert ist, ihrer Ansicht nach irrelevant ist. Dies öffnet repressiven Regierungen auf der ganzen Welt Tür und Tor, um die Auslieferung ihrer politischen Gegner – einschließlich Journalisten, die kritisch über sie berichten – aus Großbritannien zu beantragen. Dieses Risiko wurde vom damaligen US-Senator Joe Biden und anderen Demokraten während Beratungen des Ausschusses für Auswärtige Beziehungen über die Überarbeitung des Auslieferungsvertrags zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich im Jahr 1985 durchaus erkannt, wodurch sich Berichten zufolge „die Definition politischer Straftaten erheblich veränderte“.Während der Anhörung im Februar wurde das Gericht auch über Vorschläge auf höchster Ebene der Trump-Administration und der CIA informiert, Assange aus der Botschaft zu entführen, wie eine im September 2021 veröffentlichte Untersuchung der Journalisten Zach Dorfman, Sean D. Naylor und Michael Isikoff ergab. Mike Pompeo, der damalige CIA-Direktor und spätere Außenminister unter Trump, bestritt die Anschuldigungen nicht, sondern forderte stattdessen offen die strafrechtliche Verfolgung von Quellen, die das Komplott aufdeckten.Obwohl die Richter den Ernst der Lage stillschweigend anerkennen und anmerken, dass Richterin Baraitser die Beweise in dieser Angelegenheit einst eben nicht verworfen hat, sind sie zu dem Schluss gekommen, dass eine illegale Überstellung bzw. das Attentatskomplott für dieses Verfahren irrelevant ist. „Die Richterin berücksichtigte Beweise, dass die CIA geplant hatte, Herrn Assange aus der ecuadorianischen Botschaft zu entführen. Sie kam zu dem Schluss, dass dies nicht mit dem Auslieferungsverfahren zusammenhängt und dass nicht nachgewiesen wurde, dass bei einer Auslieferung an die Vereinigten Staaten ein Risiko besteht.“ Sie kamen zu dem Schluss, „dass der Grund für ein solches Verhalten wegfällt, wenn der Antragsteller ausgeliefert wird. Die Auslieferung würde dazu führen, dass er sich rechtmäßig im Gewahrsam der US-Behörden befindet, und die Gründe (wenn man sie so nennen kann) für eine Überstellung, Entführung oder Ermordung fallen dann weg.“Was Stella Assange sagtStella Assange, um einen Kommentar zur jüngsten Entwicklung gebeten, bezeichnete die Entscheidung des High Court als „absurd“. „Anstatt eine Berufung zuzulassen, ist die Position der USA so schwach, dass die Gerichte die US-Regierung auffordern, die Position anzupassen, um die Auslieferung für die britischen Gerichte akzeptabel zu machen. Jeder vernünftige Mensch würde dies bizarr und verworren finden. Das liegt daran, dass es sich bei diesem Fall um eine politische Verfolgung handelt, die als rechtmäßiges Gerichtsverfahren getarnt ist.“Die Schriftstellervereinigung PEN International schrieb: „Wir sind nach wie vor zutiefst besorgt über die Tatsache, dass den USA mehr Zeit für diplomatische Zusicherungen eingeräumt wurde – obwohl Assange im Falle einer Auslieferung an die USA schwere Menschenrechtsverletzungen drohen – und über die gefährliche Aussicht, dass Assange ausgeliefert wird.“ Der geschäftsführende Direktor des Knight First Amendment Institute, Jameel Jaffer, der während des Prozesses im Jahr 2020 als Sachverständiger aussagte, erklärte, dass „es für das US-Justizministerium längst an der Zeit ist, die Anklage nach dem Espionage Act aufzugeben und diesen Fall abzuwickeln“.
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