Gewiss ist die Ungewissheit

Wahlen Am Sonntag wird in Italien gewählt. Doch das Szenario verspricht nichts Gutes

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Rechte Parteien bekommen in Italien massiven Zulauf. Ihr Thema, die Migrationspolitik
Rechte Parteien bekommen in Italien massiven Zulauf. Ihr Thema, die Migrationspolitik

Foto: Andreas Solaro/Getty Images/AFP

Bis Ende Januar verlief der italienische Wahlkampf ohne große Überraschungen. Die Journalisten sprachen von einem der langweiligsten Wahlkämpfe der letzten Jahre, ausländische Reporter berichteten über die unerwartete Bescheidenheit der Kampagne. Selbst die Rückkehr von Silvio Berlusconi, dessen politische und wirtschaftliche Ambitionen mittlerweile jedem bekannt sind, wurde von vielen Italienern geahnt. Dann kam der Anschlag vom Macerata am 3. Februar 2018 (an dem Tag schoss ein junger Neofaschist gezielt auf Ausländer und verletzte dabei sechs Leute) und die Stimmung änderte sich rasch. Der Wahlkampf blieb zwar langweilig und sicherlich oberflächlich, doch ein Thema setzte sich als kollektive Obsession durch: die Migrationspolitik – statt über den Täter sprach man also über die Opfer. Am Sonntag ist es soweit, doch das Szenario verspricht nichts Gutes. Hier drei wichtige Punkten über die anstehende Wahl.

  1. Wahrscheinlich wird keiner gewinnen. Laut den letzten Umfragen, die Ende der vergangener Woche veröffentlicht wurden, wird weder eine Partei noch eine Koalition die politische Kraft haben, eine Mehrheitsregierung zu bilden - mit dem Risiko einer politischen Sackgasse. Das Mitte-Rechts-Bündnis aus Silvio Berlusconis Forza Italia und Matteo Salvinis rechtspopulistischer Partei Lega Nord führt in den letzten offiziellen Umfragen mit durchschnittlich 37% der Stimmen, gefolgt von der Fünf-Sterne-Bewegung (erste Partei mit 28%) und der Mitte-Links Koalition (27,5%) um Matteo Renzis Partito Democratico. Sollten sich die Umfragen bestätigen, könnte sich ein ähnliches Szenario wie nach der Wahl 2013 abspielen: ein dreigespaltetes Parlament. Damals löste sich der politische Stillstand mit einer Großen Koalition, diesmal könnte der Präsident der Republik Sergio Mattarella auf eine derartige Lösung drängen und den Amtsinhaber Paolo Gentiloni - eine Persönlichkeit, die beide Parteien vereint - als Ministerpräsident vorschlagen. Zuerst werden Renzi und Berlusconi ablehnen, doch das Gespenst von Neuwahlen und der Druck von außen könnten sie schnell überzeugen. Auch die Fünf-Sterne-Bewegung, die laut Umfragewerten stärkste Partei, könnte die Bildung einer Regierung für sich beanspruchen. Ob sie tatsächlich an die Macht kommt, ist aber eine andere Frage. Die Fünf Sterne wollen nämlich nicht koalieren, sodass mit ihnen nur eine Minderheitsregierung möglich wäre. Man sollte allerdings nicht vergessen: Analysten zufolge sind fast ein Drittel der Wahlberechtige noch unentschieden. Sollte die Mitte-Rechts-Bündnis am meisten davon profitieren und am Ende genügend Sitze erobern, könnte sich für Italien eine neue Berlusconi-Phase eröffnen (diesmal mit dem 81-jährigen als graue Eminenz, da er nicht Ministerpräsident werden darf): ein für die wirtschaftliche Lage und politische Stabilität des Landes gefährliches Szenario.
  2. Die Neofaschistischen Bewegungen sind zurück, oder besser gesagt: sie waren nie weg, nun gewinnen sie an politischer Kraft und medialer Sichtbarkeit. In den letzten zwei Jahren haben sich rechtsextreme Parteien wie Forza Nuova und CasaPound stark verwurzelt, vor allem in einigen Stadtteilen Roms. Auch die rechtspopulistischen Lega Nord und Fratelli d'Italia sind auf dem Vormarsch: sie versprechen eine härtere Migrationspolitik, mehr Sicherheitsmaßnahmen, weniger Europa. Noch schlimmer, sie legitimieren indirekt ein Klima der Spannung und des gegenseitigen Misstrauens: laut dem Kollektiv Infoantifa Ecn, der vor kurzem eine Karte aller faschistischen Gewalttaten herausgegeben hat, sind letztes Jahr die Straftaten dieser Art deutlich gestiegen. Die Präsidentin der Abgeordnetenkammer Laura Boldrini, die sich auf der Seite der Migranten positioniert hatte, wurde häufig Opfer von Web-Angriffen und einschüchternden Aktionen. Eine Forza Nuova Gruppe stürmte neulich die Aufzeichnung einer politischen Talkshow. Und dann der Anschlag von Macerata: nicht der erste und auch nicht letzte von solchen Angriffen. Wie reagiert die Politik? Schüchtern. Nur wenige Politiker sprachen offen von Macerata als einen "faschistischen Angriff", die meisten reduzierten die Schießerei auf die isolierte "Tat eines Verrückten". Der Chef der Lega Nord Matteo Salvini kommentierte gleich nach dem Angriff, das wahre Problem sei die "unkontrollierte Einwanderung" die zu "sozialen Konflikten" führt. Dann fügte er hinzu: "Die Schuld liegt bei denen, die uns mit illegalen Einwanderern füllen". Eine Position, die im Land durchaus vielen geteilt wird.
  3. Seit Jahrzehnten gehört die Migrationspolitik zu den Hauptthemen der politischen Debatte, denn seit Jahrzehnten beschäftigt sich das Land mit Migrationsströmen über das Mittelmeer. Doch in den letzten Wochen scheint die Debatte jegliche Vernunft verloren zu haben. In den sozialen Netzwerken verbreitet sich der Migrantenhass. Die Lega Nord, die mit Matteo Salvini noch weiter nach rechts gerückt ist, erreicht mit der Rhetorik des "sozialen Konfliktes durch die Ausländer" alle diejenige, die das Vertrauen in die Zukunft des Landes verloren haben. Laut eine Umfrage in der Tageszeitung Il Giorno, die gleich nach Macerata veröffentlicht wurde, glauben 58% der Italiener, dass die Ausländer sich nicht integrieren wollen: eine Prozentzahl, die weit über die Wählerschaft der Rechtsparteien hinaus geht. Eine andere Studie des Meinungsforschungsinstituts Tecné sagt, dass Migration eines der entscheidenden Themen der Wahl sein wird - für das Mitte-Rechts-Bündnis sogar das entscheidende, obwohl Steuern, Rente, Arbeit und Bildung den täglichen Alltag weit mehr beeinflussen. Die hohe Anzahl an Unentschiedenen macht allerdings jede Vorhersage schwierig. Eines ist sicher: die Stimmung im Land ist mies, die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien und deren Unterstützern erinnern mehr an Fußballfans als an eine demokratische Debatte.
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