Die Konsequenzen eines „Krieges gegen den Terror“ sind nicht kontrollierbar. Das hat man in den USA erlebt. Den US-Bürgern hat es nicht unbedingt gut getan, dass George W. Bush nach dem Massenmorden von 9/11 von „Krieg“ sprach. Bush kündigte an, die Welt werde eine noch nie da gewesene „langanhaltende Kampagne“ erleben bis „jede Terrorgruppe mit globaler Reichweite besiegt ist“. Was das bedeuten würde, war damals nicht abzusehen.
Krieg, wie man den Begriff früher einmal verstand, lässt sich nicht führen gegen Organisationen, die kein herkömmlicher Staat sind. 14 Jahre nach Bushs Kriegserklärung wird noch immer gekämpft. Und in den USA walten Behörden mit Überwachungsapparaten, die man früher als Science Fiction klassifiziert hatte. Die National Security Agency setzt ihre gegen ausländische Feinde entwickelten Methoden inzwischen auch gegen Amerikaner ein.
Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood schrieb anderthalb Jahre nach 9/11 einen Trauerbrief an ihre Nachbarn. Bald werde das Ausland „Euch nicht mehr wegen Eurer guten Eigenschaften bewundern, sondern zum Schluss kommen, dass Eure leuchtende Stadt auf dem Hügel ein Slum ist und Eure Demokratie Heuchelei“. Sie wolle gar nicht vom Irakkrieg sprechen, sondern von dem, „was ihr euch selber antut“, erklärte Atwood damals. „Ihr ruiniert Eure Verfassung“ mit dem Ausbau eines Überwachungsstaates. Wann denn die Amerikaner so ängstlich geworden seien?
Schwer zu fassender Feind
George W. Bush informierte, die USA bekämpften al-Qaida und Osama bin Laden als Verantwortliche für die Terroranschläge. Die Fahnenträger des „Krieges gegen den Terror“ behaupten heute, sie seien erfolgreich gewesen: In den USA sei den Terroristen weitgehend das Handwerk gelegt worden. Beim Krieg gegen einen schwer zu fassenden und schwer zu definierenden Feind wurden freilich Werte zertrampelt, die angeblich verteidigt werden sollten. Zum Krieg gehörten Folter und Geheimgefängnisse.
Wer nicht auf Seiten der USA stehe, stehe auf Seiten der Terroristen, verkündete Bush im schicksalsträchtigen Jahr 2001. Schwarz-Weiß-Denkmuster verwischen Komplexes. Drohnenschläge haben wohl bedeutende Akteure getötet, jedoch auch Gegner motiviert. Das Gefangenenlager Guantánamo ist Rekrutierungswerkzeug für islamistische Gruppen geworden. Selbst Barack Obama warnte jüngst, das Lager behindere „unsere Anstrengungen, Terrorismus weltweit zu besiegen“. Und der Islamische Staat wuchs auf dem Nährboden des Krieges im Irak.
Das Blutbad von Paris führt auch in den USA zu Rufen nach mehr Sicherheit. Zwei Dutzend Gouverneure wollen keine syrischen Flüchtlinge in ihre Staaten lassen. CIA Direktor John Brennan beklagte, das „Händeringen“ bezüglich der Telefonüberwachung und „unauthorisierte Enthüllungen“ hätten es den Behörden erschwert, Terroristen zu identifizieren.
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Kommentare 12
Er herrscht ja breite Uneinigkeit.
Ist Krieg das adäquate Mittel, oder das, was der IS will, wie Michael Lüders meint?
Ist der IS überhaupt die größte Gefahr?
Russland und die Türkei sind anderer Meinung.
Bei den US-Amerikanern weiß ich es nicht.
Falls der IS die größte Gefahr ist, was tun?
Bodentruppen will niemand entsenden, man weiß wohl auch warum.
Gesetzt man könnte den IS militärisch besiegen, was dann?
Ist dann die Kuh vom Eis? Sind alle glücklich und froh? Dann beginnt doch eigentlich erst das Szenario, was bislang immer so grandios versemmelt wurde.
Weil angeblich sehr schlaue Menschen die Stimmung der „Befreiten“ katastrophal falsch einschätzten.
Scholl-Latour hatte es besser beschrieben.
Statt zu schauen, was man gegen den IS tun kann, lohnt ein Blick darauf, was ihn für europäische Muslime überhaupt interessant macht. Da kann man auch ansetzen.
Demokratie kann man nicht verordnen, die muss wachsen. Es braucht ein demokratisches Bewusstsein in den Menschen. Das braucht Ruhe, Stabilität und Zeit.
Dass brutale Diktatoren und ihre Machtapparate die derzeitigen Krisenregionen wenigstens stabilisierten ist eine Einsicht, die nicht gefallen kann, aber sie scheint wahr zu sein.
Die Idee einen König oder eine Autorität aus der Region zu protegieren ist an sich nicht schlecht, in Afghanistan aber misslungen.
Weiß einer, warum das so war?
Wenn man ohnehin nichts machen kann oder will gegen IS, warum ihnen nicht ein Territorium zusprechen und abwarten?
Angeblich ist der IS militärisch nicht zu besiegen. Da sind sich US-Militärs und Terrorexperten einig. Weiß jemand den Grund?
Würde mich mal im Detail interessieren, außer immer nur zu hören, dass es nicht geht.
Wenn das tatsächlich so sein sollte, kann man dem IS nur die Infrastruktur in schöner Regelmäßigkeit zerkloppen, mit welchem Erfolg, sieht man im Gaza-Streifen oder im Irak.
Wenn das Band des gemeinsamen Feindes nicht mehr da ist, wohin würden sich die Aggressionen richten?
14 Jahre nach Bushs Kriegserklärung wird noch immer gekämpft.
Und gelogen. Einfach nur frech, diese Bemerkung von Brennan. Die USA und ihre Verbündeten unterstützten/finanzierten aus rein geostrategischen Motiven vor und nach 9/11 den islamischen Fundamentalismus, waren etwa schon vor dem Einmarsch der Sowjets verdeckt in Afghanistan aktiv um den Gotteskriegern behilflich zu sein. Es sollte schließlich die TAPI Pipeline gebaut werden. Diktatoren wurden hofiert, hochgerüstet und schließlich wieder gestürzt. Das Ergebnis: weltweiter Krieg, Folter,bis zu 4 Millionen getötete Muslime seit Beginn der Neunziger, ein Drohnenkrieg den Chomsky als mörderischste Terror-Kampagne der Gegenwart bezeichnet und dazu ein weltweiter installiertes Überwachungssystem von dem die Stasi nur träumen konnte.
Der Ausgangspunkt dieser Gewaltspirale: ein bis heute nicht aufgeklärtes Verbrechen das hätte verhindert werden müssen.
Zahlreiche Attentäter standen im Visier diverser Dienste. Die NSA hielt beispielsweise wertvolle Informationen zurück mit deren Hilfe die Terroranschläge vom 11.9.2001 hätten verhindert werden können. In einem aktuellen Foreign Policy Artikel widerlegen NSA-Experte James Bamford und NSA-Whistleblower Thomas Drake, die von Präsident Obama und dem ehemaligen Chef der CIA und der NSA, Michael Hayden, kolportierte These, die NSA habe vor 9/11 keine technische Möglichkeit besessen, die Anrufe des mutmaßlichen Hijackers Chalid al-Midhar, der von San Diego aus mit der Al-Qaida Operationsbasis im Jemen telefonierte, in die USA zurückzuverfolgen. Folgerichtig legen Whistleblower wie Drake nahe, dass die post-9/11 Metadatenüberwachung in den USA, die mittlerweile von einem Gericht als illegal eingestuft wurde, auf einer Lüge basierte.
Der endlose Krieg geht weiter und die Heuchelei und Doppelmoral in der Diskussion werden uns ebenfalls weiter begleiten.
"Die amerikanische Regierung soll die Öffentlichkeit über das in Syrien wie im Irak zuletzt durch bedeutende militärische Geländegewinne aufgefallene Netzwerk "Islamischer Staat" (IS) nicht nur jahrelang belogen haben. Die nach einem weltumspannenden Kalifat trachtende Terror-Miliz soll in ihrer Entstehungsphase vom Westen, den Golfstaaten und der Türkei sogar latent unterstützt worden sein, um das Regime des syrischen Diktators Assad zu schwächen und dessen Verbindung zum Iran zu kappen." (Hamburger Abendblatt 2015)
Sehr zu empfehlen ist aktuell mal wieder Nafeez Ahmed:
This is how to destroy the Islamic State
"Die Fahnenträger des „Krieges gegen den Terror“ behaupten heute, sie seien erfolgreich gewesen: In den USA sei den Terroristen weitgehend das Handwerk gelegt worden."
Klar sind die erfolgreich gewesen. Wie nennt man das Ganze so schön: Outsourcing? Die Amerikaner haben den Terror nach Europa ausgelagert. Die Djihadisten halten sich jetzt, ganz nach Mafia Manier an die nächsten Angehörigen der westlichen Wertegemeinschaft, bei denen die rudimentär vorhandene Pluralität der demokratischen Institutionen eine derartig radikale Bespitzelung und flächendeckende Überwachung zur Zeit noch verhindern. Aber da arbeiten wir ja dran. Nachdem die erfolgreiche Strategie der Fahnenträger tabula rasa in Afghanistan und im Irak hinterlassen und Millionen Menschen in die Flucht auf die offenen Grenzen Europas getrieben haben, kann man nun, gemeinsam mit den Bündnisfallpartnern daran gehen diese Erfolge weiter zu stabilisieren. Vor Terroristen, die ihr Handwerk woanders ausüben muss man sich nicht mehr so unbedingt fürchten. Im Gegenteil könnten die sogar strategisch von Vorteil sein. Zum Beispiel, wenn sie dazu führen, dass der europäschen Nörgelei an amerikanischen Geheimdiensten, amerikanischen Drohnen, amerikanischen Verhören der Boden entzogen wird. Und danach sieht es ja nun momentan auch tatsächlich aus. Aus amerikanischer Sicht alles OK, was will man mehr?
dass die einschläge näher kommen war ja zu erwarten.
wie sonst sollten sie vom zunehmenden totalitarismus in europa
(z.b. pilotprojekt einführung faschistischer gesetze in spanien) ablenken,
bzw. gar für zustimmung werben?
bislang sind doch wohl so ziemlich alle anschläge in europa von westl. geheimdiensten initiiert worden...
gladio ist nie begraben worden!
wieviel "demokratie" ist denn in europa noch übrig, die beseitigt werden könnte?
wer jetzt aufschreit, möge einfach mal aufschreiben, was für ihn/sie demokratie denn ausmacht; nu, was ist übrig?
GW Bush sagte doch damals: "They hate our freedom". Demnach haben die Islamisten den "Krieg gegen den Terror" wohl gewonnen.
Allein die Tatsache, dass (angeblich) Krieg geführt wird, zerstört die Gesellschaften von innen und treibt den Extremisten aller Seiten neue Anhänger*innen zu. Welche Seite militärisch gewinnt, wird da fast irrelevant. IS-Kämpfer aus Syrien? Brauchen wir nicht, solange wir mit Ausgrenzung und repressiver Innenpolitik die Radikalisierung junger Menschen in Europa so massiv befördern. Ganz im Gegenteil exportieren wir sogar tausende von gewaltbereiten Islamisten in den Mittleren Osten...wohin wollen wir die nächsten Bataillone schicken? Libyen - oder mal wieder nach Afghanistan?
"Allein die Tatsache, dass (angeblich) Krieg geführt wird, zerstört die Gesellschaften von innen und treibt den Extremisten aller Seiten neue Anhänger*innen zu. Welche Seite militärisch gewinnt, wird da fast irrelevant. IS-Kämpfer aus Syrien? Brauchen wir nicht, solange wir mit Ausgrenzung und repressiver Innenpolitik die Radikalisierung junger Menschen in Europa so massiv befördern. Ganz im Gegenteil exportieren wir sogar tausende von gewaltbereiten Islamisten in den Mittleren Osten...wohin wollen wir die nächsten Bataillone schicken? Libyen - oder mal wieder nach Afghanistan?"
Stimmt.
Kommen wir da raus? Falls ja, wie?
Wenn wir uns der Gefahren bewusst sind, ist es möglich - aber gewiss nicht leicht, zumal wenn irgendwelche Hollandes oder Seehofers munter Öl ins Feuer kippen und den Konflikt geradezu herbeizusehnen scheinen. Die Rechtsaußen aller Seiten brauchen sich gegenseitig als Daseinsberechtigung, wie überall.
Eine Patentlösung hab ich nicht, aber es wird tendenziell über Dialog, Bildung, Toleranz und Integration gehen - und sicher nicht über Stigmatisierung, Ausgrenzung und Krieg. Klar gibt es dann immer noch ein paar Wirrköpfe aller Couleur, aber um die im Auge zu behalten gibt es Geheimdienste. Repression hingegen vergrößert bestehende Probleme nur.
Es stellt sich auch die Frage, mit wem kommen wir da raus?
Ganz bestimmt nicht mit Merkel. Sie fährt nach Paris um Hollande amerikahörig einzustimmen, um die Sanktionen zum eigenen und Russlands Nachteil zu verlängern. Sie erwartet in ihrer Logik von Hollande ein Ja zur Verlängerung der Sanktionen obwohl Putin sich als besonnener Makler einbringen kann, soll?
Die Medien erklären sie zur Weltstaatsfrau, die uns durch die Krisen brachte. Der Knaller wäre, wenn sie Hollande tatsächlich eine Amerikahörigkeit einreden könnte. Hoffentlich misslingt ihr diese Krisenbewältigung. Allerdings, nicht einmal das wäre ihre unabhängige frei Entscheidung.
Betrachtet man Steinmeiers Bemühen, die Verbindung zu Putin wieder zu verbessern, als einen hohen Wert der diplomatischen Bemühungen, zertrampelt unsere Weltstaatsfrau gerade weltöffentlich den Wert der Friedenssuche unseres Außenministers, der immerhin Regierungsmitglied ist!
Damit gibt sie den Blick frei auf ihre Persönlichkeit!
Wann endlich rebelliert unser Parlament?
Die größte Gefahr ist, dass wir unsere Demokratie und unsere Bürgerrechte zu Gunsten angeblicher Sicherheit aufgeben, und uns zu rechtlosen Sklaven unserer eigenen Geheimdienste machen, wie es in den USA bereits Gang und Gebe ist.
Damit verlieren wir alles, was wir in Europa im letzten Jahrhundert erschaffen haben.
Das wahabitische Regime in Saudi-Arabien ist der Ursprung des modernen Islamismus. An die Wurzel des Übels zu gehen, war und ist für die westliche Welt unmöglich, Ohne Öl kollabiert unsere Wirtschaft. Es handelt sich um ein Dilemma, das heißt, eine Wahl zwischen zwei schlechten Lösungen. Dieser Dritte Weltkrieg hat im Grunde 1973 mit dem ersten Ölschock begonnen. Es ist ein schwelender Krieg mit atyisch aufflackernden Herden. Darüber lagert sich der Religionskrieg zwischen Schiiten und Sunniten. Die Lage ist äußerst komplex.
Von der viel beschworenen "Besonnenheit" ist im Moment leider wenig zu spüren. Ich lese nur "Allianz im Krieg gegen den IS" oder "Ausnahmezustand" verlängert..