Laut einer Umfrage finden es 29 Prozent der Befragten gerechtfertigt, mit Waffengewalt gegen Flüchtlinge an deutschen Grenzen vorzugehen. Eine sich immer weiter radikalisierende AfD und die rechtsextremen Gewaltexzesse aus dem Umfeld von Pegida und Bürgerwehren vergiften das soziale Klima im Land.
Eine repräsentative Studie des renommierten Meinungsforschungsinstituts YouGov hat 2.080 Einwohner Deutschlands gefragt, ob sie es für gerechtfertigt halten, unbewaffnete Flüchtlinge mit Waffengewalt am Grenzübertritt zu hindern. Obwohl knapp mehr als die Hälfte (57 Prozent) antworten, dies sei nicht gerechtfertigt, unterstützt eine verstörend hohe Anzahl von 29 Prozent den Einsatz von Schusswaffen gegen Flüchtlinge an deutschen Grenzen.
Geistige Brandstifter
Der Anlass für die Studie war eine Äußerung der Vorsitzenden der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD). In einem Interview im Mannheimer Morgen sagte Frauke Petry, Grenzpolizisten sollten „notfalls von der Schusswaffe Gebrauch machen", um „den illegalen Grenzübertritt zu verhindern", Waffengewalt sei die „Ultima Ratio."
Die AfD-Vize und Mitglied des Europäischen Parlaments, Adlige und Enkelin von Adolf Hitlers Reichsfinanzminister Beatrix von Storch hat die verächtliche Forderung ihrer Parteifreundin Petry mit Inhalt gefüllt: Als sie auf facebook gefragt wurde, ob ihre Partei Frauen und Kinder tatsächlich mit Waffengewalt am Grenzübertritt hindern wolle, antwortete von Storch mit einem simplen und doch so vielsagenden „Ja."
http://justicenow.de/wp-content/uploads/2016/02/vonstorch-facebook-101-_v-videowebl-300x86.jpgNach diesen unmenschlichen - und nebenbei bemerkt verfassungswidrigen - Äußerungen ging ein massiver Aufschrei durch die deutsche Zeitungs- und online-Welt, der den Anschein erweckte, die von der AfD gewünschte Behandlung von Flüchtlingen sei eine absolute Randmeinung in der deutschen Gesellschaft. Die Ergebnisse der YouGov-Studie belehrten uns eines Besseren.
Es scheint tatsächlich so, als hätte die AfD einen guten Instinkt dafür, wie weit sie mit ihren rassistischen, menschenfeindlichen Statements gehen kann, und dafür, die salonfähigen Grenzen in der öffentlichen Diskussion Schritt für Schritt an den rechten Rand zu drängen.
Als sich die Partei 2013 gegründet hatte, gewann sie vor allem mit ihrem ausgeprägten Euroskeptizismus schnell an Popularität, indem sie die wachsenden anti-europäischen Ressentiments der Bevölkerung für sich instrumentalisieren konnte. Recht schnell jedoch - und nicht erst wie gerne dargestellt seit dem innerparteilichen Machtkampf, der mit dem Sturz vom Kopf der Partei und Gründer Lucke endete - ergingen sich ihre Parteimitglieder in rassistischer, besonders antiislamischer Rhetorik und entlarvten damit ihr zugrunde liegendes rechtsextremes Wesen.
In synergetischem Wechselspiel mit dem Rassismus einer aufstrebenden Pegida-Bewegung konnte die AfD in bundesweiten Umfragen sowohl die Grünen als auch die Linke überholen und ist nun die drittstärkste Kraft im Land; gerade einmal 10 Prozentpunkte hinter den „Sozialdemokraten".
Das Gesetz in die eigenen Hände nehmen
Auch als Folge der widerwärtigen sexuellen Gewalt „arabisch oder nordafrikanisch aussehender Männer" gegen Frauen in der Silvesternacht in Köln werden Flüchtlinge und MigrantInnen im Allgemeinen immer mehr unter Generalverdacht gestellt. Rassistische Feindseligkeiten stoßen immer weiter ins Herz der deutschen Gesellschaft vor, die jüngste Welle rechtsextremer Gewalt eskaliert immer mehr.
Eine weitere YouGov-Studie ist nicht weniger besorgniserregend als die oben genannte. Laut der Umfrage können sich 29 Prozent der Befragten vorstellen, in einer Bürgerwehr auch mit Gewalt ihre Interessen zu schützen, wenn der Staat dies nicht tut. Diese hohe Zahl spiegelt einen weitverbreiteten Anstieg in der gefühlten Bedrohung durch Migranten wider und hat bereits begonnen, sich in den Straßen zu manifestieren.
Die Übergriffe von Köln werden von Bürgern instrumentalisiert und wurden bereits in mehreren Städten als Vorwand missbraucht, um als vermeintliche Bürgerwehren durch die Straßen zu ziehen. Auf schändliche Art und Weise wird so versucht, unter dem Deckmantel des Kampfes für Frauenrechte ihre klar rassistischen Absichten zu verbergen.
Nach Aufrufen auf facebook, in der Stadt „ordentlich aufzuräumen", machte die selbsternannte „Kölner Bürgerwehr" im Januar die Kölner Innenstadt unsicher und attackierte in ihrer „Menschenjagd" elf Menschen aus Pakistan, Guinea und Syrien, von denen mehrere mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert wurden.
Das Phänomen der Bürgerwehren ist kein rein deutsches Problem. Ähnliche Banden gibt es auch in anderen Städten Europas, so etwa in Finnland, wo die selbsternannten „Soldiers of Odin" in nicht weniger als 25 Städten die Straßen unsicher machen.
Das soziale Klima vergiften
Eine Pegida-Demonstration in Leipzig artete in schwerste Krawalle aus, als sich 200 maskierte Hooligans vom Demonstrationszug losbrachen und das alternative Viertel Leipzig-Connewitz verwüsteten. Oberbürgermeister Burkard Jung (SPD) verurteilte diese Gewaltexzesse - die beispiellos in der jüngeren deutschen Geschichte sind - als „Straßenterror", der einzig darauf abziele, Angst und Schrecken zu verbreiten.
Obwohl Pegida, ihre deutschlandweiten Metastasen und selbst die prügelnden Bürgerwehren sich gerne als friedliche Demonstranten „besorgter Bürger" darstellen („Abendspaziergänge"), kommt es am Rande ihrer Veranstaltungen immer wieder zu Gewaltexzessen. Eine aggressiv aufgeladene, gewaltbereite Grundstimmung scheint sich im ganzen Land Bahn zu brechen. In 2015 allein wurden 263 Menschen Opfer von Körperverletzungen durch rechtsextreme Schläger und eine erschreckende Zahl von 132 Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte wurde registriert.
Die verschiedenen rassistischen Bewegungen auf der Straße im Wechselspiel mit einer sich immer weiter radikalisierenden AfD auf der politischen Bühne sind Gift für das soziale Klima im Land. Als Ergebnis haben wir 29 Prozent der deutschen Bevölkerung, die es okay finden, auf verzweifelte Menschen zu schießen. Menschen, die auf der Flucht sind vor Krieg, Hunger und Elend.
Dieser Beitrag erschien auch auf JusticeNow! und die Die Freiheitsliebe - connect critical journalism!
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