Zu den Dingen, die augenblicklich in der russischen Führung gefragt sind, gehört vor allem Treue gegenüber dem Präsidenten Wladimir Putin. Die Rebellion des Warlords Jewgenij Prigoschin hat gezeigt, wie lebendig in Russland das jahrhundertealte Erbe von Revolten, Aufständen, Intrigen und Ränken um die Macht ist. Um ein womöglich geschichtlich bedingtes Defizit an Loyalität auszugleichen, wächst in Moskau der Bedarf an Politikern und Militärs, die in relevanter Funktion vor allem eines sind: absolut loyal.
Einer der Wichtigsten und Einflussreichsten unter denen, auf die das zutrifft, ist der 72-jährige Nikolai Patruschew, Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation. Ein Gremium, das vor allem die Sicherheitsdienste
tsdienste koordiniert. Wer diese Instanz führt, hat Zugang zum Staatschef. Der informiert diesen regelmäßig und erhält von ihm Aufträge, auch zu heiklen Fragen der Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik. Putin selbst bekleidete diesen Posten, bevor ihn der damalige Präsident Boris Jelzin im August 1999 zum Premierminister und bald darauf zum amtierenden Präsidenten berief.Für den inneren Zirkel im Kreml steht Patruschew im Ruf, einer der Treuesten zu sein und nach dem Prigoschin-Aufstand an Gewicht gewonnen zu haben. Ein russischer Journalist mit Zugang zur Führung nennt „Patrick“, wie er von Moskauer Loyalisten genannt wird, einen „vorsichtigen Fuchs, der noch aus seiner KGB-Zeit ein Gespür für Menschen“ habe. Hinzu kämen Intuition und viel Erfahrung in der operativen Arbeit.Aufgewachsen als Sohn eines Politoffiziers der Baltischen Flotte, stammt Patruschew aus einer staatskonformen Familie, die in der Person der Mutter die Blockade Leningrads zwischen 1941 und 1944 durch die deutsche Wehrmacht miterlebt und überlebt hat. Als junger Ingenieur in einem Rüstungsbetrieb tätig, wurde Patruschew 1974 vom Geheimdienst KGB rekrutiert. Ausgebildet an der Hochschule des KGB, kam er bald zu regionaler Leitungsverantwortung. 1994 stieg er auf zum Leiter der für die innere Sicherheit zuständigen Verwaltung des KGB-Nachfolgers FSB. Von dort aus wechselte er 1998 in die Leitung der Hauptkontrollabteilung der Jelzin-Administration. Er löste damit Wladimir Putin ab, der im Juli 1998 an die Spitze des FSB getreten war und Patruschew zum stellvertretenden FSB-Direktor befördert hatte.Nikolai Patruschew hat auch engen Kontakt zu China und IranAls Putin im August 1999 von Jelzin zum Premier ernannte wurde, machte er Patruschew zum FSB-Chef, was der bis Mai 2008 blieb. In diese Zeit fiel der zweite Tschetschenien-Krieg, der ein Ausbrechen der Nordkaukasusrepublik, angeführt von muslimischen Separatisten, aus dem russischen Staatsverband aufhalten sollte. Patruschew hatte bereits vor den Anschlägen des 11. September 2001 in New York erklärt, man kämpfe „nicht gegen die Tschetschenen“, sondern den internationalen Terrorismus der Dschihadisten.Im Mai 2008 dann wechselte Patruschew in den Sicherheitsrat, um dessen Sekretär zu werden und sich in einer Unterabteilung der Präsidentenadministration wiederzufinden. Er hatte Sitzungen mit dem Präsidenten vorzubereiten, an denen unter anderem die Minister für Verteidigung, Inneres und Äußeres sowie die Chefs des Inlands- und Auslandsgeheimdienstes teilnahmen.Für dieses eigentliche Führungsgremium des Landes gelten unter dem Sekretär Patruschew die Prinzipien des Putin’schen präventiven Sicherheitsstaates. Es versteht sich, dass er damit auch in die Außenpolitik eingreift, in einem engen Kontakt mit dem Zentralkomitee und Politbüro der KP Chinas steht und sich um das Verhältnis zwischen Moskau und Peking kümmert. Auch Militärs und Politiker aus Teheran gehören zu Patruschews bevorzugten Gesprächspartnern.Welches Gewicht die USA dem treuen Schildknappen zumessen, zeigte sich im November 2021, als CIA-Direktor William Burns mit Patruschew in Moskau zusammentraf. Burns ließ den Gastgeber wissen, dass sein Geheimdienst über russische Vorbereitungen für einen Einmarsch in der Ukraine im Bilde sei. Dem Konflikt mit dem Nachbarstaat widmete sich Patruschew seit 2014 intensiv – seit dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch in Kiew. Wenn er darüber in staatsnahen Medien sprach, präsentierte er ein eher holzschnittartiges Verständnis der sich unablässig aufbauenden Spannungen. Bereits 2015 urteilte der Sicherheitssekretär, die Führung der Ukraine vertrete „eine verderbliche Linie“, die zum „Zerfall des eigenen Landes führen“ werde. Die Schuld dafür gab Patruschew den Vereinigten Staaten. Auf der Sitzung des Sicherheitsrates am 21. Februar 2022, die der Intervention gegen die Ukraine unmittelbar voranging, sagte er, in Washington habe man den Konflikt im Donbass „organisiert“. Für ihn waren und blieben die „angelsächsischen Eliten“ der eigentliche Feind in der Schlacht um die Ukraine. Denen stecke „Russland wie ein Knochen in der Kehle“.Die Russische Föderation aber, so meinte der erkennbar von der Sowjetzeit geprägte Nikolai Patruschew, kämpfe „nicht gegen die Ukraine“, und „Hass gegenüber einfachen Ukrainern“ sei in Russland schlichtweg „nicht möglich“.