Russland und Olympia: Wie man alle Seiten ärgert

Der Sportreporter Auch wenn die Anzahl russischer Olympia-Teilnehmer:innen in Paris diesen Sommer überschaubar bleiben wird, drängt sich eine Frage auf: Wie ist umzugehen mit Sportschaffenden aus Russland? Unser Sportreporter über das Politische im Sport
Ausgabe 13/2024
Unterstützerin Putins: Die ehemalige Stabhochspringerin Elena Isinbaeva in Beijing
Unterstützerin Putins: Die ehemalige Stabhochspringerin Elena Isinbaeva in Beijing

Foto: Imago/Xinhua

Die vergangenen zwei Jahre, die bestimmt waren vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, haben den Sport gar nicht einmal so sehr verändert, wie man das zunächst erwartete. Er ist international weitergelaufen, in den meisten Sportarten, ohne Beteiligung russischer Sportlerinnen, Athleten und Teams – und man vermisst sie nicht wirklich. Die Enttäuschungen über Russland als Sportnation hatten sich schon vor dem 24. Februar 2022 angehäuft: Da war das von mutigen Whistleblowern offengelegte staatlich organisierte Dopingsystem während der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi, und die Funktionäre waren acht Jahre später so skrupellos, ihr minderjähriges Eislaufsternchen Kamila Walijewa mit einem Herzmittel vollzupumpen, um die Leistung zu optimieren. Die Trainerin Eteri Tutberidse erschien während der Spiele in Peking als der kälteste Mensch der Welt, sogar die ehemalige Kufen-Prinzessin Katarina Witt, die in der DDR jede Härte des Eiskunstlaufs erfahren hatte, musste als Expertin im Fernsehen das Kinderschicksal beweinen.

Wie gehen wir mit Sportschaffenden aus Russland künftig um? Dieser Frage werden wir uns spätestens im Juli stellen müssen, wenn der große Sport sich ihnen teilweise wieder öffnet. Bei den Olympischen Spielen in Paris werden welche am Start sein, und selbst wenn sie als „neutrale“ Teilnehmende ausgewiesen werden, die ohne politische Bindung und Mission unterwegs sind, werden wir sie wahrnehmen als Russinnen und Russen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) ist ja selbst unsicher: Es glaubt, ein kompletter und dauerhafter Ausschluss widerspräche der grundlegenden Idee des Sports, völker- und kulturenverbindend zu sein – doch die angestrebte Re-Integration der vielleicht nicht garantiert „guten“, aber auch nicht nachgewiesenermaßen bösen Russen schließt ihre Teilnahme an der Eröffnungsfeier auf der Seine nicht ein. Das IOC schafft es, dass alle Seiten empört sind.

Für die Sportkonsumenten stehen schwere individuelle Entscheidungen an, wem man mit Freundlichkeit, Gleichgültigkeit oder Aversion begegnet. Wie hielte man es etwa bei der Tennisspielerin Darja Kassatkina? Sie stammt aus dem russischen Sportsystem, doch sie lebt in Spanien, ist homosexuell und verachtet die Gesellschaftspolitik in ihrem Heimatland. Wäre Applaus für sie eine Positionierung gegen Putin – oder würde er den Beifall als Bestätigung für die Leistungsstärke seines Landes und letztlich für sich interpretieren?

Wahrscheinlich wird die Anzahl russischer und belarussischer Olympia-Teilnehmer in Paris überschaubar bleiben, sie werden die Medaillen nicht abräumen – doch mit jedem neutralen Athleten wird uns bewusst werden, was für einen Jammer die Geopolitik über den Sport gebracht hat. Denn die UdSSR und später Russland waren als Staat nie beliebt, umso stürmischer aber hat man stets ihre Vertreter gefeiert, wenn sie ihrem Land ein Gesicht gaben: die fabelhaften Eishockeyspieler, die Turnerin Olga Korbut, in die sich 1972 Teenager weltweit verliebten, in den 2000er Jahren dann die kesse Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa und der Eiskunstlauf-Entertainer Jewgeni Pluschenko. Issinbajewa, Pluschenko und etliche frühere Eishockey-Stars stehen heute überzeugt an Putins Seite – und das zu erleben, sorgt für Gefühlschaos und zerreißt einem einfach nur das Herz.

Günter Klein ist Chefreporter Sport beim Münchner Merkur. Für den Freitag schreibt er die Kolumne „Der Sportreporter“.

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