Das Privileg, über Rechtsextreme lachen zu können

Kolumne Ein Selbstbild als „Erinnerungsweltmeister“ führt nach rechtsextremen Taten häufig zu Bühnenstücken. Aber gut gemeint, heißt nicht immer gut gemacht: Zu oft werden Opferperspektiven ausgeschlossen. Doch es gibt auch Gegenbeispiele
Ausgabe 12/2024
Antoinette Ullrich beim Liederabend „Als wäre es gestern gewesen" am Nationaltheater Mannheim zum Gedenken an Betroffene rechter und rassistischer Gewalt
Antoinette Ullrich beim Liederabend „Als wäre es gestern gewesen" am Nationaltheater Mannheim zum Gedenken an Betroffene rechter und rassistischer Gewalt

Foto: Christian Kleiner

Nachdem Deutschland 2011 aus allen Wolken fiel, dass es drei Rechtsextreme gegeben haben soll, die jahrelang unbehelligt durch das Land zogen und Menschen aus rassistischer und völkischer Gesinnung ermordeten, war der anschließende Eifer groß, den sogenannten NSU-Komplex auf der Bühne aufzuarbeiten. Diese Dynamik entsprach dem typisch deutschen Umgang mit den Fortschreibungen rechten Terrors: Erst will man gar nichts mitbekommen haben, dann aber kümmert man sich erschrocken umso mehr, weil man ja dem eigenen Selbstbild des „Erinnerungsweltmeisters“ gern entsprechen möchte.

Deutsche Erinnerungskultur nach 1945, weist Achim Doerfer in seinem wichtigen Buch Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen nach, erfüllt einzig und allein die Bedürfnisse der deutschen Nachkommengesellschaft von Täter:innen. Es sei ein „eigennütziges Projekt“ für die Selbstbestätigung, dass man gut geworden ist. Störende Opferperspektiven werden ausgeschlossen. Die fehlenden Handschriften von Betroffenen führen dann dazu, dass eben nicht die Leben der Menschen im Zentrum des Erinnerns stehen, die durch rechten Terror ermordet wurden, sondern dass auf den Bühnen (ganz zu schweigen von Film und Fernsehen) eher Raum für eine Täter:innen-Ikonografie entsteht. Das Stück Unter Drei von 2013 versprach spannende Einblicke in den mutmaßlichen WG-Alltag der Terrorist:innen, gespickt mit allerlei Absurditäten. Bald darauf fantasierte sich Der Weiße Wolf was über die sexuelle Anziehungskraft zusammen, die in dieser Ménage-à-trois eine Rolle gespielt haben muss. Der „legendäre“ Wohnwagen, in dem sie gelebt haben, kam in Opern- und Theaterinszenierungen als Popkulturzitat zum Einsatz, und erst vor Kurzem gab es in Wien ein Stück über „das Buch“, das den NSU zu seinen Taten „inspiriert“ haben soll.

Es ist natürlich nicht per se falsch, sich dem rechten Terror auf der Bühne anzunehmen, und Autor:innen wie Nuran David Calis oder auch Tuğsal Moğul haben mit Die Lücke und NSU: Auch Deutsche unter den Opfern bereits den Fokus auf die Betroffenen gelegt.

Oft aber ist eine beklemmende Selbstbesoffenheit an der eigenen guten Absicht zu beobachten, zuletzt führte das am Berliner Ensemble bei der szenischen Lesung der Correctiv-Recherche zu ein paar völlig abwegigen Scherzen. Über Rechtsextreme lachen könne man nur, wenn man von deren Deportationsplänen prinzipiell nicht betroffen sei, schrieb dazu die Regisseurin Ayşe Güvendiren in einem wichtigen Einspruchstext in Theater der Zeit.

Sie hat kürzlich am Nationaltheater Mannheim einen Lieder- und Gedenkabend eingerichtet, der der Erinnerung an die Betroffenen von rechter und rassistischer Gewalt verpflichtet ist und einen völlig neuen Ton anschlägt. Für Als wäre es gestern gewesen hat Ayşe Güvendiren Angehörige von Ermordeten gefragt: „Wie möchtet ihr euch erinnern? Welche Lieder erinnern euch an eure Liebsten?“ Ein Musiker und drei Schauspieler:innen singen und tanzen sich durch die Liedtexte von Neşet Ertaş, Ahmet Kaya, Sezen Aksu, Lejb Rosenthal und anderen.

Auf der Bühne stehen Transportkisten aus Holz, versehen mit dem Hinweis „Fragile“, auf sie werden die Bilder der Ermordeten und ihrer Angehörigen projiziert. Wir hören Aufnahmen der Angehörigen, die von ihren Liebsten erzählen: den liebevollen Eltern oder Geschwister, die sie waren; welche Lieder sie auf langen Fahrten im Auto immer sangen; wovon sie träumten; in wen sie verliebt waren. Es ist beeindruckend und bewegend: Plötzlich schälen sich aus den Liedern und den Erinnerungen die Menschen heraus, die nicht mehr da sind, stehen plötzlich mit im Raum. Und plötzlich werden sie klar: die Verluste, die wir alle erlitten haben und die Wut über die bisherige Erinnerung, die diese Menschen vergessen machen wollte.

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