Stunde der Sektierer

Religion An vielen Orten im Irak leben verschiedene Volksgruppen friedlich zusammen, doch es wird immer wieder eine nationale Dreiteilung gefordert. Die Folgen wären katastrophal
Ausgabe 26/2014
Kinder christlichen Glaubens in der Kirche of the Virgin Mary in Bartala, östlich von Mossul, suchen Schutz vor den Dschihadisten, welche Mitte Juni widerstandslos in die Stadt einrücken konnten
Kinder christlichen Glaubens in der Kirche of the Virgin Mary in Bartala, östlich von Mossul, suchen Schutz vor den Dschihadisten, welche Mitte Juni widerstandslos in die Stadt einrücken konnten

Foto: Karim Sahib/ AFP/ Getty Images

Ex-Premier Tony Blair hat sich viel Spott zugezogen, als er kürzlich erneut versuchte, die Invasion von 2003 zu rechtfertigen und sich von jeglicher Schuld für die jetzige Lage im Irak freizusprechen. Leider sitzen auch viele von Blairs Kritikern einer zentralen Stütze seiner Argumentation auf: Der Irak sei nicht mehr als ein zusammengewürfeltes Konglomerat religiöser und ethnischer Gruppen, die nur darauf warteten, sich gegenseitig abzuschlachten.

Bevor die USA im März 2003 intervenierten, kam es zu einem einzigen konfessionell motivierten Pogrom – die Plünderung jüdischer Viertel Ende 1941. Bis heute ist nicht geklärt, wer diese Ausschreitungen geplant hatte. Die Unterlagen darüber liegen im Public Records Office und werden von der britischen Regierung geheim gehalten. Bei Bombenanschlägen auf Synagogen in Bagdad im Jahr 1950 stellte sich heraus, dass dafür Zionisten verantwortlich waren, die im Irak lebende Juden dazu bringen wollten, umgehend nach Israel ins Gelobte Land auszuwandern.

Bis in die siebziger Jahre hinein waren alle irakischen Parteien säkular und zogen Menschen sämtlicher Konfessionen wie Atheisten an. Wer sich wo engagierte, hing vielfach mit der sozialen Herkunft zusammen. Religiöse Parteien entstanden erst, nachdem Saddam Hussein gnadenlos alle Organisationen bis auf seine Baath-Partei eliminiert hatte. So wurden Moscheen und Kirchen zu Zentren der politischen Agitation. Der Überlieferung zufolge handelte es sich bei den Gründern der Baath-Partei zunächst mehrheitlich um Schiiten. Dabei offenbarte die Baath-Ideologie stets eine rassistische Dimension gegenüber Kurden und Nicht-Arabern. Als die Partei schließlich an der Macht war, wurden Millionen Iraker aus dem armen schiitischen Süden marginalisiert. Gleiches galt für Viertel in Bagdad, in denen schiitische Migranten aus ländlichen Regionen lebten.

Zwischen 1940 und 1970 bildeten die Kommunisten die größte Massenorganisation. Ihre Partei – 1934 von Aktivisten jedes religiösen und ethnischen Hintergrunds formiert – war selbst im irakischen Kurdistan die stärkste Kraft. Sie blieb es, bis die Führung – gegen den Willen der meisten Parteimitglieder – 1973 ein Zusammengehen mit Saddam Hussein beschloss. Der bedankte sich mit Säuberungen, denen 1978/79 fast die gesamte KP-Spitze zum Opfer fiel.

Friedlich zusammen

In Bagdad leben bis heute Hunderttausende von Kurden, die noch nie ethnische Gewalt von Arabern erfahren haben. Auch die Bevölkerung der im vornehmlich schiitischen Süden gelegenen Metropole Basra ist zu 20 Prozent sunnitisch. Die mehrheitlich sunnitische Stadt Samarra wiederum beherbergt zwei der wichtigsten schiitischen Heiligtümer, gehütet seit Jahrhunderten von sunnitischen Geistlichen. Das heißt, es gibt viele Orte, an denen verschiedene Volksgruppen friedlich zusammenleben – und das, obwohl ein Regime nach dem anderen versucht hat, nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ zu regieren

Zu den schlimmsten konfessionellen Spannungen in der modernen Geschichte des Irak kam es während der US-Besatzungszeit nach 2003. Es wurden Organisationen begünstigt, die sich auf den Glauben, die Ethnie oder Nationalität beriefen. Viele hochrangige Offiziere der neu formierten Streitkräfte kamen aus derartigen Strukturen oder aus der Armee Saddam Husseins. Forciert wurde die Separation, als sektiererische Gruppen in Syrien seit 2011 von den USA, der Türkei, Saudi-Arabien und Katar unterstützt wurden.

Diese Offiziersschicht war es, die jetzt Mossul und ein Drittel des irakischen Staatsgebietes den Stoßtrupps der Organisation Islamischer Staat im Irak und in der Levante (ISIL) überlassen hat. Gezeigt hat sich auch, dass allein die Führer der kurdischen Regionalregierung fähig waren, eine Waffenruhe mit den Aufständischen auszuhandeln. Ob der Irak diese bisher ernsthafteste Bedrohung seiner Existenz überlebt, bleibt abzuwarten. Doch diejenigen, die behaupten, das Land könne nur Frieden finden, würde es in drei Staaten aufgeteilt, verstehen nichts von der Zusammensetzung der irakischen Gesellschaft. Diese drei Entitäten fielen sehr schnell unter die Herrschaft gewalttätiger Sektierer und Chauvinisten. Daher wäre eine nationale Dreiteilung ein sicheres Rezept für den permanenten Krieg, als dessen einzige Gewinner Ölkonzerne, Waffenlieferanten und Warlords triumphieren könnten.

Sami Ramadani ist Soziologie-Dozent an der London Metropolitan University

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Übersetzung: Zilla Hofman

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