Besuch im Londoner Globe Theatre: Shakespeare als Kräuter-Gin

Theatertagebuch Unsere Kolumnistin wollte möglichst nah ran an die Blood-Crime-Love-Revenge-und-Sex-Ästhetik von Shakespeare. Aber alles, was sie im Londoner Globe Theatre fand, war ein gut bestückter Merchandise-Shop und mittelmäßiges Sprech-Theater
Ausgabe 34/2023
Globe Theatre in London: Immerhin detailgetreu rekonstruiert
Globe Theatre in London: Immerhin detailgetreu rekonstruiert

Foto: Oli Scarff/Getty Images

Theater ist die einzige Kunstform, die bereits im Entstehen verloren geht. Insofern war und ist Theater wahrscheinlich schon immer näher am Leben dran als andere Künste, die sich erst mal nicht verändern und auch später abrufbar bleiben, wie Bücher, Filme, Gemälde oder Architektur. Diese Unwiederbringlichkeit ist aber auch der Grund, weshalb wir über das entscheidende Element von vergangenem Theater absolut gar nichts wissen können: über das Schauspiel.

Während meines Sommerurlaubs sah ich in London Shakespeares Macbeth – und zwar im Hotspot für Theaterliebhaber schlechthin, dem Globe Theatre direkt an der Themse. Das „wooden O“ ist ein engagiertes Lebensprojekt des US-Schauspielers Sam Wanamaker, der bereits 1949 in London herumstiefelte, auf der Suche nach der ursprünglichen Stätte des Theaters, für das William Shakespeare geschrieben hatte. Er fand nur eine kleine Erinnerungsplakette, doch es ließ ihn nicht los: Er gründete eine Foundation, sammelte Gelder und überzeugte Menschen, sodass 1997 der historisch detailgetreue Nachbau eröffnet werden konnte, damals eine Sensation.

Das Gebäude am Themseufer Embankment liegt direkt neben der riesigen ehemaligen Turbinenhalle, in der die Tate Modern untergebracht ist, und wirkt vor der neuen, futuristischen Glas-und-Stahl-Kulisse der Stadt lieb und unschuldig. Das Besondere am Bau: Es ist ein Freilufttheater in kreisrunder Form, gezimmert aus Holz und Lehm mit einem hübschen Reetdach. Unter diesem sitzen die Zuschauer mit Sitzplätzen in drei Rängen, das restliche Publikum steht in der Mitte unter freiem Himmel, die Bühne ragt in diese runde Fläche hinein.

Shakespeares „Macbeth“ enthält Gewalt und Blut? Na hoffentlich!

Das detailgetreu rekonstruierte Globe verspricht also tatsächlich erst mal eine Zeitreise in das frühe 17. Jahrhundert, obwohl man sich dafür den Fan-Shop wegdenken muss: T-Shirts mit Mercutios Pestverwünschung „A plague on both your houses!“, mit Herzchen verzierte Liebestassen mit Romeo-und-Julia-Zitaten, Plastikschädel für Hamlet-Nachahmer, Stifte in Schreibfederform und sogar Kräuter-Gin aus der Brennerei in Stratford-upon-Avon, Shakespeares Geburtsort. 30 Euro die Phiole! Bereits vor der Vorstellung stopften sich die Leute hier ungeduldig die Beutel voll und kippten sich becherweise den Barista-Flat-White oder den Aperol Spritz hinter die Binde, den es an niedlichen Mittelalterbüdchen vor dem Theater zu kaufen gibt, bezahlt wird meistens mit der Apple Watch.

Die Triggerwarnungen sind dafür in Holzbretter eingraviert: „This performance contains scenes of violence, blood & gore!“ Das klingt natürlich auch ein wenig nach Verheißung, denn bei keinem anderen Autor ist am Ende die Bühne so konsequent mit Leichen gepflastert wie bei olle William, sodass ich bei dem Schild gleich dachte: „Na hoffentlich!“

Ob es nun das ganze Merchandising war, das mir die Laune vermieste, weil der Massentourismusgeschmack am Gaumen kleben bleibt – meine heimliche Erwartung eines „authentischen“ Shakespeare jedenfalls wurde enttäuscht. Der Raum allein macht also noch nicht das Erlebnis. Und es bleibt weiterhin ein Rätsel, wie diese verdichtete Poesie von Shakespeares Stücken, die hinter jeder seiner Blood-Crime-Love-Revenge-und-Sex-Storys steht, auf die Bühne zu bringen ist.

Mit dem Herumsteh- und Sprechtheater jedenfalls, das in der Körperlichkeit der Darstellung eher an TV-Serien erinnerte, kam auch in dem historischen Gebäude keine Bühnenmagie auf. Wie die Menschen vor 400 Jahren diese Texte und Geschichten in diesem Theaterraum verfolgten, die sprachlich so komplex sind, dass kein heutiges Hirn da mehr mithalten kann, können wir wie gesagt nicht wissen. Ich wäre aber zu gern dabei gewesen.

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