Nichts ist so, wie es war und doch, so will mir scheinen, ist alles beim alten geblieben. Zwei Jahre nach dem katastrophalen Erdbeben mit anschließendem Tsunami im Nordosten Japans und den Super-GAUs in den Reaktorblöcken von Fukushima steht nach wie vor kaum ein Stein auf dem anderen. Die davor/danach/heute-Bilder, man besehe sich die Strecken etwa auf sueddeutsche.de oder fr-online.de, zeigen zwar, dass Flächen von Trümmern freigeräumt wurden.
Warum die Flächen aber nicht (schon wieder) besiedelt sind oder mehr noch, was die bislang größte Nuklearkatastrophe nach dem Abwurf von zwei A-Bomben in den Köpfen der Menschen angestellt hat, danach war beim ersten Jahrestag noch gefragt worden. Im nun angebrochenen Jahr Drei ist die Insistenz, bis auf wenige Ausnahmen, deutlich geringer geworden.
Ein immer stilleres Gedenken
Um Yuko Ichimura, die seinerzeit für die Süddeutsche das Lokale abdeckte („Tagebuch aus Tokio“) und ein letztes Mal im März 2012 etwas zu sagen hatte, ist es ebenso still geworden wie um Chikayo Morijiri - deren Blogbeiträge („-> Meine Heimat in der Katastrophe“) sind aus unerfindlichen Gründen sogar völlig aus dem online-Angebot der Wochenzeitung der Freitag verschwunden.
Authentisch geblieben sind dort lediglich drei „-> Briefe aus Japan“ vom März und ein -> weiterer vom Juni 2011. Das ist nicht nur deswegen interessant, weil sich hier zwei kluge Leute (mittelbar) unterhalten, sondern die Unaufgeregtheit besticht selbst im härtesten Urteil. Nur: Auch da fehlt mir die Fortsetzung. Wie verhält sich zwei Jahre später Professor Reinold Ophüls-Kashima, der bei der Freitag ebenfalls einen Blog-Account sein eigen nennt, zu den Ankündigungen von Japans Premier Shinzo Abe? JapanToday zitiert Abe in einem heutigen Artikel so:
„Abe also reiterated Tuesday his plans to resume reactors that are approved by regulators under new safety standards, expected to take effect in mid-July. Abe, however, has said he was scrapping the previous government’s plan to phase out nuclear by the 2030s. He said the government will compile Japan’s best energy mix within 10 years while putting on hold a decision on what to do with nuclear energy.“
Dafür werde, so das Blatt weiter, verstärkt auf die äußere Sicherheit der AKW Wert gelegt, vor allem in Bezug auf das hinlänglich plakatierte Szenario eines terroristischen Angriffs. Die Hoffnung Michael Jägers bezüglich einer „-> Kraft zum Umdenken“ in der japanischen Gesellschaft jedenfalls scheint 2 Jahre später nachhaltig zu schwinden.
Was geht mich Japan an?!
Dass Deutschland und die Deutschen unter Fukushima leiden würden, ist dagegen die neueste Masche eines weiterhin fossil/nuklear ausgerichteten Kampagnenjournalismus. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob man den neuesten Focus aufschlägt, wo uns „die Toten je Billion Kilowattstunden“ vorgerechnet werden: Da wären es 100.000 bei Verstromung von Kohle, bei Atomkraft aber nur 90. Oder ob die Billionen-Ankündigung von Minister Altmaier einmal rechts gewendet (von dem bekennenden Marktliberalen und ehemaligen Ministerialen im Bundesforschungsministerium Günter Keil bei der Achse des Guten), einmal links gedreht (siehe die Zusammenfassung in Handelsblatt online vom 11. dM.) in den Boden gestampft wird – der Eindruck, dass es hier ausschließlich um das Geldbörsel braver deutscher Bürger geht, ist unentrinnbar. Fracking, Ölsande und Methanhydrat wiederum warten nebst den entsprechenden Interessensvertreter auf ihre Chance, getreu dem eigenen Motto: „a new era in abundant energy to build out a bigger and better world economy.“
Wäre da nicht die Jägerschaft, die einmal und ganz ausnahmsweise einen wertvollen Beitrag zu unser aller Erkenntnis leisten würde. Denn wenn es richtig ist, dass bei Augsburg unlängst 37 Wildschweine erlegt wurden, die ausgiebig mit Cäsium-137 verseucht waren, so ist das schon fast ein alter Hut. Denn stets wiederholen sich die Meldungen über diese Waldwühler, die mit Pilzen und Wurzeln auch den Niederschlag aus Tschernobyl von 1986 aufnehmen und speichern. Allerdings stehen Bayern und Deutschland nicht alleine da. Seit 3 Tagen ist bekannt, dass auch im Piemont zwischen 2012 und 2013 mindestens 27 erlegte Wildschweine eine ähnlich hohe Cäsium-137-Belastung aufweisen wie die Schwarzröcke nördlich der Alpen. Was angesichts der Verteilung der radioaktiven Wolke nicht weiter verwundert – auch die nördlichen Regionen Italiens waren von dem Fallout des Super-GAU in der Ukraine schwer betroffen.
Was wundert, ist die Höhe der Belastung. In Deutschland sollen die Messungen „Werte von über 10.000 Becquerel je Kilogramm“ ergeben haben, in Italien laut den Angaben des IZSTO (Institut für experimentelle zoologische Prophylaxe für Piemont, Ligurien und das Aostatal) bis zu 5.621 Bq/Kg. Die Unbedenklichkeitsschwelle liegt hier wie dort bei 600 Bq/Kg. Das widerspricht der eigentlichen Annahme über die Halbwertzeit von Cäsium-137 von rund 30 Jahren, so dass nur eine wesentlich höhere Ausgangskontamination als bisher angenommen plausibel erscheint.
Stromerzeuger vernetzen sich. Was ist mit deren Kontrolleuren?
Das italienische Institut hat angekündigt, „in drei Wochen darüber Bescheid zu wissen“, ob es sich dabei um ein lokal begrenztes Phänomen handelt oder „andere Gebiete betroffen sind“. Nicht bekannt ist, ob sich die Turiner mit den Augsburgern kurzschließen, um zu erfahren, dass es tatsächlich verschiedene Gebiete gibt, die kontaminiert sind. Noch weniger bekannt ist, ob und inwieweit in, sagen wir: polnischen, ungarischen, tschechischen Medien auch solche Randnotizen zur fortdauernden Kontamination aufscheinen – was nicht wenig mit den von dort gelieferten Viktualien und Pilzen zu tun hätte.
Nun kann man natürlich auf Wildschwein als Nahrungsgrundlage ebenso verzichten wie auf Pilze oder Kartoffeln. Wie wir aus der Presse wissen, gibt es in letzter Zeit immer mehr unterschiedslose Alternativen. Was mit anderen Worten bedeutet, dass irgendwann alles auf meinem Teller landet, ob als verseuchter Fisch, krankmachendes Gewächs, verdorbenes Wild oder umetikettiertes Etwas. Dem ist entgegen zu stellen, dass das Versteckspiel mit Unsichtbarem -gleich ob als radioaktives Isotop oder als bis zur Unkenntlichkeit Vermischtem- eines ist, das immer weniger Menschen gefällt.
Uns von Mitteln des Lebens so weit zu entfernen, dass wir sie nicht mehr erkennen, ist keine Sünde, aber wider jede Vernunft. Vielleicht helfen auf dem Weg der Erkenntnis Plattformen wie die von „Fukushima – Collection of Infos“, die regelmäßig u.a. von der deutschen Bloggerin Barbara Mürdter aka Popkontext aktualisiert wird. Zeitnahe Berichte zu dem, was ebenfalls einmal als eine „new era of energy“ angekündigt und –gepriesen wurde, sind dort nachzulesen. Aber tunlichst nicht zu Mahlzeiten, der Bissen könnte sonst im Hals stecken bleiben. e2m
Kommentare 19
Danke für den Artikel und die Erwähnung der Seite
Das widerspricht der eigentlichen Annahme über die Halbwertzeit von Cäsium-137 von rund 30 Jahren, so dass nur eine wesentlich höhere Ausgangskontamination als bisher angenommen plausibel erscheint.
schlage vor, lieber ed2murrow, dass die wildschweine als akkumulatoren agieren. was an halbwertsmasse fehlt, sammeln die tierchen ungewollt durch fleißiges fressen von zeugs geringerer radioaktivität.
pilze sollen die gleiche leistung für nuklearfeinschmecker erbringen.
grüße, hy
Pflicht, wenn man das Thema (nach wie vor) auf dem Radar hat. Danke für Ihre Beiträge!
Wäre nicht wirklich neu, sondern bereits in Mad Max 3, Jenseits der Donnerkuppel (als Methanlieferanten) umgesetzt. Und Atompilze? Ich denke, Nord-Korea denkt zur Zeit an deren publikumswirksame Präsentation; auf uns käme es dann gar nicht mehr an.
lieber ed2murrow,
als ich nur den titel "Energiewende - Nicht auf meinem Teller" las, dachte ich nicht an radioaktive isotopen in der suppe, sondern an den bewusstlosen konsum von nahrungsmitteln, etwa an fleisch, das nicht nur für pfusch-und-täusch-überraschungen sorgt, sondern auch für große ökologische probleme. beispiel megamast in megaställen, güllemoore, multiresistente keime etc.
obst und gemüse aus übersee (wo auch das kraftfutter herkommt) tun dem ökologischen fußabdruck auch nicht eben gut.
erst als ich das blog las, merkte ich, was außerdem unerwünschtes auf dem teller landet.
grüße, hy
Sie meinen, das Blog war für eine Überraschung gut? Das ist natürlich schmeichelhaft^^.
Sie meinen, das Blog war für eine Überraschung gut? Das ist natürlich schmeichelhaft^^.
aber ja, lieber ed2murrow. habe ich irgendwas von 'thema verfehlt' oder 'abwegig' gemurmelt?
grüße, hy
Ergänzendes Beschäftigungsprogramm für dunkle Wintertage:
https://www.rwe.com/web/cms/de/1701408/rwe/ueber-rwe/akzeptanzstudie/
„Akzeptanzstudie“ von REW
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/internes-strategiepapier-atomlobby-plante-wahlkampf-minutioes-a-650172.html
http://www.lobbycontrol.de/2009/09/lesenswert-internes-strategiepapier-fur-atomlobby/Internes Strategiepapier der Atomlobby (2009)
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13531703.html
Löchrig wie Käse Das Kernkraftwerk Neckarwestheim, das als vorerst letztes demnächst ans Netz gehen soll, steht auf schwankendem Grund
http://infooffensive.de/
Fracking
http://www.arte.tv/guide/de/045561-000/die-akte-alu
Die Akte Alu
http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2011/dezember/aus-fremdzwang-wird-selbstzwang
Welzer zum Thema „Wie das Wachstum in die Köpfe kam“
http://sr-mediathek.sr-online.de/index.php?seite=7&id=15794&pnr=0
Hans Jürgen Krysmanski, "0,1 %. Das Imperium der Milliardäre". Setzt die Schicht der Superreichen die Demokratie außer Kraft? Schadet die Vermögenskonzentration der Marktwirtschaft? Wächst die Instabilität und die Gefahr gewaltsamer Konflikte?
Wie immer bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihre Ergänzungen, die tatsächlich eine Menge Stoff hergeben. Nur: Im Blog nebenan https://www.freitag.de/autoren/hierundjetzt/und-taeglich-gruesst-das-grossprojekt bekomme ich die Frage präsentiert, wie ich FÜR etwas sein will. Ich glaube, wir sollten uns alsbald von der romantischen Vorstellung verabschieden, dass Energiegewinnung, die nachhaltig sein soll, gänzlich ohne Eingriffe auskommt. Weil Sie speziell das Ding mit Alu ansprechen: Für mich -nachdem ich die Sendung gesehen habe- mindestens so diffus-verschwörerisch-esotherisch wie Lichtnahrung.
Eine Denkanleitung war nicht beabsichtigt....;)
Nu abba schnell weg mit dem fitten Turnschuh, sonst hechle ich Ihnen noch hinterher ... ;)
Verstehe ich Sie richtig, dass Sie damit jenes U235 meinen, das eine Halbweitzeit von rund 700 Millionen Jahren hat? Sehr laienhaft gefragt (ich bin in der Hinsicht einer): Beobachten wir nach Ende der "ersten Halbwertzeit" von Caesium-137 eine eigene, neue Reaktion im freien Raum?
Die jetzige Belastung von Wildschweinen mit Werten von 10.000 Bq/kg scheint kein momentaner Einzelfall zu sein, sondern eher die Regel, der BR brachte vor einiger Zeit dazu einen wenig appetiterzeugenden Bericht.
http://www.br.de/themen/aktuell/bayern_pilze_wildschweine100.html
Daher seien Jäger nach wie vor – vor dem „In-Verkehr-bringen“ von Wildschwein bzw. Wildbrets – verpflichtet, die Werte ausmessen zu lassen.
http://www.lfu.bayern.de/strahlung/caesium_wildbret/index.htm
Das bayrische Landesamt für Umweltschutz hat hierzu eine Grafik über die Verteilung der kritischen Messungen eingestellt.
http://www.lfu.bayern.de/strahlung/caesium_wildbret/wer_misst/pic/348221_gr.jpg
Was passiert eigentlich, wenn ich dann doch so eine Wildsau esse? Dass ich es nicht soll, sagt http://www.lfu.bayern.de/strahlung/caesium_wildbret/wie_viel_essen/index.htm
Aber warum, sagt man mir dort nicht ...
Ich habe jetzt ein wenig Zeit benötigt, Ihre Info zu verdauen. Was Sie hier darlegen, ist, dass im Grunde jeder Pilzesammler, der 30 Jahre nach dem Tschernobyl-GAU im Holz sagen wir: in Niederbayern, Teilen von Franken usw. unterwegs ist, seinen vollen Korb besser nicht der Inspektion mit einem Strahlenmessgerät unterziehen sollte und das ... nach menschlichem Ermessen .. ein Dauerzustand bleiben wird? Letztlich müsste das auch für die Beeren in besagtem Holz betreffen. Oder?
Ganz unten im Link steht, dass z. B. im Iran, in Indien, in Brasilien die natürliche Strahlung eh höher wäre, und selbst dort keine Auswirkungen festgestellt worden wären. Also wie immer alles „reine Panikmache“, die Grenzwerte sind aus reiner Für- und Vorsorge derart niedrig angesetzt, dass „zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Bevölkerung bestand, besteht oder bestünde“, auch nicht beim Verzehr von 1 ganzen Wildschwein pro Tag. Die Landesregierung sorgt schon für uns, darum bestand und besteht ja auch kein Grund, auf mögliche Folgen hinzuweisen, weil sie ja gar nicht entstehen, gell? Zumal sich ja eh alle an die Hinweise des LfU halten...
Zudem wäre vermutlich für das „warum“ dann das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständig. Aber auch die schreiben nichts, wahrscheinlich weil „zu keinem Zeitpunkt...“ Und gemessen wird auch nur „aus Routine“.
Grüßle, Diander
Interessant. Sie sind also der Meinung, dass die EPA (US Environmental Protection Agency) bereits Panikmache betreibt, wenn sie schreibt: "Like all radionuclides, exposure to radiation from cesium-137 results in increased risk of cancer"?
Bitte, nein! Hinter meinen Kommentar hätte wohl besser ein Zeichen von ausdrücklichem Ironiemodus mit gehöriger Tendenz zu Zynismus gehört. Tatsächlich gemeint war natürlich, dass die Links des LfU et al. das Thema und die Gefahr mit ihren Rechenbeispielen imo stark verharmlosen, so wie üblich. My fault, aber ich mag die Emoticons nicht so gerne...
Ich habe lieber nachgefragt, als einem Missverständis aufzusitzen. Thx für die Antwort.