Sind Hubert Aiwangers Freie Wähler bei der AfD angekommen?
Bayern In Hubert Aiwangers Umgang mit seinem jugendlichen Antisemitismus ist wenig Anstand zu spüren. Doch die Spitze der Freien Wähler stört das nicht. Die einst politisch flexible Partei hat nun ein klares Profil – und das ist rechts
Markus Söder, komplett auf Hubert Aiwanger fokussiert
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„Weniger Hubsi, mehr Kompetenz“: Schon seit Wochen hängen die FDP-Wahlplakate in Bayern, und die Ansage dahinter ist klar. Die Freien Demokraten sehen die Freien Wähler als ihre Hauptrivalen im Werben um die Stimmen am 8. Oktober dieses Jahres – und sie führen ihren Wahlkampf gezielt gegen eine Person. Wobei: „Hubsi“ würde man nun nicht mehr sagen und schreiben, das klingt zu verniedlichend angesichts dessen, was man über Hubert Aiwanger seit Neuestem weiß. Wer als fast erwachsener Jugendlicher seine Faszination für den Nationalsozialismus auslebte, sollte nicht mehr verniedlicht werden. Es hat sich ausgehubsit. Daher müsste es heißen: Weniger Aiwanger, mehr Kompetenz. Oder: Weniger Aiwanger, mehr Anstand, Empathie,
ie, Menschlichkeit.Denn es ist keine Diskussion über die fachlichen Fähigkeiten seines Wirtschaftsministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten, die Bayern führt, sondern über Moral und Verantwortungsbewusstsein, die es für ein Amt benötigt. Und die Diskussion hat sich noch ausgewachsen: Wenn Aiwanger einen starken Rückhalt erfährt aus seiner Partei, einstimmig eigentlich – was ist das dann für eine Partei, diese Freien Wähler?Bayern war immer schon schwarz, über tief katholische Orte wie das Wallfahrtszentrum Altötting sagte man, wenn die SPD einen menschlichen Kandidaten stellt und die CSU einen Besenstiel, dann gewinnt der Besenstiel. Mit 85 Prozent. Dennoch war gelegentlich auch ein Grummeln in Richtung der Christsozialen zu vernehmen – im Lokalen. Konnte ja sein, dass es Unzufriedene gab, wenn eine Straße gebaut werden sollte, die die Landschaft zerschnitt, auch Flugverkehr wurde ein klassisches Widerstands-Thema.Viele kleine freie WählerUnd so bildeten sich schon vor Jahrzehnten Inseln der sanften Rebellion im Freistaat. Menschen fanden sich zusammen, weil sie nicht unbedingt eine grundsätzliche Vorstellung teilten, wie Politik zu sein habe, aber eine konkrete Vorstellung bei einem Projekt. Pragmatik statt Ideologie. Die vielen kleinen Bürgerinitiativen waren die Keimzelle freier Wählergruppen. Keine war wie die andere. Mehrheitlich waren sie zwar vom Fleisch der CSU, aber es gab auch ökologisch motivierte, sozial(demokratisch) denkende. Und Freie Wähler agierten dezentral. Parteistrukturen wollten sie keine haben, weil sie sich eben nicht als Partei verstanden, sondern als Gegenentwurf: manchmal inhaltlich, aber auch strukturell. Es gab nur einen Bundesverband – mit starker bayerischer Färbung.Ob man über das Kommunale hinausdenken solle, das war die Frage, die die Freien Wähler in den 90er-Jahren debattierten. Viele verfolgten ein Anliegen, das ihre unmittelbare Umgebung betraf, entschieden sich bei den großen Wahlen vom Landtag an aufwärts aber, einer anderen, einer „richtigen“ Partei ihre Stimme zu geben. 1998 traten die Freien Wähler in Bayern dann doch selbst an, blieben aber unter der Fünf-Prozent-Marke.Dabei war damals schon Bernhard Pohl, Rechtsanwalt aus Kaufbeuren im Allgäu. Ein typischer bayerischer Kommunalpolitiker: Mitglied in vielen Vereinen, darum bemüht, oft in der Zeitung zu stehen, er wurde Präsident des örtlichen Eishockey-Clubs. Er hätte auch ein CSUler sein können, und mit Stolz verwies er darauf, dass er als Rechtswissenschaftler in Berlin bei Rupert Scholz promoviert habe, Ende der 80er-Jahre Bundesverteidigungsminister für die CDU. Doch in der CSU wäre für Bernhard Pohl der Weg in den Landtag ein weiterer gewesen, und er hätte vielleicht auch nur auf die hinteren Bänke des Maximilianeums geführt.Coverboy Hubert Aiwanger, Richter-Star Alexander HoldFür die Freien Wähler leitete er zuletzt den Untersuchungsausschuss zum Münchner Skandalprojekt der zweiten S-Bahn-Stammstrecke, dafür bekam er fraktionsübergreifend Anerkennung. Zudem ist er Fraktionsvize seiner Partei. Zwei Trunkenheitsfahrten mit dem Auto und weitere Verkehrsdelikte haben seine Karriere nicht geknickt, er gehört weiterhin zum Spitzenpersonal der Freien Wähler, die 2009, im Jahr nach ihrem erstmaligen Einzug in den Bayerischen Landtag, offiziell zur Partei geworden waren. Eine Gruppierung, die bislang für die vage Idee einer weniger verfilzten CSU stand, bekam ein Gesicht: das von Hubert Aiwanger. Von Hubsi.Die Freien Wähler sind eine Partei, die auf dem Land stärker ist als in der Stadt, daher passte es, dass ihr Coverboy wie aus dem Landwirtekalender entstiegen schien. Sein niederbayerischer Dialekt („Opfesoft“ – Apfelsaft) belustigte die Zuhörenden. Er sprach in freier Rede, ohne Manuskript, er wirkte gebildet durch Lebenserfahrung – das imponierte auch den Akademikern in der Partei. Ortsgruppen, bei denen Hubsi sich zum Besuch ankündigte, strengten sich an, ihrem Vorsitzenden zu gefallen. Anerkennendes Raunen für Aiwanger, als seine Liaison mit der Parteikollegin Tanja Schweiger publik wurde.Aus der Interessensgruppierung ohne Gesicht war eine Partei geworden, die mit Personalien um Aufmerksamkeit rang. Die Schlagersängerin Claudia Jung saß für die Freien Wähler fünf Jahre im Landtag, der Fernsehrichter Alexander Hold, über den sie intern lästern, dass er im realen Justizsaal sehr viel trockener sei als in den gescripteten Sat.1-Sendungen, ging 2017 völlig chancenlos als Kandidat in die Wahl für das Bundespräsidentenamt. Es war eine Shownominierung, sie sollte das Profil der Freien Wähler schärfen, die den meisten Deutschen bis dato kein Begriff waren.Für Hubert Aiwanger war es stets ärgerlich, wenn er auf Twitter, das jetzt X heißt, der CSU zugeschlagen wurde. Er suchte Themen, die seine Partei unverwechselbar machen sollten. Kampf gegen Wolf und Bär, damit die keine Schafe reißen, Kampf für den Diesel, Zweifel am Klimawandel, radikal gegen den Entwurf der Berliner Ampel für ein Heizgesetz. Ganz skurril: resolutes Eintreten für die Aufrüstung bayerischer Skigebiete mit Schneekanonen – was nicht verhindert, dass die bayerischen Skifahrer eh Jahreskarten in Österreich kaufen. Doch für Aiwanger zählte der Beifall.„Holen wir die Demokratie zurück!“Auf dem Sudelfeld benannten sie eine Schneekanone dankbar nach „Hubsi“, mit seiner „Holen wir uns die Demokratie zurück“-Rede begeisterte er aus ganz Deutschland angereistes Verschwörungs-Publikum auf dem Erdinger Volksfestplatz. In einer Twitter-Diskussion führte er zur Stützung seines Arguments an: „Schauen Sie auf die Likes!“Die Freien Wähler, die immer flexibel gewesen waren, haben nun klare und große Positionen. Solche, die teils deckungsgleich mit denen der AfD sind, was an Spekulationen zu Beginn der Zehnerjahre erinnert, wonach die neue Partei von rechts unterwandert werden könnte. Die AfD existierte damals noch nicht.Wie denkt die Basis der Freien Wähler? Sie ist nicht vernehmbar, und die Spitze steht zu Aiwanger. Er hat die Stimmen und Sitze geholt, 27 Frauen und Männer leben von ihrem Mandat im Landtag. Und vielleicht demnächst noch mehr.Schaden wird den Freien Wählern ihre Nibelungentreue zum Vorsitzenden Aiwanger wohl gar nicht. Er trifft mit seinen Schmutzkampagne-Vorwürfen gegen die Medien den Nerv der Rechten, zu seinen ersten Bierzelt-Auftritten nach Bekanntwerden der Vorwürfe kamen die, die sich vor den Kameras zu „Jetzt erst recht Aiwanger“-Wählern erklärten. Unklar ist, ob Ministerpräsident Markus Söder nach dem 8. Oktober weiter mit Aiwanger paktieren wird. Der geschmeidige FDP-Boss Martin Hagen wütete zwar in Erding neben Aiwanger, dient sich aber der CSU als der wahrhaft bürgerliche Partner an – so die Freien Demokraten über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Was ihnen nur gelingen kann, wenn sie FW-Klientel, denen „Hubsi“ zu radikal ist, zu sich herüberziehen.Dann wäre das „Weniger Hubsi“ eine politisch richtige Botschaft.