Harry Styles, Timothée Chalamet, Jacob Elordi: Die Posterboys des Kapitalismus
Männlichkeit Eine neue Ära der Popkultur hat weiche und feministische Männer entdeckt – als It-Boys. Wie progressiv sind sie wirklich? Unser Autor hat eine eindeutige Antwort
Sogar wachsweich: Harry Styles bei Madame Tussauds in Berlin
Foto: Maurizio Gambarini/Funke/Imago Images
Neue männliche Ikonen, es gibt sie endlich wieder: Gut aussehend, durchtrainiert, erfolgreich, up and coming und unglaublich sexy. Neuestes Beispiel ist der australische Schauspieler Jacob Elordi. Seit seinen Filmerfolgen Euphoria, Saltburn und Priscilla scheint er der neue It-Boy zu sein. Laut dem Tagesanzeiger sogar „Anwärter auf den ultimativen Thron“. Alles harmlos und business as usual?
Die Popkultur findet in Hollywood-Schauspielern oder Musikern immer neue Menschen, die sie in den Fokus rückt. Doch oft verbirgt sich hinter der strahlenden Fassade auch eine komplexe Dynamik von Männlichkeit, Weißsein und gesellschaftlicher Macht, die es zu hinterfragen gilt.
Um das Phänomen der It-Boys zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück. Frühe
stehen, lohnt sich ein Blick zurück. Frühe Beispiele aus den 2000ern wie der Fußballer David Beckham waren die Ersten ihrer Art: Sie verkörperten nicht nur Stilbewusstsein und Mode, sondern wurden mit einer weichen, hybriden Männlichkeitsperformance assoziiert, die fast als progressiv wahrgenommen wurde – Stichwort Metrosexualität. Es schien eine Zeitenwende angebrochen: Ein hetero cis Mann, der auf sein Äußeres achtet, Glanz und Glamour als Teil seiner öffentlichen Person wahrnimmt.Ohne Gewalt und DominanzDie Gesellschaft ist heute zumindest einige kleine Schritte weiter: Die Auswirkungen von Männlichkeit werden thematisiert, die Politik hat feministische Forderungen zumindest auf dem Schirm. Das alles hat eine Auswirkung darauf, wie sich Vorstellungen über It-Boys verändern. Besonders diejenigen, die aus Hollywood ins öffentliche Bewusstsein kommen, verbinden heute ganz selbstverständlich Glanz und Glamour mit Aufbrechen von Geschlechterklischees. Jacob Elordi trägt „Statement-Taschen“, Harry Styles ziert als erster Mann das US-Cover des Modemagazins Vogue und trägt ein Kleid, Jeremy Allen White ist das neue Calvin-Klein-Model und Timothée Chalamet wurde 2019 als „Symbol neuer Männlichkeit“ bezeichnet.Neue, feministische, gewaltfreie Männlichkeit also? Auch wenn neue Formen der Männlichkeit performt werden, bleibt dieses Ideal aber auch eines, das sich weiterhin an Männlichkeit orientiert. Paul Scheibelhofer, Professor für Kritische Geschlechterforschung an der Universität Innsbruck, schrieb dazu in der taz: „Heutzutage gibt es Jugendkulturen, die eben nicht klassisches Einarbeiten in hegemoniale, normative Männlichkeit durchleben wollen. In dem sie sich anders in Bezug auf Sexualität positionieren, anders in Bezug auf Dominanzpraktiken. Ich sehe da eine Hoffnung, dass Männlichkeit sich positiv verändert.“ Gleichzeitig sei es aber ein Trugschluss, zu glauben, dass, nur weil sich etwas an der Männlichkeit ändert, männliche Dominanz verschwindet.Das Problem ist die Überhöhung der It-Boys, die überzogene Erwartungshaltung, dass sich Männlichkeit in Kleinigkeiten grundsätzlich verändert, obwohl die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die gleichen sind – und durch die It-Boys auch nicht zum Thema gemacht werden. Hinter der Performance steckt keine solidarische Praxis, obwohl ihre Männlichkeit politisch ist.Daneben fällt auf: Das Thema Weißsein wird oft vernachlässigt. Es ist unbestreitbar, dass die meisten gegenwärtigen It-Boys weiß gelesen werden, und das wirft wichtige Fragen auf: Inwieweit ist die Wahrnehmung von Männlichkeit in der Popkultur von einer privilegierten, cis weiß gelesenen Perspektive geprägt? Welche Stereotype werden dadurch verstärkt, und welche bleiben unberücksichtigt?Die Auswahl derjenigen, die als It-Boys wahrgenommen werden, spiegelt die bestehenden Hierarchien wider und verstärkt sie sogar. Dadurch erhalten bestimmte Gruppen mehr kulturelles und soziales Kapital, Aufträge und Sichtbarkeit, während andere marginalisiert werden.Denken wir zurück: Ohne den Kampf von queeren Schwarzen und People-of-Color-Aktivist*innen wie den trans Frauen Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson gäbe es diese Freiheiten nicht, sich in der Öffentlichkeit als cis Mann über feste Bilder von stereotypischer cis hetero Männlichkeit hinaus zu zeigen.Das Überhöhen von weiß gelesenen, cis heterosexuellen Männern heißt auch, dass diese Männer als Posterboys für feministischen Wandel gesehen werden. Men of Color hingegen gelten weiterhin als Manifestation einer rückwärtsgewandten, patriarchalen Männlichkeit. Personen wie der Rapper ASAP Rocky oder der Schauspiel-Star Michael B. Jordan werden zwar von ihren Fans gefeiert, aber ihr Einfluss in der Popkultur bleibt oft hinter dem ihrer weißen Kollegen zurück. Ganz abgesehen davon, dass Prince oder Billy Porter, die schon Jahre zuvor am gesellschaftlichen Bild des Mannes rüttelten, in der Diskussion nur begrenzt wahrgenommen werden. Dieses Phänomen ist keine zufällige Erscheinung, sondern spiegelt die tief verwurzelten Vorurteile gegenüber Männlichkeiten of Color wider und manifestiert weiße, kapitalistische Machtstrukturen, die unsere Gesellschaft prägen.Zurück in die 2000er. Denn bevor es das popkulturelle Phänomen der It-Boys gab (Elvis und David Bowie mal ausgenommen), gab es Frauen wie Paris Hilton oder die Kardashians. Sie prägten unsere Vorstellung davon, wie It-Girls zu sein haben: Sexappeal, Erfolg und radikale Selbstvermarktung. Doch im Gegensatz zu den It-Boys werden sie genau dafür oft übermäßig kritisiert. Während also It-Boys oft für ihren Erfolg gefeiert werden, werden It-Girls häufig auf ihr Aussehen und ihre Oberflächlichkeit reduziert. Diese Doppelmoral verdeutlicht die komplexen Dynamiken von Geschlecht und Macht in der Popkultur.Wir müssen uns bewusst machen, dass die Wahrnehmung von Männlichkeit oft stark von gesellschaftlichen Normen und Vorurteilen geprägt ist. Indem wir die Komplexität der It-Boys und ihrer Darstellungen von Männlichkeit anerkennen, können wir eine breitere Palette von Geschichten und Perspektiven fördern – und vor allem nicht gleich auf den Zug aufspringen, wenn weiß gelesene Männlichkeiten für ihre scheinbare Progressivität gefeiert werden, die sie nicht erfunden haben.Erst eine Männlichkeit, die Machtungleichheit angeht, die sich solidarisch dem feministischen Kampf anschließt, sollte – wenn überhaupt – gefeiert werden. Vorher bleibt es egal, welche Klamotten man trägt und wie weich man sich gibt. Das It muss der Kampf gegen Ungerechtigkeit sein, alles andere ist business as usual.
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